Islamisches Recht

Islamisches Strafrecht zu Unzucht, Vergewaltigung und falschen Anschuldigungen

Erhellende Einblicke in den Geist der Scharia: Reform statt Willkür
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Zaheer Ahmad Khan, Großbritannien

In jeder Rechtsordnung der Welt gibt es ein Strafgesetzbuch und das System der Bestrafung dient der Abschreckung vor Verbrechen. Die islamischen Lehren tragen in allen Bereichen den Geist der Mäßigung in sich und das Bestreben, das eigene Selbst und die Gesellschaft als Ganzes zu reformieren. In ähnlicher Weise findet sich ein hohes Maß an Weisheit und Ausgewogenheit in seinem System der Hadd– und Ta’zir-Strafen [Erklärung dieser Begriffe folgt im Artikel]. Dieses System ist eine Quelle des Segens und der Barmherzigkeit für alle Menschen, da es ihr Leben, ihren Wohlstand, ihre Ehre und ihr Wohlergehen schützt. Wenn man sich an die Lehren hält, die in den islamischen Gesetzen der Hadd– und Ta’zir-Strafen dargelegt sind, dann wird in der Gesellschaft ein Geist der Gerechtigkeit und des Friedens entstehen. Die Strafen, die in den weltlichen Gesetzgebungen zu finden sind, sind von Menschen gemacht und nach ihrem eigenen Verständnis geschaffen, während die Strafen, die der Islam vorsieht, von Allah, dem Allmächtigen, und Seinem GesandtenSAW festgelegt wurden.

Es gibt drei Arten von Strafen für Verbrechen, die im Heiligen Qur’an und in der Sunna [Praxis] des Heiligen ProphetenSAW erwähnt wurden:

1. Hadd
2. Ta’zir
3. JinayatQisas und Diyat [gerechte Vergeltung und Blutgeld]

Der Unterschied zwischen Hadd, Ta’zir und gerechter Vergeltung und Blutgeld besteht darin, dass Hadd-Strafen diejenigen sind, die von Allah, dem Allmächtigen, kategorisch erlassen wurden und diese Strafen sind im Heiligen Qur’an klar festgelegt. Daher kann es, falls diese Verbrechen und Vergehen einmal stattgefunden haben und bewiesen wurden, keine Kompromisse bei der Umsetzung der Strafe für solche Verbrechen geben wie z.B. Diebstahl, Unzucht (und nach Ansicht einiger Rechtsgelehrter auch Vergewaltigung), sowie die Erhebung falscher Anschuldigungen gegen jemanden. 

Jinayat haben mit den Rechten der Menschen zu tun, und dazu gehören Strafen in Form von gerechter Vergeltung, Blutgeld, Sühne oder Lösegeld. In bestimmten Fällen können diese Strafen gemildert oder ganz erlassen werden, wie z. B. die Strafen für Tötung oder Verletzung usw. 

Ta’zir ist eine Form der Bestrafung, die von Allah, dem Allmächtigen, festgelegt wurde und deren Vollstreckung in das Ermessen der Behörden gelegt wurde. Die genaue Form der Bestrafung ist im islamischen Recht nicht festgelegt, stattdessen hat Allah, der Allmächtige, es den Vertretern der Regierungen – d.h. den zuständigen Behörden – überlassen, die Ermittlungen durchzuführen und die Schwere der Strafe entsprechend der Art des Verbrechens, der Zeit und dem Ort sowie den Umständen der Betroffenen zu bestimmen. Einige Rechtsgelehrte haben Vergewaltigung unter die Ta’zir-Strafen aufgenommen, worauf ich, so Gott will, noch näher eingehen werde.

Ein klarer und deutlicher Unterschied zwischen den vom Islam und den von anderen Gesetzgebungen vorgeschriebenen Strafen besteht darin, dass im Islam die Vorsichtsmaßnahmen umso strenger sind, je schwerer das Strafmaß ist, sodass ein Unschuldiger niemals bestraft werden kann, selbst wenn dadurch Täter einen Weg finden sollten, der Strafe zu entgehen. Daher wird die Bedingung aufgestellt, dass vier Zeugen das tatsächliche Verbrechen gesehen haben müssen, um keinen Raum für Zweifel zu lassen. Außerdem müssen diese Zeugen durch ihre früheren Taten deren hohen Standard bewiesen haben und einen guten moralischen Charakter vorweisen, so dass sie nicht nur als aufrichtig, sondern auch als ehrenhaft gelten. All diese Vorkehrungen gewährleisten, dass eine unschuldige Partei nicht für ein Verbrechen verurteilt wird, das sie nicht begangen hat. Indes sind die Zeugnisvorschriften im Islam so streng, dass sich keine anderen weltlichen Zeugnisvorschriften mit ihnen vergleichen lassen. Selbst wenn es zum Beispiel so aussieht, als würde einer der Zeugen die Wahrheit sagen, aber es ihm an Etikette mangelt, weil er beispielsweise an öffentlichen Plätzen uriniert, und selbst wenn er Vorbeigehenden den Rücken zuwendet, wird seine Aussage nach den islamischen Gesetzen nicht akzeptiert! 

Daher verlässt sich der Islam bei der Verhinderung von Verbrechen nicht einfach auf seine umfassenden Lehren und die Schaffung einer makellosen Gesellschaft; vielmehr hat er auch nach dem Auftreten eines Verbrechens angeordnet, solche Vorkehrungen zu treffen, so dass die Fälle, in denen die Hadd-Strafe angewandt wird, sehr selten sind, abgesehen von Fällen, wo eine Person völlig schamlos, dreist und zu einer Gefahr für die Gesellschaft geworden ist. Dies liegt daran, dass jegliche Vorsichtsmaßnahme getroffen wird, um zu verhindern, dass jemand ein Stadium erreicht, in dem er eine Handlung begeht, für die er strafbar ist. Wenn jedoch Strafen verhängt werden, sollten sie nach islamischem Verständnis so gestaltet sein, dass sie eine stark abschreckende Wirkung haben.

Nach dieser kurzen Einführung möchte ich nun zu meinem eigentlichen Thema zurückkehren. Nach Ansicht von Gelehrten und Rechtsgelehrten kann Unzucht – die im gegenseitigen Einverständnis beider Parteien geschieht – nur durch Zeugen (vier Zeugen, die die Kriterien für eine Zeugenaussage erfüllen) oder durch das Geständnis der Unzüchtigen selbst bewiesen werden. Hadhrat UmarRA zufolge kann Unzucht auch durch eine Schwangerschaft bewiesen werden, wenn die Frau keinen Ehemann hat – oder im Fall von Religionskriegen, in denen Frauen als Kriegsgefangene genommen wurden und bei ihren Verwahrern blieben, und wenn in diesem Fall die Frau von niemandem direkt in Gewahrsam genommen wurde, da war es auch zulässig, die Unzucht durch Schwangerschaft zu beweisen. Von den vier Rechtsgelehrten ist Hadhrat Imam MalikRH mit diesem Standpunkt einverstanden, während die übrigen Rechtsgelehrten, darunter Hadhrat Imam Abu HanifaRH und Hadhrat Imam Shafi’iRH, dies bestreiten. Ihnen zufolge kann der Hadd für Unzucht nur erlassen werden, wenn es vier Zeugen gibt oder im Falle eines Geständnisses. Sie alle erklären, dass es nicht zulässig ist, ausführliche Untersuchungen und Ermittlungen durchzuführen, um die Hadd-Strafe für Unzucht anzuwenden.

Die islamische Strafe für Unzucht oder Ehebruch in beiderseitigem Einverständnis und ihre Anwendung

Sure An-Nur [Kapitel 24] des Heiligen Qur’an hat die Strafen für Unzucht im gegenseitigen Einverständnis klar dargelegt, wenn sie bewiesen ist; die Strafe für diejenigen, die keusche Frauen der Unzucht beschuldigen, ohne vier Zeugen vorweisen zu können; und ein Ehemann und eine Ehefrau, die sich gegenseitig des Ehebruchs beschuldigen, aber keine Zeugen haben und sich deshalb gegenseitig verfluchen müssen [Li’an].

Wenn Unzucht mit gegenseitigem Einverständnis nachgewiesen wird, dann ist die festgelegte Strafe für beide hundert Peitschenhiebe. Es darf keinerlei Milde walten, und die Vollstreckung dieser Strafe muss von einer Gruppe von Gläubigen bezeugt werden. Ähnlich ist es, wenn jemand einen anderen der Unzucht beschuldigt, aber keine Beweise vorlegen kann. Dann beträgt die Strafe für jeden Ankläger achtzig Peitschenhiebe, und seine Aussage kann nie wieder akzeptiert werden. Allah, der Allmächtige, hat gesagt, dass solche Leute sündhaft sind. 

Der Verheißene MessiasAS erklärt die Weisheit, die hinter der im Heiligen Qur’an vorgesehenen Strafe für Unzucht steht, indem er sagt:

»Manchmal wird ein Mensch dadurch geläutert, dass er körperlich zurechtgewiesen wird, und ein anderes Mal, indem er Zeuge der Bestrafung wird. So hat Gott bestimmt, dass die Strafe für Unzucht in Anwesenheit der Menschen vollzogen werden soll.«[1]

Gleichermaßen erklärt der Verheißene MessiasAS im Fall einer Person, die eine falsche Anschuldigung – Qadhf – erhebt,

»Diejenigen, die keusche Frauen der Unzucht beschuldigen und keine vier Zeugen vorweisen können, um diese Anschuldigung zu beweisen, müssen mit achtzig Peitschenhieben ausgepeitscht werden, ihre Aussage soll nie wieder akzeptiert werden, und solche Leute sind selbst böse.«[2]

In der islamischen Terminologie fallen die Strafen sowohl für Unzucht als auch für die Erhebung falscher Anschuldigungen unter die Kategorie des Hadd.

Es gibt auch viele Ahadith [Aussprüche des Heiligen ProphetenSAW] über Unzucht, die im gegenseitigen Einverständnis begangen wurde.

Es ist durch ein Hadith belegt, dass der Heilige ProphetSAW einmal, als eine Person Unzucht begangen hatte und von jemandem gedrängt wurde, dies zuzugeben, zu der Person, die ihn zum Geständnis drängte, sagte, dass es besser gewesen wäre, wenn er die Sache geheim gehalten hätte. Im Fall von Hadhrat Ma’iz AslamiRA war dies die gleiche Anleitung, die der Heilige ProphetSAW seinem Vormund Hadhrat HazzalRA gab.[3]

In Anbetracht verschiedener Ahadith haben die Gelehrten es für besser gehalten, einer Person, die Unzucht zugegeben hat, zu raten, ihr Geständnis zu widerrufen und Allah, den Allmächtigen, um Reue und Vergebung zu bitten. 

Auf diese Weise wird jeder mögliche Schritt unternommen, um sie vor der Verhängung der Hadd-Strafe zu bewahren. So rieten Hadhrat Abu Bakr SiddiqRA und Hadhrat Umar FarooqRA einer Person aus dem Stamm der Aslam, die Unzucht zugegeben hatte, zu bereuen und die Angelegenheit unter dem Deckmantel Allahs, des Allmächtigen, zu verbergen.[4] Auch als Ma’iz Aslami und eine Frau aus dem Stamm der Ghamidiyah Unzucht zugaben, wandte sich der Heilige ProphetSAW von ihnen ab und gab ihnen immer wieder Gelegenheit, dieses Geständnis zu unterlassen.[5]

Daher haben die Propheten, Heiligen und angesehenen Menschen Allahs, des Allmächtigen, denjenigen, die diese schändliche Tat begehen, geraten, zu schweigen und sich vor Allah, dem Allmächtigen, reumütig zu verbeugen und Ihn um Vergebung für ihren Fehler zu bitten, anstatt diese schändliche Tat unter den Menschen bekannt zu machen. 

Wenn eine unzüchtige Person ihr Geständnis widerruft, bevor sie verurteilt worden ist, dann gilt das Gebot, von der Strafe abzusehen. Im Fall von Ma’iz AslamiRA versuchte dieser zu fliehen, während die Strafe über ihn verhängt wurde und er die Strafe nicht ertragen konnte. Der Heilige ProphetSAW fragte die Gefährten, warum sie ihn nicht gehen lassen hatten; es hätte sein können, dass er bereute und Allah, der Allmächtige, seine Reue akzeptiert hätte.[6]

Es ist auch durch Ahadith belegt, dass eine Hadd-Strafe nicht verhängt wird, wenn eine Person, die eine Hadd-Strafe verdient, schweigt, nachdem sie ihren Fehler bereits ein- oder zweimal zugegeben hat, oder aufhört, weitere Geständnisse zu machen, nachdem ihr geraten wurde, zu bereuen und Vergebung zu suchen.

Einmal ging eine Person zum Heiligen ProphetenSAW und gab zu, einen Fehler begangen zu haben, der ein Hadd rechtfertigte, und bat darum, dass ihm das Hadd auferlegt werde. Der Heilige ProphetSAW stellte ihm keine Fragen über den begangenen Fehler. Die Zeit für das Gebet rückte näher, und der Mann verrichtete das Gebet zusammen mit dem Heiligen ProphetenSAW. Als der Heilige ProphetSAW das Gebet beendet hatte, stand der Mann noch einmal vor ihm und sagte: »O Gesandter AllahsSAW, ich habe einen Fehler begangen, der ein Hadd rechtfertigt, so verhänge das Hadd gegen mich, das im Buch Allahs vorgeschrieben ist.« Der Heilige ProphetSAW fragte: »Hast du nicht mit uns gebetet?« Er antwortete: »Ja, ich habe das Gebet verrichtet.« Der Heilige ProphetSAW sagte: »Allah hat dir deine Schuld vergeben und dir dein Hadd erlassen.« Daraufhin wiederholte die Person ihr Geständnis nicht und der Heilige ProphetSAW verhängte keine Hadd-Strafe.[7]

Es ist auch durch Ahadith bewiesen, dass, wenn eine Person zugibt, mit einer anderen Person Unzucht getrieben zu haben, das Hadd nur der Person auferlegt wird, die es zugibt, und die andere Person, die an der Tat beteiligt war, nicht befragt wird. Im Fall von Hadhrat Ma’iz AslamiRA verhängte der Heilige ProphetSAW auf Nachfrage nur das Hadd gegen Hadhrat Ma’iz AslamiRA, obwohl er dem Heiligen ProphetenSAW von der Frau erzählt hatte, mit der er Unzucht getrieben hatte, jedoch wurde die Frau nicht dazu befragt.[8]

Wenn jedoch die Angelegenheit beider Parteien vor Gericht verhandelt wird, dann wird das Hadd gegen die Person verhängt, die gestanden hat, und die Person, gegen die die Anschuldigung der Unzucht öffentlich gemacht wurde, wird befragt, so dass, wenn es sich um eine falsche Anschuldigung handelt, die Strafe von achtzig Peitschenhieben für eine falsche Anschuldigung auch gegen den Ankläger verhängt werden kann. 

In einer Erzählung von Hadhrat Ibn AbbasRA, die im Sunan Abi Dawud aufgezeichnet ist, wird belegt, dass der Heilige ProphetSAW die Hadd-Strafe von hundert Peitschenhieben gegen eine Person verhängte, die Unzucht zugab. Als dann die Frau, mit der er zugegeben hatte, Unzucht getrieben zu haben, die Anschuldigung bestritt und ihn einen Lügner nannte, sagte der Heilige ProphetSAW nichts weiter zu ihr und verhängte dann auch die Strafe von achtzig Peitschenhieben gegen den Mann als Strafe für die Erhebung einer falschen Anschuldigung.[9]

Wenn jedoch auch die andere Partei die Unzucht zugibt, dann wird das Hadd für Unzucht gegen beide Parteien verhängt, und die anklagende Partei wird nicht mit dem Hadd für die Erhebung einer falschen Anschuldigung bestraft. Als einmal ein Leibeigener mit einer Frau im Haus [wo er arbeitete] Unzucht trieb, verhängte der Heilige ProphetSAW die Strafe für Unzucht gegen den Mann und ordnete auch das Hadd für Unzucht gegen die Frau an, nachdem sie es zugegeben hatte, anstatt das Hadd für eine falsche Anschuldigung zu verhängen.[10]

Es ist auch durch Ahadith bewiesen, dass im Falle von Unzucht, falls die notwendigen Bedingungen für eine Zeugenaussage nicht erfüllt sind und auch kein Eingeständnis der Unzucht vorliegt, es aber Indizienbeweise dafür gibt, dass Unzucht stattgefunden hat, weder das Hadd für Unzucht noch für die Erhebung einer falschen Anschuldigung verhängt wird. Es gibt eine Begebenheit, die in den Ahadith überliefert ist: Als Utbah bin Abi Waqas, der Bruder von Hadhrat Sa‘d bin Abi WaqasRA, dabei war zu sterben, informierte er seinen Bruder darüber, dass er eine Beziehung zu einer bestimmten Leibeigenen von Abd bin Zam’ah eingegangen war, woraufhin sie zu seinem Kind schwanger wurde. Und wenn das Kind geboren sei, solle er es zu sich nehmen. Als das Kind geboren war, gab es einen Streit zwischen Hadhrat Sa’d bin Abi WaqasRA und dem Besitzer der Frau, Abd bin Zam’ah. In dieser Angelegenheit übergab der Heilige ProphetSAW das Kind, über das es einen Streit [zwischen Hadhrat Sa‘d bin WaqasRA und Abd bin Zam’ah] gab, dem Besitzer der Frau und wies den Anspruch des Bruders von Hadhrat Sa‘d bin Abi WaqasRA zurück, der behauptete, der Vater des Kindes zu sein. Der Heilige ProphetSAW wies jedoch seine Frau Hadhrat Saudah bint Zam’ah (welche die Schwester des Herrn der Frau, Abd bin Zam’ah, und somit die Tante väterlicherseits des umstrittenen Kindes war) an, den Schleier zu beachten, wenn sie sich in der Nähe des Kindes aufhielt, da das Aussehen des Kindes dem von Utbah bin Abi Waqas ähnelte, der zugegeben hatte, unzüchtig gewesen zu sein.[11]

Alle oben genannten Vorfälle beziehen sich auf Unzucht, die in gegenseitigem Einverständnis begangen wurde und bei der entweder eine oder beide Parteien ihre Schuld zugaben, woraufhin diejenigen, die gestanden, nach den geltenden Gesetzen bestraft wurden.

Die islamische Strafe für Vergewaltigung und ihre Ausführung

Was die Behauptung einer erlittenen Vergewaltigung betrifft, so finden wir dazu sowohl im Heiligen Qur’an als auch in den Ahadith Hinweise. Im Heiligen Qur’an erhalten wir Rechtleitung durch den Vorfall eines Propheten, der dieses Verbrechens beschuldigt wurde. Dieser Vorfall wird in den Versen 24–30 der Sure Yusuf [Kapitel 12] geschildert, worin die Frau eines ägyptischen Edelmanns alle Türen des Hauses verschloss und versuchte, JosefAS dazu zu verführen, eine unanständige Handlung gegen seinen Willen zu begehen. Als sie jedoch mit ihrem ruchlosen Plan scheiterte und JosefAS zur Tür rannte, um sich zu retten, schlug die Frau mit Gewalt auf ihn ein, so dass sein Hemd von hinten zerriss. Als er die Tür erreichte, fand er den Ehemann der Frau in der Nähe, woraufhin die Frau ein Komplott schmiedete und JosefAS fälschlich beschuldigte, er habe versucht, eine unanständige Handlung mit ihr zu begehen. JosefAS bestritt die Anschuldigung der Frau und sagte, die Frau habe versucht, ihn gegen seinen Willen zu nötigen, aber er habe sich geweigert, dem nachzukommen. 

In diesem Fall gab es offenbar nur die gegensätzlichen Aussagen beider Seiten, und es gab keine Augenzeugen des Vorfalls, außer dem Ehemann der Frau, der nur gesehen hatte, wie sie zur Tür gerannt waren. Um in diesem Fall zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, wendet der Heilige Qur’an die Methode der Analyse der Indizien an, die den Fall belegen. So stellte ein Haushaltsmitglied fest, dass die Kleider der Frau noch unversehrt waren, während die des Mannes gerade zerrissen worden waren. Die Person schlug nun Folgendes vor: Wenn also das Hemd des Mannes von vorne zerrissen war, dann hat die Frau die Wahrheit gesagt und der Mann die Unwahrheit, denn entweder hat er es zerrissen, um die Tat zu begehen, oder die Frau hat es zerrissen, um sich zu retten und den Mann wegzustoßen. Wenn das Hemd jedoch von hinten zerrissen wurde, dann hat er die Wahrheit gesagt und die Frau hat gelogen, denn niemand würde sein Hemd von hinten zerreißen, um diese Tat zu begehen. Stattdessen hätte eine solche Person sicherlich versucht zu fliehen, um sich zu retten, und die Frau hätte versucht, ihn zu fangen, indem sie an seinem Hemd zog und es zerriss. So wurde also dem Vorschlag dieser Person folgend das Hemd JosefsAS untersucht und es stellte sich heraus, dass es von hinten zerrissen worden war. Daraufhin fällte der ägyptische Edelmann sein Urteil und sagte zu seiner Frau: »Das war gewiss ein Komplott von dir. O Frauen, eure Intrigen sind wahrlich mächtig.«

Ein weiterer Punkt, der aus diesem Qur’an bericht hervorgeht, ist, dass Allah, der Allmächtige, im Fall einer Frau, die behauptete, ein Mann habe sie vergewaltigt, die Person, die vorschlug, die Indizien (d.h. das zerrissene Hemd) zu analysieren, mit dem Ausdruck شَھِدَ شَاھِدٌ šahida šāhidun bezeichnete, was so viel bedeutet wie »ein Zeuge gab Zeugnis«, womit er den Wert von Indizien mit der Aussage eines Zeugen gleichsetzte.

Darüber hinaus zeigt dieses Gebot des Heiligen Qur’an auch, dass die bloße Beschuldigung einer anderen Person keinen Wert hat, da die Beschuldigung auch falsch sein könnte. Solange eine Anschuldigung also nicht durch Zeugen oder Indizien bewiesen ist, kann der Beschuldigte in keiner Weise bestraft werden.

Zwei der sechs authentischen Ahadith-Bücher, Sunan Abī dawūd und Sunan at-Tirmiḏī, berichten von Fällen, worin der Vorwurf der Vergewaltigung erhoben wurde und worin eine Untersuchung stattfand und auch eine Strafe verhängt wurde. Sie erwähnen, dass während der gesegneten Ära des Heiligen ProphetenSAW eine Frau ihr Haus verließ, um das Gebet zu verrichten, als sie auf dem Weg von jemandem ergriffen wurde, der sich an ihr verging und nach dieser Tat floh. Dann kam eine andere Person vorbei, und die Frau, die angegriffen worden war, erzählte den Leuten, dass er derjenige war, der sich an ihr vergangen hatte. Daraufhin ergriff eine Gruppe von Muhajireen, die vorbeikamen, die Person, von der die Frau dachte, dass sie sie angegriffen hatte. Als der Mann vor die Frau gebracht wurde, sagte sie, dass es tatsächlich er war, der sie vergewaltigt hatte. Die Leute brachten ihn daraufhin zum Heiligen ProphetenSAW, und er befahl, ihn zu steinigen, woraufhin ein anderer Mann aufstand, der in Wirklichkeit derjenige war, der die Frau vergewaltigt hatte, und sagte: »O Gesandter AllahsSAW, ich habe sie vergewaltigt.« Der Heilige ProphetSAW sagte zu der Frau: »Geh, Allah hat dir verziehen.« Dann sprach er freundlich zu dem Mann, der freigesprochen worden war, und ordnete an, den Vergewaltiger zu steinigen. Der Heilige ProphetSAW sagte dann über diesen Mann, für den die Strafe bestimmt war, dass er derart bereut habe, dass allen Bewohnern von Madinah vergeben würde, wenn sie auf dieselbe Weise bereuen würden.[12]

Es lohnt sich, über die Worte dieser Erzählung nachzudenken, die besagen, dass der Heilige ProphetSAW aufgrund der Anschuldigung der Frau anordnete, eine solche Person zu bestrafen, die das Verbrechen nicht begangen hatte. Vordergründig scheint es, dass der Heilige ProphetSAW – Gott bewahre – vor der Befragung von Zeugen und Indizien und vor der Analyse der Ereignisse aus Eile eine falsche Entscheidung getroffen hat. Das wäre weit entfernt von den islamischen Lehren der Gerechtigkeit, und es ist unmöglich, so etwas beim Heiligen ProphetenSAW zu vermuten, der die Attribute der Weisheit und Gerechtigkeit perfekt verkörperte und die Personifizierung des Verses war:

[Noch spricht er aus Begierde. Nichts als (reine) Offenbarung ist es, was offenbart wird.]

Der Verheißene MessiasAS – der geistige Sohn des Heiligen ProphetenSAW und sein wahrer Diener –, welcher der Richter und Gerechte Beistand der Endzeit ist und der mit der Wiederbelebung des Islams beauftragt wurde, hat 12 Prinzipien zur Unterscheidung der Gültigkeit einer Überlieferung dargelegt. Einer dieser Grundsätze lautet wie folgt: 

Was das Buch [den Heiligen Qur’an] und die Sunna [die Praxis des Heiligen ProphetenSAW] im Zusammenhang mit der Urteilsfindung in der islamischen Scharia betrifft, ist es meine Ansicht, dass das Buch Allahs Vorrang hat und an erster Stelle steht. Wenn es eine Angelegenheit gibt, in der die Bedeutungen der Ahadith des Heiligen ProphetenSAW nicht im Widerspruch zum Buch Allahs stehen, dann werden diese Bedeutungen als Teil der Scharia betrachtet. Wir können jedoch nicht jene Bedeutungen akzeptieren, die den klaren Lehren des Heiligen Qur’an widersprechen. Vielmehr werden wir, soweit es möglich ist, versuchen, solche Bedeutungen aus den Hadithen abzuleiten, die mit den klaren Aussagen im Buch Allahs übereinstimmen. Wenn wir auf ein Hadith stoßen, das den Lehren des Heiligen Qur’an widerspricht, und wir nicht in der Lage sind, es entsprechend zu interpretieren, dann werden wir es als erfunden betrachten, weil Allah der Allmächtige sagt:

»An welches Wort wollen sie denn glauben, nachdem sie Allah und Seine Zeichen abgelehnt haben?«[13]

Dieser Vers weist klar darauf hin, dass, wenn der Heilige Qur’an ein klares und entscheidendes Urteil zu einer Angelegenheit gegeben hat, ohne Raum für Zweifel zu lassen, und die gewünschte Bedeutung deutlich gemacht wurde, es einem Gläubigen nicht obliegt, irgendetwas zu akzeptieren, was in klarem Widerspruch dazu steht.[14]

Wenn wir die Erklärung des obigen Hadiths im Lichte des vom Verheißenen MessiasAS dargelegten Prinzips untersuchen, finden wir heraus, dass es in Fath al-Wadud, dem Kommentar zu Sunan Abi Dawud, eine Erklärung dieses Hadith gibt, die mit dem Vorbild des Heiligen ProphetenSAW übereinstimmt. 

In Fath al-Wadud steht nämlich geschrieben, dass die Worte des oben erwähnten Hadith, der Heilige ProphetSAW habe befohlen, ihn (d. h. die erste Person, die beschuldigt wurde), zu bestrafen, zeigen, dass die Art und Weise, wie sich diese Ereignisse abspielten, die eigenen Annahmen des Erzählers waren. Ansonsten führte der Heilige ProphetSAW, als die Person vorgeführt wurde, eine Untersuchung über die Umstände des Vorfalls und den früheren Ruf und die Verhältnisse des Angeklagten durch, woraufhin der eigentliche Täter seine Schuld eingestand.[15]

Diese Erklärung untermauert nicht nur die Authentizität dieses Hadith, sondern führt auch zu der Schlussfolgerung, dass man bei der Verhängung von Strafen keine Eile walten lassen sollte. Darüber hinaus sollte eine Person nicht einfach aufgrund der Anschuldigung einer anderen Person als schuldig betrachtet werden, insbesondere wenn diese die Anschuldigung bestreitet; denn manchmal kann es sein, dass die Kette von Ereignissen oberflächlich betrachtet so zusammenhängt, dass es den Anschein hat, dass die Anschuldigung wahr ist. Wenn man jedoch die Umstände und Ereignisse genauer untersucht und alle Indizien und Zeugenaussagen, die auf dem früheren Leben und dem Ruf des Anklägers und des Angeklagten beruhen, analysiert, kann es zu einem völlig anderen Ergebnis kommen.

Der allgemeine Standpunkt früherer Rechtsgelehrter in Bezug auf Vergewaltigung ist, dass sie in die Kategorie der Unzucht fällt und nach der Scharia die gleiche Strafe verdient wie einvernehmliche Unzucht. Darüber hinaus sagen sie, dass der für eine Vergewaltigung erforderliche Beweisstandard derselbe ist wie der für eine einvernehmliche Unzucht, nämlich die Zeugenaussage von vier muslimischen Männern. Liegen vier Augenzeugenaussagen vor, wird das Hadd von hundert Peitschenhieben oder Steinigung verhängt, und wenn diese Bedingungen zum Nachweis des Verbrechens nicht erfüllt sind, wird die Hadd-Strafe nicht angewendet. Dies sind Gesetze der Scharia, die durch die nachgewiesene Praxis des Heiligen ProphetenSAW belegt sind. 

Dies zeigt, dass nach Ansicht einiger Rechtsgelehrter Vergewaltigung und einvernehmliche Unzucht in Bezug auf die erforderlichen Beweise und die Verhängung von Hadd-Strafen dasselbe sind. Das Beweismaß und die Hadd-Strafen, welche die Scharia für die einvernehmliche Unzucht vorsieht, gelten auch für die Vergewaltigung. 

Demnach besteht der Unterschied zwischen den beiden Verbrechen darin, dass im Falle der einvernehmlichen Unzucht beide bestraft werden, während im Falle der Vergewaltigung nur der Täter bestraft wird und das Opfer straffrei bleibt. Juristen haben den folgenden Vers für diese Ausnahme angeführt:

»Zwingt sie aber einer, dann wird Allah gewiss allvergebend und barmherzig (zu ihnen) sein nach ihrem Zwang.«[16]

Mit anderen Worten: Allah wird sie nicht bestrafen. Darüber hinaus haben diese Rechtsgelehrten auch die folgende Aussage des Heiligen ProphetenSAW zur Grundlage ihrer Haltung gemacht:

»Allah, der Allmächtige, hat meinem Volk die Strafe für jene Taten erlassen, die sie aus Vergessenheit begangen haben oder zu denen sie gezwungen wurden.«[17]

Daher ist in vielen muslimischen Ländern sowohl für Unzucht als auch für Vergewaltigung die Zeugenaussage von vier muslimischen Männern als Beweis erforderlich; und wenn das Verbrechen bewiesen ist, wird die Hadd-Strafe von entweder hundert Peitschenhieben oder Steinigung verhängt.

Im Gegensatz zur Auffassung früherer Rechtsgelehrter betrachten einige zeitgenössische muslimische Gelehrte Vergewaltigung als etwas anderes als einvernehmliche Unzucht. Ihnen zufolge fällt Vergewaltigung nicht in die Kategorie der Hadd-Strafen im Islam, sondern unter die Ta’zir-Strafen. Diese zeitgenössischen Gelehrten haben dargelegt, dass Vergewaltigung auch in den Bereich der »Kriegsführung« und »Aufruhr« [unter Bezugnahme auf den Qur’anvers] fällt. Daher sind sie der Meinung, dass nicht vier Zeugen als Beweis erforderlich sind, sondern Zeugenaussagen, Umstände und Indizien als ausreichender Beweis gelten. Ihrer Ansicht nach kann der Täter mit der Todesstrafe bestraft werden, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Diese zeitgenössischen Gelehrten stimmen jedoch auch darin überein, dass eine Person nicht allein aufgrund der Anschuldigung einer anderen Person bestraft werden kann, sondern dass Zeugenaussagen und Indizienbeweise vorgelegt werden müssen, um die Anschuldigung zu beweisen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Islam in Fällen von Vergewaltigung nicht einfach aufgrund der Anschuldigungen der betroffenen Person eine Strafe verhängt; es ist notwendig, dass es Zeugen oder Zeugenaussagen und Indizienbeweise gibt. Denn es ist möglich, dass der Ankläger bzw. die Anklägerin sich irrt, sei es absichtlich, wie im Fall von JosefAS, oder weil er bzw. sie den Täter nicht richtig identifiziert hat, wie in der oben erwähnten Erzählung von Sunan Abī dawūd

In solchen Fällen, wo es keine Zeugen gibt, steht die Beschaffung von Indizienbeweisen und Zeugenaussagen mit den damals verfügbaren Mitteln keineswegs im Widerspruch zu den Lehren des Islam. Daher haben die Rechtsgelehrten Indizienbeweise und Zeugenaussagen, die aus medizinischen Untersuchungen und moderner Technologie stammen, als zulässig erachtet, um in solchen Fällen ein Urteil zu fällen. 

Hadhrat Musleh Mau’udRA hat in seinem einmaligen Kommentar zu Vers 5 der Sure An-Nur die islamischen Lehren bezüglich der Unzucht und anderer damit zusammenhängender Angelegenheiten dargelegt und wie folgt zusammengefasst:

1. Unzucht kann entweder durch die Aussage von vier Zeugen oder durch ein Geständnis, das frei von Zwang ist, nachgewiesen werden. 

2. Der Begriff Muhsanat bezieht sich sowohl auf Männer als auch auf Frauen, so wie sich die männliche Konjugation desselben Wortes sowohl auf Männer als auch auf Frauen bezieht.

3. In der heutigen Zeit muss dies durchgesetzt werden, weil Menschen andere ohne Beweise solcher Verbrechen beschuldigen, nur um Ärger und Unfrieden zu stiften.

4. Jemand anderen zu Unrecht zu beschuldigen, ist eine schwere Sünde und die Strafe für eine falsche Beschuldigung beträgt 80 Peitschenhiebe, was beinahe der Strafe von 100 Peitschenhieben im Fall von (einvernehmlicher) Unzucht entspricht. 

5. Der Begriff Muhsanat bezieht sich auch auf diejenigen, die der Unzucht beschuldigt werden, wobei die Anschuldigung nicht durch Zeugenaussagen bewiesen werden kann. In diesem Fall wird eine solche beschuldigte Person vor Gott, dem Allmächtigen, als keusch und untadelig angesehen, während der Ankläger als Lügner und Fälscher gilt und bestraft werden muss, da die Beweislast nach dem Gesetz beim Ankläger liegt.

6. Wenn eine Person gesteht, Unzucht begangen zu haben, und ihr Geständnis viermal beteuert, wird nach der Scharia nur die Person, die das Geständnis abgelegt hat, als schuldig angesehen. Wenn ein Mann Unzucht gesteht, wird die betreffende Frau nicht für schuldig befunden. Wenn der Mann den Namen der Frau nennt, wird die Frau einfach gefragt, ob das Geständnis des Mannes richtig ist oder nicht, ohne dass sie einen Eid ablegen muss. Behauptet sie, das Geständnis sei falsch, ist die Frau frei. 

7. Öffentlich zu behaupten, man sei einem solchen Verbrechen ausgesetzt gewesen, zeugt nicht von Rechtschaffenheit und Frömmigkeit, sondern ist ein Zeichen von Unverschämtheit und Schamlosigkeit. Zulaikhah beschuldigte JosefAS der Unanständigkeit ihr gegenüber. Beweist eine solche Anschuldigung ihre Rechtschaffenheit oder ihre List und Täuschung? 

8. Der Heilige ProphetSAW war auch über einen Menschen verärgert, der sagte, er habe (einvernehmlich) Unzucht getrieben, und er wandte sich verärgert von ihm ab und betrachtete sein Geständnis als eine törichte Handlung.

9. In einem Hadith wird berichtet, dass ein Mann einmal behauptete, der Sohn dieser und jener Person sei eigentlich der Sohn seines Bruders, weil sein Bruder behauptet hatte, das Kind gehöre ihm. Als der Heilige ProphetSAW dies hörte, lobte er weder diese Person, noch verlangte er von der anderen Person eine Erklärung, um diesen Anspruch zu bestätigen. Vielmehr erklärte er: »Der Sohn gehört demjenigen, mit dem die Frau verheiratet ist, und derjenige, der Unzucht getrieben hat, wird gesteinigt.«

10. Wenn jemand anstatt eines eigenen Geständnisses eine andere Person beschuldigt, wird diese nicht befragt und muss auch keinen Eid ablegen oder sich an einem Gebetsduell beteiligen. Die Bestrafung mit Hadd durch einen Eid zu begründen, käme einer Entehrung der Scharia gleich – das war auch die Überzeugung früherer Rechtsgelehrter.

11. In Angelegenheiten, wobei eine Hadd-Strafe vorgeschrieben ist, kann ein Eid nicht die Grundlage für die Umsetzung dieses Hadd sein. In einem solchen Fall beruht die Entscheidung der Angelegenheit auf der Aussage von Zeugen. Als zur Zeit von Hadhrat UmarRA der Gouverneur von Basra, Hadhrat Mughirah bin Shu‘bahRA, der Unanständigkeit beschuldigt wurde, gab es drei Zeugen, die gegen ihn aussagten. Der vierte Zeuge wich insofern ein wenig ab, als er sagte, dass er den Akt der Unzucht nicht in der Art und Weise miterlebt hatte, die erforderlich war, um dazu auszusagen. Daraufhin verurteilte Hadhrat UmarRA die drei Zeugen mit der Strafe des Qadhf (falsche Anschuldigung). Jemand schlug vor, dass, da es drei gültige Zeugenaussagen gab und die vierte Aussage ein Element des Zweifels enthielt, dem Angeklagten ein Eid abgenommen werden sollte, um die Anschuldigung zu prüfen bzw. zu entkräften. Es wurde jedoch kein Eid von dieser Person abgenommen, sondern den Zeugen wurde neben der Strafe von Peitschenhieben (für falsche Anschuldigungen) auch das Recht entzogen, eine Zeugenaussage zu machen. Hadhrat UmarRA verkündete offen, dass die Aussagen dieser Personen in Zukunft nicht mehr akzeptiert werden würden.[18]

Bei diesem Thema [des Eid-Ablegens] ist es wichtig, einen wichtigen Punkt anzusprechen. In Sure An-Nur hat Allah, der Allmächtige, die Methode des Li’an für einen Ehemann oder eine Ehefrau vorgeschrieben, die ihren Partner des Ehebruchs beschuldigen, aber keinen Zeugen haben, um ihre Behauptung zu beweisen. Manche Leute haben den Eindruck, dass die Methode des Li’an auch auf andere Angelegenheiten als die zwischen Ehemann und Ehefrau anwendbar ist, d.h. zwischen denjenigen, die der Unzucht beschuldigt werden und nicht verheiratet sind. Diese Annahme ist falsch. In der Tat hat Hadhrat Musleh Mau’udRA diese Ansicht klar zurückgewiesen. Abgesehen von der oben erwähnten Erklärung aus dem Tafsīr-e kabīr hat Hadhrat Musleh Mau’udRA dies in vielen seiner anderen Schriften und Reden erklärt. 

Zu diesem Thema schrieb Hadhrat Musleh Mau’udRA eine Antwort auf einen Brief, den er erhielt:

»Weil dies eine Angelegenheit ist, die viele Menschen ins Wanken gebracht hat, möchte ich mit meinen eigenen Händen eine Antwort auf diesen Brief schreiben. Im Lichte des Heiligen Qur’an gibt es zwei Arten von Klägern der Unzucht: 1. ein Ehemann oder eine Ehefrau, 2. ein unverheirateter Mann oder eine unverheiratete Frau. 

Wenn der Ehemann oder die Ehefrau sich gegenseitig beschuldigen und es keine Zeugen gibt, würde der Ehemann die Methode der Mula’anah anwenden. (Der Ehemann wird im Heiligen Qur’an eindeutig erwähnt, während die Angelegenheiten, die die Ehefrau betreffen, daraus abgeleitet werden können, da der Heilige Qur’an, abgesehen von sehr spezifischen Angelegenheiten, beiden Parteien Gebote erteilt, während er sich nur an eine richtet). Ein einziger Eid wäre gleichbedeutend mit der Aussage eines Zeugen, und beim fünften Mal würde er den Fluch Gottes auf den Lügner herabbeschwören. Wenn die Anschuldigung zwischen einem Mann und einer unverheirateten Frau erhoben wird, sind nur vier Zeugen erforderlich; sie können nicht verlangen, dass ihre Angelegenheit durch einen Eid im Namen Gottes gelöst wird, noch hat ein solcher Eid, der von einem Ankläger geleistet wird, irgendeinen Wert. Ein Kläger, der keine Zeugen hat, wird als Lügner angesehen, so dass der Beklagte nicht als schuldig gilt, auch wenn er keinen Eid auf Gottes Namen geleistet hat. 

Als der Heilige ProphetSAW sich bezüglich einer Anschuldigung gegen Hadhrat AishaRA erkundigte, weigerte sie sich, eine Antwort zu geben. Sie sagte: ›Wenn ich diese Anschuldigung akzeptiere, dann ist dies eine Lüge, und wenn ich sie zurückweise, dann werden die Menschen mich nicht als aufrichtig ansehen. Deshalb werde ich auf nichts antworten. Gott ist mein Zeuge.‹ Und so unterstützte Gott sie in dieser Angelegenheit und sprach sie von allen Anschuldigungen frei. Ein öffentlicher Eid in dieser Angelegenheit ist daher vor Gericht nicht zulässig und hat auch keine Beweiskraft. Nach der Scharia wird der Kläger als Lügner betrachtet, wenn er nicht vier Zeugen vorweisen kann. Würde dieses Urteil in Übereinstimmung mit der islamischen Scharia ergehen, würde der Kläger mit Peitschenhieben bestraft werden. Selbst wenn Zeugen tatsächlich etwas gesehen haben, ist es ihre Pflicht, zu schweigen und nicht zu verraten, was Gott verborgen hat.«[19]

Nach der islamischen Lehre ist die betroffene Person im Falle einer Gewaltanwendung [Vergewaltigung, sexuelle Nötigung] verpflichtet, die zuständigen Behörden unverzüglich zu informieren. War die Person aus welchen mildernden Umständen auch immer dazu nicht in der Lage, so muss sie auch den Grund für die verspätete Anzeige bei den Behörden angeben. In Bezug auf eine Frau, die eine Vergewaltigung anklagt, sagt Hadhrat Khalifatul Masih IVRH:

»Meiner Meinung nach ist dies eine Angelegenheit, die streng in die Kategorie des Ta’zir fällt, und die Untersuchung rund um die Anschuldigung sollte entsprechend durchgeführt werden. Wenn sich die Anschuldigung bestätigt, sollte der Fall über Ta’zir gelöst werden.«[20]

In Bezug auf den Vorwurf der Vergewaltigung, der von einer Frau erhoben wurde, billigte Hadhrat Khalifatul Masih IV.RH die folgenden Vorschläge der Majlis Ifta’ (Gerichtsrat):

1. Eine Frau, die Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, kann sich an die zuständigen Behörden wenden, und sie muss nicht vier Zeugen benennen. Wie bei anderen Straftaten werden auch in diesem Fall Indizienbeweise berücksichtigt. Bezüglich Entscheidungen über Urteile aufgrund von Indizienbeweisen, so gelten in solchen Fällen die Verse 27 bis 29 der Sure Yusuf als Richtschnur. 

2. Sollte eine solche Frau nicht in der Lage sein, Beweise zur Untermauerung ihrer Behauptung vorzulegen, wird sie nicht mit der Strafe des Qadhf (falsche Anschuldigung) belegt. Es sei denn, es ist erwiesen, dass die klagende Frau diese Anschuldigung in böser Absicht erhoben hat und dass sie eine solche Anschuldigung nur deshalb vorgebracht hat, um den Beklagten zu entehren und zu verleumden und sie sich damit selbst belastet hat. Wenn der Beklagte in einem solchen Fall Anklage erhebt, kann das Gericht eine angemessene Strafe für die Frau vorschlagen, die die Anschuldigung erhoben hat.

3. Das Opfer einer Vergewaltigung sollte die zuständigen Behörden so schnell wie möglich über das Verbrechen informieren. Wenn das Opfer dies jedoch aufgrund bestimmter Umstände oder aus Angst vor Schande verzögert, wird die Klage der Ankläger in einem solchen Fall grundsätzlich nicht abgewiesen. Wenn jedoch während dieser Verzögerung Beweismittel verloren gehen, ist der Kläger dafür verantwortlich. Ungeachtet dessen obliegt es dem Gericht, diese Gründe für die Verzögerung bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen.[21]

In Bezug auf den im dritten Absatz erwähnten Punkt gab Hadhrat Khalifatul Masih IV.RH die folgenden Hinweise, die von seinem Privatsekretär notiert und in denselben Bericht aufgenommen wurden:

»Alle Empfehlungen sind akzeptabel, aber warum kann die Anzeige des Klägers nicht wegen der Verzögerung bei der Meldung des Vorfalls abgewiesen werden? In solchen Angelegenheiten hat der Heilige ProphetSAW sofort gehandelt. Während einer Verzögerung hätte man genauso auch vor Gott bereuen (taubah) können. Wenn eine Frau den Entschluss fasst, den Vorfall nach einer Verzögerung zu melden, dann sollte ihr nicht das Recht gegeben werden, sich auf irgendetwas aus der Vergangenheit zu berufen. Wenn der Täter, nachdem er gewarnt wurde, seinen Missbrauch fortsetzt, sollte die Klägerin nur den jüngsten Vorfall melden, was als sofortige Meldung des Vorfalls gelten würde. Ansonsten ist unbekannt, was die beiden Personen in der Vergangenheit einvernehmlich getan haben.«[22]

Aus dem Heiligen Qur’an, den Aussprüchen des Heiligen ProphetenSAW und der oben erwähnten Anleitung [des Verheißenen MessiasAS und der Khulafa] wird deutlich, dass im Lichte der islamischen Lehren jede Art von Missbrauch von der betroffenen Partei verlangt, den Vorfall sofort zu melden und bei den zuständigen Behörden Gerechtigkeit zu suchen. Wenn die betroffene Partei aufgrund bestimmter Umstände dazu nicht in der Lage ist und den Vorfall erst später bei den zuständigen Behörden meldet, sind die Behörden berechtigt, vor Beginn ihrer Ermittlungen in der Angelegenheit die Ursache für die Verzögerung zu erörtern, um festzustellen, ob die Situation den Kläger tatsächlich daran gehindert hat, den Vorfall rechtzeitig zu melden oder nicht.

Die Strafe für Vergewaltigung

Wie bereits erwähnt, fällt die Vergewaltigung im Lichte der islamischen Strafen und ihrer Terminologie in die Kategorie der Ta’zirat. Die Bestrafung solcher Straftaten hängt also von der Art des Verbrechens ab. Die Ahadith bestätigen, dass der Täter, dem Vergewaltigung vorgeworfen wird, dem Rajm, d.h. der Steinigung, unterworfen wird.[23]

Der Verheißene MessiasAS schreibt, während er die Strafe der Steinigung im Islam näher erläutert:

»Wir haben zu Genüge Antwort darüber gegeben, dass aus dem Qur’an die Kritik der Determiniertheit nicht zutrifft, noch betrachten wir uns als Anhänger des Zwangs. Sie haben keine Kenntnisse von den Lehren der Muslime. Sie wissen nicht einmal, zu welcher Gegebenheit Allah im Qur’an das Abhacken der Hand eines Diebes und die Steinigung von Ehebrechern klar geboten hat. Wenn es eine Lehre des Determinismus gäbe, wer hätte dann gesteinigt werden können? Der Qur’an führt nicht einen oder zwei, sondern hunderte Verse über die Handlungsfreiheit des Menschen aus. Wenn Sie mögen, kann eine vollständige Liste vorgelegt werden.«[24]

Hadhrat Khalifatul Masih IV.RH erklärt, während er sich mit der Frage der Steinigung befasst:

»Da das Wort Steinigung [im oben erwähnten Zitat des Verheißenen MessiasAS] hier eindeutig erscheint und der Begriff Zina sich nicht nur auf Unzucht bezieht, sondern auch das Verbrechen der Vergewaltigung einschließen kann, wurde diese Strafe meiner Ansicht nach nicht einfach für Unzucht verhängt, sondern für eine solche Unzucht, bei der eine Frau missbraucht und grausam behandelt wurde und für immer gezeichnet ist. Dies ist keine gewöhnliche Unzucht, sondern ein Akt der Grausamkeit, der an einer unschuldigen Frau begangen wurde. Wenn also der Heilige Qur’an die Strafe für Unzucht auf alle anderen damit zusammenhängenden Angelegenheiten anwenden würde, wären die Lehren des Heiligen Qur’an unvollständig, denn ohne die gesamte Situation zu berücksichtigen, wird dieselbe Strafe, die für ein geringfügiges Verbrechen verhängt wird, auch für ein schweres und entsetzliches Verbrechen verhängt. Aus diesem Grund hat der Vers [des Heiligen Qur’an zu diesem Thema] die Angelegenheit offen gelassen und der Gesellschaft das Recht gegeben, bestimmte Strafen festzulegen, wenn sie ein bestimmtes Verbrechen für sehr schwerwiegend hält, oder wenn die betreffenden Täter äußerst bösartig sind. Zu diesen abscheulichen Verbrechen gehört, wie ich bereits erwähnt habe, die Vergewaltigung. Wenn der Verheißene MessiasAS darauf Bezug nimmt [d.h. auf die Steinigung], müssen wir dies aufgrund der Tatsache, dass es keinen anderen Bezug gibt, im Lichte des spezifischen Kontextes [der Vergewaltigung] lesen. Ansonsten wird in der Sure An-Nur, wo diese Angelegenheit [der Unzucht] erwähnt wird, nichts von [Vergewaltigung] erwähnt.«[25]

Zur Untermauerung der oben genannten Haltung des Verheißenen MessiasAS zitiert Hadhrat Khalifatul Masih IV.RH den folgenden Vers und erläutert ihn mit den folgenden Worten:

[Der Lohn derer, die Krieg führen gegen Allah und Seinen Gesandten und Unordnung im Lande zu erregen trachten, ist der, dass sie getötet oder gekreuzigt werden sollen, oder dass ihnen Hände und Füße an gegenüberliegenden Seiten abgeschlagen werden sollen für ihre Feindschaft, oder dass sie aus dem Lande vertrieben werden. Das soll eine Schmach für sie sein in dieser Welt; und im Jenseits wird ihnen schwere Strafe.] Sure al-Maidah, Vers 34

»Angesichts eines Urteils des Heiligen ProphetenSAW hat dieser Vers also einen Zusammenhang mit dem Thema Unzucht. Der Heilige ProphetSAW verurteilte einen Sklaven, der Unzucht mit einer freien Frau beging, zu Peitschenhieben und verbannte ihn außerdem für ein Jahr. Im Kontext des Begriffs »fasād« [Unordnung] in diesem Vers können also solche Strafen [wie im obigen Vers erwähnt] verhängt werden, wenn die Dinge äußerst schwerwiegend sind und die Grausamkeit alle Grenzen überschreitet und schwerwiegend wird. Doch zur Zeit des Heiligen ProphetenSAW wurde niemand gekreuzigt, und es wurden auch keine Gliedmaßen abgetrennt, obwohl es Aufzeichnungen über Verbannung gibt. Wenn es also die Strafe der Steinigung gab, habe ich bereits erwähnt, dass sie für Unzucht verhängt wurde, wenn entweder der Täter ein Jude war (und daher nach seinem Gesetz gerichtet wurde), oder bevor Sure An-Nur offenbart wurde (wovor ebenfalls wieder nach jüdischem Gesetz gerichtet wurde). Die in diesem Vers [Sure Al-Maidah, Vers 34] erwähnte Steinigungsstrafe ist nur bei besonders abscheulichen Verbrechen anwendbar, zum Beispiel bei Vergewaltigung. Wenn in einem solchen Fall der Täter [der Vergewaltigung] zu hundert Peitschenhieben verurteilt wird und andere [die sich der einvernehmlichen Unzucht schuldig gemacht haben] ebenfalls zu hundert Peitschenhieben verurteilt werden, dann kann die menschliche Natur ein solches Urteil nicht akzeptieren. Wenn zum Beispiel ein unschuldiges junges Mädchen, das noch nicht volljährig ist, auf grausame Weise zur Zielscheibe der fleischlichen Begierde eines Menschen gemacht wird – was in der heutigen Gesellschaft an der Tagesordnung steht -, dann ist das arme Mädchen für den Rest seines Lebens am Boden zerstört. Selbst in den besten Krankenhäusern sind große Anstrengungen und Mittel erforderlich, um einem Opfer zu helfen, und trotzdem überlebt es vielleicht oder vielleicht auch nicht. Ihr gesamtes inneres Gleichgewicht ist zerstört. Sollte ein solcher Täter in einem solchen Fall nur zu hundert Peitschenhieben verurteilt werden? Wenn die menschliche Natur danach schreit, dass solch elende Individuen zu einer harten Strafe verurteilt werden, unterstützt dieser Vers solche Gefühle, und die Strafe der Steinigung wird somit anwendbar. 

Ob es sich nun um das Verbrechen der Vergewaltigung oder des Missbrauchs von Kindern handelt, die menschliche Natur selbst verlangt eine härtere Bestrafung. Dieser Vers des Heiligen Qur’an stimmt mit diesen Empfindungen überein und unterstützt sie. Es ist dieser Vers, der es erlaubt, bestimmte Strafen zu verhängen, aber nur unter außergewöhnlichen Umständen. Mit außergewöhnlichen Umständen ist gemeint, dass einige Formen der Bestrafung zu Lebzeiten des Heiligen ProphetenSAW nie verhängt wurden; ein Verbrechen von dieser Schwere fand nie statt, das den Heiligen ProphetenSAW zu einer solchen Entscheidung veranlasst hätte. Wenn es zu einer derartigen Situation kam, wurden schwere Strafen wie zum Beispiel die Verbannung verhängt.«[26]

Eine Frage zu dieser Angelegenheit hat Seine Heiligkeit, Hadhrat Khalifatul Masih V.ABA, in einem Brief vom 15. Oktober 2018 beantwortet:

»Wenn unerlaubte sexuelle Beziehungen, die einvernehmlich sind, durch die islamische Methode von Zeugen bewiesen werden, dann ist es für die beiden beteiligten Parteien vorgeschrieben, sie zu hundert Peitschenhieben zu verurteilen. Im Falle einer Vergewaltigung, die eine grausame und unmenschliche Tat ist, oder wenn ein Unzüchtiger sich an Kindern vergreift und ein solch abscheuliches Verbrechen begeht, kann der Täter jedoch nicht nur zu einhundert Peitschenhieben verurteilt werden. Ein solcher Verbrecher würde dann mit schweren Strafen wie dem Tod und der Steinigung belegt werden, wie aus den Lehren in Vers 34 der Sure Al-Maidah und den Versen 61 bis 63 der Sure Al-Ahzab hervorgeht. Allerdings wurde den regierenden Behörden das Recht eingeräumt, diese Strafe zu verhängen, und angesichts dieser Lehren wurde den regierenden Behörden gestattet, diese Vorgehensweise umzusetzen. Es sind also genau diese Verse des Heiligen Qur’an, aus denen der Verheißene MessiasAS die Strafe der Steinigung für einen Unzüchtigen [d.h. Vergewaltiger] von dieser Schwere abgeleitet hat.«[27]

In Bezug auf die Methoden zur Feststellung des Verbrechens der Vergewaltigung, seine Bestrafung, die Strafe für denjenigen, der jemanden fälschlicherweise der Vergewaltigung beschuldigt, und die Überlegenheit der vom Islam entwickelten Gesetze im Vergleich zu weltlichen Gesetzen, erklärt Hadhrat Khalifatul Masih IV.RH:

»In weltlichen Angelegenheiten gibt es den Nachteil, dass niemand Wissen über das Unsichtbare hat. Daher muss in jedem Fall ein Urteil in Bezug auf den Kläger und den Beklagten gefällt werden. Wenn für [falsche Anschuldigungen] keine Strafe vorgesehen ist, werden das Leben und die Ehre der Unschuldigen aufs Spiel gesetzt. Dies ist ein gefährlicher Fehler in diesem säkularen Rechts- und Justizsystem. Es sollte eine vorgeschriebene Strafe geben, und es sollte eine gründliche Untersuchung stattfinden. Wenn nach Abschluss der Ermittlungen kein Urteil gefällt werden kann, können die Behörden erklären, dass die Angelegenheit noch immer uneindeutig ist und die Frau, die die Anschuldigungen erhoben hat, ihre Behauptungen nicht belegen konnte. Aus diesem Grund sollte eine Strafe gegen sie verhängt werden. Sie sollte für den Strafbestand der Verleumdung und der Diffamierung haftbar gemacht werden. 

Wenn gesagt wird, dass dies ein Hindernis für diejenigen sein könnte, die wirklich Opfer sind, dann gibt es meiner Meinung nach keinen Grund, warum dies ein Hindernis sein soll, denn in der heutigen Zeit kann diese Angelegenheit durch wissenschaftliche Methoden auch ohne die Anwesenheit von Zeugen nachgewiesen werden. Im Falle einer Vergewaltigung kann auch ein normaler Arzt, der nicht auf die Untersuchung genetischer Spuren spezialisiert ist, feststellen, ob es sich tatsächlich um eine Vergewaltigung oder um eine böswillige Unterstellung handelt. Ich verstehe nicht, warum Frauen, denen Unrecht widerfahren ist, daran gehindert werden [den Fall anzuzeigen], nur weil eine Person, die eine falsche Anschuldigung erhebt, ebenfalls bestraft wird.

Zumindest sollte dies Frauen, die Opfer wurden, keineswegs entmutigen. Allerdings gab es zum Beispiel einen Fall in Amerika. [Mike] Tyson, ein berühmter Boxer, der vielleicht vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde, ist von einer Frau der Vergewaltigung beschuldigt worden. Er wurde für drei Jahre ins Gefängnis gesteckt und musste eine hohe Geldstrafe zahlen. Ein solcher Fall kann auch unzüchtige und hinterhältige Frauen animieren und ermutigen, jemanden zu verführen, wann immer sie wollen. Unabhängig davon, ob die Zielperson in die Falle geht oder nicht, besteht die Möglichkeit und Gefahr, dass sie für das Verbrechen belangt wird. Er würde zu einer Geldstrafe verurteilt, in Ungnade fallen und verleumdet werden; alle diese Folgen sind möglich. 

Die heute verbreiteten Boulevardzeitungen leben von der Veröffentlichung solcher Geschichten. 

Wenn dies in einer solchen Gesellschaft nicht unterbunden wird, ist es eine große Ungerechtigkeit. Die Gerichte akzeptieren solche Fälle, die eine lange Geschichte von Interaktionen [zwischen den beiden Parteien] beinhalten. In diesem Fall [von Mike Tyson] war es nicht so, dass die Frau behauptete, missbraucht worden zu sein, und sie sofort zu einer medizinischen Untersuchung ging und einen Polizeibericht einreichte und sofort untersucht wurde. Die Wahrheit ist, dass sie häufig das Hotel besuchte, in das er sie eingeladen hatte. Danach hat sie geschwiegen. 

Ein solcher Fall würde vom Islam niemals akzeptiert werden, denn wenn er akzeptiert werden könnte, würde auch die Frau bestraft werden. Es ist durchaus möglich, dass sie auch etwas damit zu tun hat. Und wenn sich herausstellt, dass der Mann die Anschuldigungen zurückweist, dann würde er nicht zur Rechenschaft gezogen werden, aber sie wäre haftbar. [Dies wäre das Ergebnis], außer in dem Fall, dass vier Zeugen vorgebracht werden. Aus diesem Grund hat der Heilige Qur’an dem Schutz der Unschuldigen größere Bedeutung beigemessen. Er legt mehr Wert auf den Schutz der Unschuldigen als auf die Verurteilung des Verbrechers. Der Verurteilung eines Verbrechers wird auch deshalb weniger Bedeutung beigemessen, weil eines Tages jeder zu Allah, dem Allmächtigen, zurückkehren wird und niemand in der Lage sein wird, Ihm zu entkommen. Selbst säkulare Gesetze besagen, dass der Schutz der Unschuldigen von entscheidender Bedeutung ist, selbst wenn eine Handvoll Krimineller freigelassen wird, um eine einzige unschuldige Person zu retten. Heutzutage wird in der westlichen Welt mit jedem Tag denjenigen mehr Schutz gewährt, welche die Anschuldigungen erheben, als denjenigen, die wirklich unschuldig sind. Und dies geschieht unter dem Deckmantel des Schutzes des sogenannten Opfers. Diese Ideologie hat ein solches Ausmaß angenommen, dass diejenigen, die falsche Anschuldigungen erheben, immer dreister werden und das Leben unschuldiger Menschen in Gefahr ist; ihre Ehre und Würde steht auf dem Spiel. Zweifellos ist Allah allein derjenige, dessen Gesetze vollkommen sind, daher sollten die Gesetzgeber zumindest versuchen, den von Gott geschaffenen Gesetze zu folgen und Gesetze zu erlassen, die diese Grundlage im Auge behalten.«[28]

Kurz gesagt, gemäß dem Heiligen Qur’an, den Praktiken des Heiligen ProphetenSAW, den Ahadith und der Führung des Verheißenen MessiasAS und seiner geschätzten Kalifen ist es eine erwiesene Tatsache, dass es ein ausgezeichnetes System gibt, welches der Islam anbietet, um Verbrechen der Unzucht und der Vergewaltigung zu belegen, die Täter zu bestrafen, falls ihre Verbrechen ans Licht kommen, und auch um die Erhebung falscher Anschuldigungen zu bestrafen. Dieses System von Hudud [pl. Hadd] und Ta’zirat [pl. Ta’zir] wurde von Allah, dem Allmächtigen, und Seinem GesandtenSAW verkündet; es ist ewig gültig und anwendbar und war in den letzten 1450 Jahren ein Garant für Barmherzigkeit und Segen, Frieden und Sicherheit, Gleichgewicht und Gerechtigkeit, Ehre und Würde sowie gesellschaftliche und individuelle Reformen für alle seine Befolger. In jedem Zeitalter haben sich die Auserwählten Gottes an diese Gesetze gehalten und dieses System auf Grundlage der Führung und des Wissens, das Gott, der Allmächtige, ihnen in ihrer Epoche verliehen hat, erläutert und weiterentwickelt; und in ihrer jeweiligen Epoche haben sie diese Grundlagen weiter gefestigt. Dies ist ein System, das von keinem anderen Gesetzbuch der Welt übertroffen wird. Um jedoch in den Genuss dieses göttlichen Systems zu kommen, ist wie bei allen anderen Lehren des Islam die erste und wichtigste Voraussetzung, dass man Rechtschaffenheit annimmt. 

Möge Allah, der Allmächtige, uns alle befähigen, die höchsten Standards der Rechtschaffenheit zu erreichen. Möge Er uns befähigen, nach den Geboten des Heiligen Qur’an, den Praktiken und der Führung des Heiligen ProphetenSAW und den Aussprüchen seines geistigen Sohnes und wahren Dieners [des Verheißenen MessiasAS] zu handeln und in den Fußstapfen all derer zu folgen, die in Form der zweiten Manifestation der Macht Gottes gekommen sind, so dass dies das Mittel zur Reformierung unseres Lebens in dieser Welt und im Jenseits wird. Amin, o Herr aller Welten. 

Über den Autor: Zaheer Ahmad Khan ist ein Imam der Ahmadiyya Muslim Gemeinde, der sich auf den Bereich der islamischen Rechtswissenschaft [Fiqah] spezialisiert hat. Er ist unter anderem Dozent an der Jamia Ahmadiyya Großbritannien für die Fächer Hadith und Fiqah, wo er auch als Leiter des akademischen Ausschusses fungiert. Er ist auch Mitglied von Dar-ul-Qaza [Ahmadiyya-Schiedsgerichtsrat] und tritt regelmäßig bei MTA International als Diskussionsteilnehmer in Programmen zur islamischen Rechtsprechung auf.

[1] Al Badr Bd. 1 Nr. 5. 6, 28. November – 5. Dezember 1902 S. 35.
[2] Tiryaq al-Qulub, Ruhani Khaza’in, Bd. 15, S. 318.
[3] Sunan Abi Dawud, Kitab al-Hudud, Bab fi al-Satr ‘ala Ahl al-Hudud.
[4] Mu’ta Imam Malik, Kitab al-Hudud, Bab al-Rajm.
[5] Sahih Muslim, Kitab al-Hudud, Bab man I’tarafa ‘ala Nafsih bi al-Zina.
[6] Sunan Abi Dawud, Kitab al-Hudud, Bab Rajm Ma’iz bin Malik.
[7] Sahih al-Bukhari, Kitabl al-Hudud, Bab Iza Aqarra bi al-Hadd wa lam Yubayyin hal li al-Imam an Yastur ‘alay.
[8] Sunan Abi Dawud, Kitab al-Hudud, Bab Rajm Ma’iz bin Malik.
[9] Sunan Abi Dawud, Kitab al-Hudud, Bab Iza Aqarra al-Rajul bi al-Zina wa lam Tuqirr al-Mar’at.
[10] Sahih al-Bukhari, Kitab al-Hudud, Bab al-I’tiraf bi al-Zina.
[11] Sahih al-Bukhari, Kitab al-Buyu’,Bab Tafsir al-Mushabbahat.
[12] Sunan Abi Dawud, Kitab al-Hudud, Bab fi Sahib al-Hadd Yaji’ fa Yuqirr.
[13] Der Heilige Qur’an 45:7.
[14] Al Haq Mubahitha Ludhiana, Ruhani Khaza’in, Bd. 4, S. 11–12.
[15] Fath al-Wadood, Sharh Sunan Abi Dawud, Kitab al-Hudud, Bab fi Sahib al-Hadd Yaji’ fa Yuqirr.
[16] Der Heilige Qur’an 24:34.
[17] Sunan Ibn Majah, Kitab al-Talaq, Bab Talaq al-Mukrah wa al-Nasi.
[18] Hadhrat Mirza Bashiruddin Mahmud AhmadRA, Tafsīr-e kabīr Bd. 6, S. 260–266.
[19] Al-Fazl Qadian Nr. 9, Bd. 11 (7 August 1923), S. 6.
[20] Maktub Hadhrat Khalifatul Masih IV.RH an den Sekretär von Majlis Ifta’ (28 Juli 1993).
[21] Report Majlis Ifta’ (23 April 1998), genehmigt am 7. Mai 1998.
[22] Rechtleitung von Hadhrat Khalifatul Masih IV.RH, (7. Mai 1998) bezüglich dem Bericht von Majlis Ifta’ am 23. April 1998).
[23] Sunan Abi Dawud Kitab al-Hudud, Bab fi Sahib al-Hadd Yaji’ fa Yuqirr.
[24] Ǧang-e muqaddas, Rūḥānī ḫazāʾin, Bd. 6, S. 252, [Dt. Ü.: Der Heilige Krieg, S. 319 f.].
[25] Dars al-Qur’an, gehalten am 24. Ramadhan (14. Februar 1996).
[26] Dars al-Qur’an, gehalten am 24. Ramadhan (14. Februar 1996).
[27] Bunyadi Masa’il Ke Jawabaat #7, Al-Fazl International, Bd. 28, Ausgabe 07 (22. Januar 2021) S. 12.
[28] Frage und Antwort Sitzung (24. März 1995).

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