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Der wahre Islam

Hadhrat Mirza Bashiruddin Mahmud AhmadRA, auch als Hadhrat Musleh Mau’ud bekannt, war der Zweite Kalif und weltweites Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Jamaat und diente in dieser Funktion von seiner Wahl im Jahr 1914 bis zu seinem Tod im Jahr 1965. Während seines ein halbes Jahrhundert umfassenden Kalifats hielt er Dutzende von Ansprachen zu einer Vielzahl von Themen. Bis dato waren viele davon nur in der Originalsprache Urdu verfügbar. Das Team von Die Revue der Religionen übersetzt derzeit viele dieser Reden ins Deutsche und ist erfreut, die folgende aus dem Jahre 1953 stammende Ansprache erstmalig in deutscher Sprache veröffentlichen zu dürfen.

Nach der Rezitation von tašahhud, ta’awwuḏ und Sure al-Fātiḥa sagte Hadhrat Khalifatul Masih IIRA:

»Das Wort Islam, das im Heiligen Qur’an erwähnt wird, wurde nicht nur für die Religion verwendet, die dem Heiligen ProphetenSAW offenbart wurde, sondern auch die wahren Anhänger früherer Religionen wurden von Gott dem Allmächtigen als Muslime bezeichnet. Diese Anhänger beschränkten sich in der Geschichte nicht auf eine begrenzte Zeitspanne; vielmehr geht aus dem Heiligen Qur’an hervor, dass diejenigen, die in der Zeit des Propheten AbrahamsAS lebten und ihn akzeptierten, ebenso wie diejenigen, die die Propheten, die nach ihm kamen, akzeptierten, ebenfalls durch den Heiligen Qur’an zu Muslimen erklärt worden sind. Im Lichte dieses qur’anischen Ausdrucks können wir schlussfolgern, dass sich der Begriff »Islam« auf die Gefolgschaft des Heiligen ProphetenSAW bezieht, wenn er in Bezug auf eine bestimmte Gruppe von Menschen verwendet wird. Wer auch immer an den Heiligen ProphetenSAW, den Heiligen Qur’an, den Tag des Jüngsten Gerichts und an die göttliche Bestimmung glaubt, ist ein Muslim. Es existiert jedoch ein entscheidender Unterschied, der darin besteht, dass man erst nach dem Erscheinen des Heiligen ProphetenSAW an ihn glauben kann. Wie könnten also diejenigen, die vor ihm erschienen sind und überhaupt kein Wissen über ihn hatten, auch als Muslime bezeichnet werden? Im Gegensatz zu den Christen besagt unsere Lehre nicht, dass diejenigen, die vor dem Heiligen ProphetenSAW erschienen sind, sich auch zu ihm bekannt haben. Dies ist ausschließlich eine christliche Doktrin, indem sie glauben, dass alle Propheten, die vor JesusAS erschienen sind, an ihn geglaubt haben. 

Ich hatte einmal die Gelegenheit, mit einem prominenten christlichen Priester zu debattieren, der darüber hinaus der Direktor eines religiösen Instituts war. Ich sagte zu ihm, seinem Glauben nach könne man keine Erlösung erlangen, ohne an das Konzept der Sühne zu glauben. Das Konzept der Sühne existiert jedoch erst seit 1900 Jahren, wobei gemäß verschiedener religiöser Überlieferungen die Menschen seit Tausenden von Jahren auf dieser Welt leben, wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge gibt es Leben auf der Erde seit Millionen gar Milliarden von Jahren. Wie also erlangten sie in all dieser Zeit die Erlösung? Wenn man bekundet, sie hätten keine Erlösung erlangt, so würden in diesem Fall auch AdamAS, NoahAS, AbrahamAS, ZachariasAS, HesekielAS, die alle in der Bibel erwähnt werden, die Erlösung nicht erlangt haben – Gott bewahre. Wenn sie andererseits die Erlösung erlangt hätten, müsste man zugestehen, Erlösung könne ohne den Glauben an den Messias erlangt werden. Er antwortete erstaunt: ›Wer sagt denn, dass sie alle die Erlösung erlangt hätten, ohne an den Messias zu glauben? Sie haben alle an den Messias geglaubt.‹ Ich fragte ihn, welche Verse der Bibel dieses Argument stützen, denn man könne solche Behauptungen nicht aufgrund bloßer Vermutungen aufstellen.

Ich wandte ein, weshalb der Messias denn nicht zur Zeit AdamsAS gesandt wurde, sondern erst nach einer so langen Zeitspanne, obgleich es doch essenziell wäre, sich zum Glauben an den Messias zu bekennen. Er antwortete, dass damals das menschliche Gehirn nicht genug entwickelt war, um das Konzept der Sühne zu verstehen. Deshalb hatte Gott der Allmächtige den Messias nicht zu Beginn gesandt, sondern erst, als die Menschheit in der Lage war, dieses Konzept vollständig zu begreifen. Ich fragte daraufhin, wie sie denn die Erlösung erlangt hätten, wenn sie nicht einmal in der Lage waren, dieses Konzept zu verstehen, und warum Allah der Allmächtige den MessiasAS nicht früher gesandt habe, falls sie fähig gewesen wären, es zu verstehen. Kurz gesagt, es ist die christliche Doktrin, dass auch die früheren Propheten an den Messias glaubten; die Muslime hingegen vertreten diese Überzeugung nicht. Auch wenn der Heilige Qur’an darauf hinweist, dass frühere Propheten das Erscheinen des Heiligen ProphetenSAW prophezeiten, so bedeutet dies im weiten Sinne, dass ein Prophet erscheinen wird. Es ist nicht so, dass jener, der das Erscheinen eines zukünftigen Propheten voraussagt, sich auch zum Glauben an sein Prophetentum bekennt. Nichtsdestotrotz erklärt der Heilige Qur’an auch alle diese Propheten und ihre Gefolgschaften zu Muslimen. 

Daraus entnehmen wir, dass es zwei Arten von Muslimen gibt. Zum einen sind es diejenigen, die zur Umma [Gefolgschaft] des Heiligen ProphetenSAW gehören und wenn zum anderen die Bedeutung des Wortes Muslim auf einen Menschen zutrifft, so wird dieser gemäß der [folgenden] qur’anischen Definition als Muslim bezeichnet. Das Wort Muslim beschreibt denjenigen, der sich unterwirft, Gehorsam zeigt und die Gebote des allmächtigen Gottes befolgt. Ungeachtet dessen, ob nun jemand an die Lehre glaubt, die JesusAS oder DavidAS oder AbrahamAS offenbart wurde, sind sie alle Muslime in dem Sinne, dass sie völligen Gehorsam gegenüber den Geboten des allmächtigen Gottes zeigen. Der Begriff Muslim in der Zeit NoahsAS würde jenen beschreiben, der der Lehre folgte, die NoahAS offenbart wurde und ihr gehorchte. Ebenso würde die Bedeutung des Wortes Muslim in der Zeit AbrahamsAS auf jenen zutreffen, der den Geboten AbrahamsAS folgte und somit ein Muslim war. In ähnlicher Weise würden zur Zeit von MosesAS und JesusAS diejenigen, die ihre Lehren akzeptierten, als Muslime angesehen werden. 

In der heutigen Zeit indessen wird jemand lediglich wegen seines Glaubens an den Heiligen ProphetenSAW als Muslim bezeichnet, obgleich die Möglichkeit besteht, dass einige den Islam nicht wirklich verkörpern. Zum Beispiel werden einige Leute Hatam Khan genannt [im Volkstum war Hatam für seine außerordentliche Großzügigkeit bekannt], obwohl sie in Wirklichkeit geizig sind; oder sie tragen den Namen Abdur Rahman, doch in Wirklichkeit sind sie Diener Satans. Die andere Bedeutung des Begriffs Muslim würde der wahren Essenz des Wortes entsprechen. So gibt es diejenigen, die sich nur namentlich als Muslime bezeichnen, so wie sich einige als Christen, andere wiederum als Juden bezeichnen. Genauso nennen wir uns Muslime. Nach der anderen Definition ist jedoch derjenige, der sich vollständig an die Lehren des Heiligen ProphetenSAW hält, ein Muslim; so wie ein Anhänger JesuAS ein Muslim ist, der Anhänger MoseAS ein Muslim ist und einer, der an AbrahamAS glaubt, ebenfalls ein Muslim ist. Wir haben also die Auszeichnung, in beiderlei Hinsicht ein Muslim zu sein. Erstens sind wir Muslime, so wie die Anhänger aller anderen Propheten als Muslime bezeichnet werden, und zweitens sind wir als Gemeinschaft [durch den Heiligen Qur’an] zu Muslimen erklärt worden.1

Es besteht kein Zweifel, dass dieser Name als gutes Omen dienend gewählt wurde, so wie Eltern ihrem Kind einen Namen geben, mit dem Unterschied jedoch, dass Eltern es nicht vermögen, dem Kind dieselben Eigenschaften einzugeben, die sich in dem Namen widerspiegeln. Sie können ihr Kind Bahadur Khan [tapfer] nennen, das Kind allerdings mag womöglich so ängstlich sein, dass es sich sogar vor einer Maus fürchtet. Oder sie können ihr Kind Hatam Khan nennen und dennoch ist es vielleicht ausgesprochen geizig. Wenn im Vergleich dazu Allah der Allmächtige jemandem einen Namen gibt, dann besitzt Er auch die Macht, ihm die entsprechenden Eigenschaften zu verleihen. Daher wird dieser Name nicht einfach als gutes Omen verwendet, sondern Gott der Allmächtige möchte, dass die Person den Namen tatsächlich verdient. 

Obwohl das Wort Muslim also nur ein Name ist, der uns gegeben wurde, beinhaltet er auch ein subtiles Versprechen, dass die Anhänger des Heiligen ProphetenSAW dazu befähigt werden würden, die Gebote Allahs des Allmächtigen zu befolgen, sofern sie sich darum bemühen würden. Folglich bedeutet wahrer Islam, den Geist in uns zu wecken, die Gebote Allahs des Allmächtigen zu befolgen und vollständigen Gehorsam zu zeigen, sobald wir sie vernehmen. Jede Person, die sich selbst als Muslim bezeichnet, ist ein Muslim.

Der Heilige ProphetSAW sagte:

اَلْوَلَدُ‭ ‬یُوْلَدُ‭ ‬عَلَی‭ ‬الْفِطْرَةِ

Das bedeutet, jedes Kind wird mit reiner Natur geboren. Es sind die Eltern, die dem Kind ihre eigene Religion beibringen und es so entweder zum Juden, Christen oder Zoroastrier machen.2 Ein Kind wird jedoch mit reiner Natur geboren, das heißt, Gottesfurcht und Liebe zu Ihm sind in seinem Herzen verankert. 

So hat Allah der Allmächtige alle Mittel bereitgestellt, durch die die Muslime Fortschritte erzielen können. Einerseits hat Gott jedes Kind von Geburt an mit einer reinen Natur ausgestattet. Andererseits hat Er für die Muslime ein solches Umfeld geschaffen und ihre Religion so dargelegt, dass sie sie – wenn sie es wollten – leicht befolgen können und so in der Lage sind, zu Empfängern der Belohnungen Allahs des Allmächtigen zu werden.

Als Gott der Allmächtige zum Beispiel verfügte, dass die Anhänger des Heiligen ProphetenSAW Muslime genannt werden sollten, bedeutete dies, dass sie zu wahren Muslimen werden konnten, wenn immer sie dies wünschten. Eines der Mittel, das Gott der Allmächtige hierfür zur Verfügung stellte, war die Bewahrung des Heiligen Qur’an für alle Zeiten. Es gibt Hunderte von Christen selbst verfasste Bücher über das Christentum, in denen sie zugeben, dass die Bibel Interpolationen und Veränderungen erfahren hat. Im Gegensatz dazu haben selbst die erbittertsten Gegner des Islam zugegeben, dass der Heilige Qur’an heute in genau derselben Form existiert, wie er ursprünglich vom Heiligen ProphetenSAW der Welt überbracht wurde. Ein erbitterter Gegner des Islam, Sir William Muir, schrieb, es sei dahingestellt, dass wir den Qur’an als falsch ansehen oder von dem Überbringer des Buchs behaupten, dass er von sich aus die Inhalte präsentiert hat. Dennoch könne niemand die Tatsache leugnen, dass eben dieser Qur’an, wie er uns heute vorliegt, exakt dieselbe Fassung darstellt, wie sie von MuhammadSAW einst der Welt präsentiert wurde.3

Im Grunde würde ein Gegner natürlich behaupten, dass der Heilige Qur’an ein Werk des Heiligen ProphetenSAW selbst sei, ungeachtet dessen jedoch ist es in der Tat ein herausragendes Zeugnis, dass der Heilige Qur’an heute in derselben Form existiert, wie er einst vom Heiligen ProphetenSAW der Welt überbracht wurde. Sie sagen dies über den Heiligen Qur’an, können aber nicht dasselbe von den Evangelien behaupten. Tatsächlich brachten einige Christen sogar ihren Neid darüber zum Ausdruck, sie könnten die Evangelien auf ähnliche Weise beschreiben. Dies ist in der Tat eine große Vorzüglichkeit und Auszeichnung des Heiligen Qur’an. Jeder gebildete Christ wird, wenn er die Evangelien liest, stets daran zweifeln, ob sie die tatsächlichen Worte von JesusAS sind oder nicht. Im Vergleich dazu wird jedoch derjenige, der den Heiligen Qur’an liest, von Anfang bis Ende die volle Überzeugung innehaben, dass dieser in der exakten Form vorliegt, die der Heilige ProphetSAW der Welt einst präsentierte. Ein Muslim mag den Islam verlassen, aber solange er sich zum Glauben an den Heiligen Qur’an bekennt, wird er niemals Zweifel an seiner Authentizität hegen. 

Es gibt einige Gruppierungen innerhalb des Islam, die glauben, dass bestimmte Teile des Heiligen Qur’an fehlen, aber selbst unter ihnen behauptet niemand, dass Teile des vorliegenden Heiligen Qur’an manipuliert wurden. Im Gegensatz dazu räumen die Christen ein, etliche heute in der Bibel existente Verse seien nicht authentisch. Als seitens unserer Gemeinde gewisse Einwände erhoben wurden, wurden als Folge etliche Verse aus den Evangelien durch die Christen entfernt. In der Tat wurde vor kurzem in den USA eine neue Bibel veröffentlicht, aus der man all jene Verse entfernt hat, gegen die wir Einwände erhoben hatten, mit der Begründung, diese Verse seien zu späterem Zeitpunkt von verschiedenen Kommentatoren hinzugefügt worden und nicht Teil der ursprünglichen Schrift. Doch unabhängig davon, was sie behaupten mögen, haben wir einen Sieg eingefahren, denn während wir im Lichte des Heiligen Qur’an bereits seit langem wussten, dass diese Verse falsch sind, haben jene diese Tatsache erst nunmehr erkannt.

Außerdem sagte Allah der Allmächtige im Heiligen Qur’an, Er habe das Buch [d. h. den Heiligen Qur’an] leicht zu befolgen gemacht.4 Es enthält nichts, was dem menschlichen Intellekt, der Vernunft oder dem Verstand widerspräche. Es ist möglich, dass man einen Vers in seiner Bedeutung nicht richtig versteht oder ihn falsch auslegt und folglich in Zweifel gerät. Wenn man aber eine sachkundige Person aufsucht, wird man feststellen, dass man sich geirrt hat und dass der Heilige Qur’an frei von jeglichen Fehlern ist. 

Nöldeke, ein deutscher Orientalist, schrieb in einem seiner Bücher, der Heilige Qur’an würde keiner Reihenfolge anhängen; seine Verse seien völlig unzusammenhängend in Relation zu ihrer Thematik. Doch gegen Ende seines Lebens schrieb er, dass seine Ansicht über die Reihenfolge des Heiligen Qur’an falsch war und er erst, nachdem er ihn gründlich studiert hatte, erkannte, dass er tatsächlich einer großartigen Anordnung folgte. Es ist lediglich jemandes Unkenntnis geschuldet, dass man aufgrund des eigenen Fehlverständnisses geneigt ist, Anschuldigungen gegen den Heiligen Qur’an zu erheben. So hat Allah der Allmächtige die Muslime mit solch einem Buch gesegnet, das sogar von Nicht-Muslimen Anerkennung erfährt und dessen Befolgung leicht ist.

Wahrer Islam bedeutet also nicht, dass man sich zu den Sunniten, Kharijiten, Ahl-e-Hadith, Schafiiten, Hanafiten [verschiedene Strömungen des Islam] bekennt oder sich irgendeiner anderen Gruppe anschließt. In der Tat bedeutet wahrer Islam, sich im Herzen dazu zu entschließen, Allah dem Allmächtigen gegenüber vollkommen gehorsam zu sein und sich an jedes Gebot des Heiligen ProphetenSAW zu halten, denn das Wort »Islam« bedeutet Gehorsam und Ergebenheit zu zeigen. In der Tat wird jeder, der sich als Anhänger des Heiligen ProphetenSAW bezeichnet, namentlich zu einem Muslim, unabhängig davon, ob er Sunnit, Schiit, Chakralvi oder Ahl-e-Hadith ist. Im Hinblick auf den wahren Islam jedoch kann man nur dann Muslim genannt werden, wenn der Geist in einem vorhanden ist, die Gebote Gottes des Allmächtigen zu befolgen. Im Heiligen Qur’an heißt es, dass diejenigen, die an AbrahamAS glaubten, Muslime waren. In ähnlicher Weise waren diejenigen, die an MosesAS glaubten, Muslime, obgleich sie den Qur’an nicht besaßen. Das bedeutet, ihr Entschluss, Gott dem Allmächtigen Gehorsam zu leisten, macht jenen Geist aus, der als Islam bezeichnet wird. Wenn dieser Geist vorliegt, dann ist man ungeachtet der Unterschiede zu anderen ein Muslim, denn man hat sich dazu entschlossen, sich vor niemandem außer Gott dem Allmächtigen niederzuwerfen.

Als die GefährtenRA des Heiligen ProphetenSAW Persien angriffen, dachte der persische König, der die Araber als erbärmlich und niederträchtig kannte, sie würden durch Bestechung in ihre Heimat zurückkehren. Deshalb schrieb er dem Befehlshaber der muslimischen Armee und bat ihn, einige seiner Vertreter zwecks einer Besprechung zu ihm zu senden. Der Befehlshaber folgte der Anfrage und schickte einige Gefährten. Für gewöhnlich verneigen sich Menschen vor einem König, Muslime jedoch würden sich vor niemandem verneigen außer Gott. Als sie zum König kamen, marschierten sie hinein, klopften mit ihren Speeren auf den Teppich des königlichen Hofes und sagten beim Eintreten: As-salāmu ʿalaikum [Friede sei mit Ihnen]. Der König war verblüfft über ihr Verhalten, aber da er sie selbst eingeladen hatte, bot er ihnen einen Platz an und sprach: ›Ihr seid ein Volk, das Schmutz isst und völlig unwissend ist ob der vielfältigen Speisen, welche in der zivilisierten Welt verzehrt werden. Ihr seid mit den Heiratsgesetzen nicht vertraut und lebt völlig unzivilisiert und ungebildet. Ihr nehmt eure Mütter in den Ehestand, nachdem eure Väter verstorben sind. Was kümmert euch das Königtum und die Herrschaft? Angesichts eures armseligen Zustands habe ich beschlossen, jedem Soldaten eine Goldmünze und den Offizieren zwei Goldmünzen zu geben. Nehmt also dieses Geld und kehrt heim.‹ 

Hieraus wird deutlich, wie viel Wert dieses Volk in seinen Augen hatte. Man würde nicht erwarten, dass die Soldaten selbst eines kleinsten Staates Verrat begingen, indem man ihnen etwa 10 Rupien und den Offizieren 20 Rupien gäbe. Wenn heute jemand einem Leutnant 20 Rupien anbieten und ihn bitten würde, jemanden zu verraten, würde er im Gegenzug die Person ohrfeigen. Nicht, weil er etwa unfähig wäre, Illoyalität zu zeigen, sondern weil der andere ihn als so niedrig ansah und ihm unterstellte, er wäre bereit Verrat für nur 20 Rupien zu begehen. Der König machte jedoch der muslimischen Armee ein dementsprechendes Angebot. Als die GefährtenRA dies vernahmen, antworteten sie: ›In der Tat, was du gesagt hast, ist absolut richtig. Unser Zustand war genau so, wie du ihn beschrieben hast und wir leugnen dies keineswegs. Doch nun hat Gott der Allmächtige Seinen ProphetenSAW zu uns gesandt und unser Zustand hat sich völlig verändert. Gott der Allmächtige hat versprochen, Grausamkeit und Unruhe aus dieser Welt zu beseitigen. Daher werden wir, solange Grausamkeit und Unruhe existieren, weiter dagegen kämpfen und werden dies so lange tun, bis die Herrschaft Gottes in der Welt etabliert ist.‹

Der König wurde durch diese Antwort zornig und ordnete an, einen Sack voll Erde zu holen und diesen auf den Kopf des Delegationsführers zu legen. Ähnlich dem Punjabi Sprichwort: 

تىرے‭ ‬سِر‭ ‬تے‭ ‬كھہ

(d. h. Schmutz sei auf deinen Kopf geworfen), sagte er auf die gleiche Weise, dass man ihnen Erde über den Kopf schütten würde und sie mögen tun, was sie wollten. 

Der betroffene GefährteRA senkte ruhig seinen Kopf und legte den Sack darauf. Dann wandte er sich seinen Kameraden mit den Worten zu: ›Lasst uns gehen! Der König von Persien hat uns die Erde seines Landes mit seinen eigenen Händen übergeben.‹ Dann bestiegen sie ihre Pferde und ritten von dannen. Als der König dies hörte, befahl er, sie gefangen zu nehmen und die Erde zurückzubringen. Doch da waren sie schon in weiter Ferne.5

Dies ist also der wahre Geist des Islam. Die GefährtenRA liebten niemanden inniger als Gott und akzeptierten nur Seine Herrschaft über den Himmel und die Erde. Der Messias von NazarethAS kam nur zu dem Schluss, dass die Herrschaft Gottes bereits im Himmel bestand, auf der Erde jedoch noch nicht. Deshalb lehrte er seinen Jüngern das folgende Gebet: ›O Vater! Möge Dein Reich auf der Erde ebenso errichtet werden wie im Himmel.‹6 Der Heilige ProphetSAW erklärte jedoch, die Herrschaft Gottes des Allmächtigen bestehe auf der Erde ebenso wie im Himmel, woraus der Unterschied zwischen den beiden Propheten in Bezug auf ihre Größe und ihren Rang hervorgeht. JesusAS glaubte, die Herrschaft Gottes des Allmächtigen könne auf der Erde etabliert werden, obgleich dies noch nicht geschehen sei. Der Heilige ProphetSAW erklärte jedoch, die Herrschaft Gottes sei auf der Erde im selben Maße etabliert wie im Himmel.7 In Wirklichkeit gibt es keine andere Herrschaft als die Herrschaft Gottes. Es war genau dieser Glaube, der den GefährtenRA außerordentlichen Mut verlieh, denn weshalb sollte man irgendjemand anderen fürchten, wenn man Gott als seinen Herrn ansieht? In solch einem Fall würde man alles andere für einen bloßen Lehmgötzen halten. Ungeachtet dessen, ob es sich um einen Befehl eines Generals, Obersts oder sonst jemands handelt, würden jene beteuern, Gott sei ihr Herr und stehe ihnen bei. Genau dieser Geist und diese Leidenschaft stellt in der Tat den wahren Islam dar. Der wahre Islam besteht nicht aus komplizierten Details, die in den Büchern der Jurisprudenz zu finden sind. Der wahre Islam besteht nicht aus den ausführlichen Erklärungen, die in den Ahadith zu finden sind. Der wahre Islam besteht nicht aus jenen Erläuterungen, die von muslimischen Gelehrten präsentiert werden. Der wahre Islam ist vielmehr jener Geist, die Herrschaft Gottes im eigenen Herzen zu verankern und sich niemals jemandem zu beugen, außer Gott dem Allmächtigen und Allah als den einen lebendigen und allmächtigen Gott anzuerkennen. Wenn dies nicht der Fall ist, wie könnten dann diejenigen, die an NoahAS glaubten, als Muslime betrachtet werden? Wie könnten diejenigen, die an AbrahamAS glaubten, als Muslime betrachtet werden? Sie waren zuvor weder im Besitz des Qur’an noch der Ahadith und trotzdem waren sie Muslime aufgrund ihres Entschlusses, jedes Gebot Gottes des Allmächtigen zu befolgen. Wenn eine Nation beschließt, nur das zu tun, was Gott der Allmächtige ihr befiehlt, so tritt Gott in ihre Herzen ein. Kein Volk der Welt besitzt die Kraft, ein Individuum auszulöschen, in dessen Herz Gott der Allmächtige eingetreten ist, denn wer gegen ein solches Individuum kämpft, versucht in Wirklichkeit, Gott zu bekämpfen – aber niemand hat die Macht, Gott zu besiegen. 

Nichtsdestotrotz möchte ich die Aufmerksamkeit meiner lieben Freunde auf die Tatsache lenken, dass Gott der Allmächtige euch zwar einen Namen [d. h. Muslim] gegeben hat, dies aber nicht auf irgendeine hervorragende Leistung eurerseits zurückzuführen ist. Dieser Name wurde euch vor etwa neunhundert bis eintausend Jahren verliehen, von dem Moment an, als eure Vorfahren den Islam annahmen. Doch wie einige von euch wissen, gibt es viele Menschen, die, wenn sie mit ihren Freunden zusammensitzen, sagen, diese Welt hätte keinen Schöpfer. Einige leugnen den Tag des Jüngsten Gerichts und andere hegen Zweifel am Prophetentum des Heiligen ProphetenSAW, während sie sich selbst Muslime nennen.

Als ich zur Hadsch [Pilgerfahrt nach Mekka] fuhr, waren zwei Muslime und ein hinduistischer Anwalt ebenfalls an Bord des Schiffes. Alle drei verbrachten den ganzen Tag damit, Gott und die Religion zu verhöhnen. Eines Tages während eines Gesprächs äußerte der hinduistische Anwalt eine Bemerkung, die die Ehre des Heiligen ProphetenSAW verletzte. Als die beiden Muslime dies hörten, waren ihre Gesichter errötet und sie sagten: ›Sei gewarnt! Benutze nie wieder ein solches Wort für den Heiligen ProphetenSAW.‹ Da ich mir jeden Tag ihre Anschuldigungen anhören musste, lachte ich und sagte: ›Der Heilige ProphetSAW war der Stellvertreter Gottes, aber ihr glaubt nicht einmal an die Existenz Gottes. Wenn Gott nicht existiert, wie kommt dann die Frage nach dem Heiligen ProphetenSAW überhaupt auf?‹ Daraufhin sagten sie: ›Nun gut, auch wenn wir nicht an Gott glauben, werden wir kein Wort gegen die Ehre des Heiligen ProphetenSAW dulden.‹

In ähnlicher Weise kam während meiner Europareise im Jahr 1924 ein englischer Atheist zu mir. Wir begannen, über die Religion zu sprechen und während unseres Gesprächs äußerte er plötzlich ein Schimpfwort gegen den Heiligen ProphetenSAW. Ich habe die Angewohnheit, mit meinen Gegenübern stets in einem ruhigen und sanften Ton zu sprechen, weil wir die Botschaft nicht vermitteln können, wenn wir nicht in einer sanften Art und Weise sprechen. So sprach ich zu ihm auf eine sehr liebevolle Art und Weise, doch auch trotz ohne irgendeine Aggression meinerseits benutzte er unerwartet ein Schimpfwort gegen den Heiligen ProphetenSAW. Als Antwort darauf machte ich genau dieselbe Bemerkung über JesusAS. Als er dies hörte, füllten sich seine Augen mit Wut und er sagte: ›Was hat JesusAS damit zu tun?‹ Ich antwortete: ›Du hast über Gott gesprochen, was hat das mit dem Heiligen ProphetenSAW zu tun, dass du so eine unsittliche Bemerkung über ihn machen musstest? Nun, wann immer du schlecht über den Heiligen ProphetenSAW sprichst, werde ich genau dasselbe über JesusAS sagen.‹«

Referenzen
1. Der Heilige Qur’an, 22:79.
2. Ṣaḥīḥu l-buḫārī, kitābu l-ǧanāʾiz, Hadith Nr. 1358.
3. Sir William Muir, The Life of Mahomet (London, 1877), 559.
4. Der Heilige Qur’an, 54:31.
5. Tafsīr aṭ-ṭabarī, Bd. 4 (Beirut, 1987), 322–325.
6. Die Bibel, Mt 6,9–10.
7. Der Heilige Qur’an, 9:116.

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