In eigener Sache

Die Farben Gottes

Jenseits von Medien und Mode liegt eine Welt der Farben, die für viele unerschlossen ist - die Welt der Farben unseres Schöpfers. Werfen wir einen Blick hinein.

von Yunus Mairhofer

Vor kurzem habe ich von einer Person, die mit sich kämpft, erfahren, dass sie beim Arzt war. Diagnose: ‘Bipolare Störung’. Ein Symptom dieser Krankheit sind extreme Stimmungsschwankungen – vom Hochgefühl in den Keller. Bemerkenswerterweise spiegelt das auch der Kleidungsstil dieser Person wider: immer alles weiß oder alles schwarz. Dieser Person seien die folgenden Gedanken gewidmet:

Im Heilgen Qur’an gibt es Verse, die weniger erklärt als erfahren werden wollen. Ein solcher steht scheinbar unauffällig inmitten einer Passage über das Volk der Schrift – und reicht doch in eine Tiefe, die weit über diesen Kontext hinausreicht. Es ist die Aussage:

„Die Farbe Allahs! – und wer färbt schöner ein als Allah?“ (Qur’an 2:138)

Die arabische Wurzel ṣ-b-gh des Wortes ‘Sibgha’, welches hier vereinfacht als Farbe übersetzt wird, bedeutet ursprünglich „färben, tränken, durchdringen“ bis hin zu “taufen”. Was hier als „Farbe Gottes“ auftaucht, meint also nicht bloß einen äußeren Anstrich, sondern eine völlige Durchfärbung, eine Prägung und Umwandlung – so, wie Stoffe durch das Bad in kräftiger Farbe dauerhaft ihre Erscheinung und Natur verändern. Wer sich wirklich auf Gott einlässt, wird nicht nur getüncht, sondern durchdrungen. Und obwohl man sich dabei aufgibt, verliert man nicht sich selbst – viel eher findet man zu jenen tiefen Farben des eigenen Wesens, die in jedem Menschen durch Gottes Hand selbst bereits angelegt sind. Doch eins nach dem anderen:

Wie wird ‘Farbe Gottes’ gedeutet?

Die klassischen Kommentatoren des Heiligen Qur’an haben den Ausdruck ṣibghatallāh (Farben Gottes) unterschiedlich gedeutet. In der Grundrichtung einigt sich die islamische Überlieferung darauf, dass es sich um die Prägung durch den Glauben handelt – durch Gottes Wegweisung, durch das Verstehen Seiner Eigenschaften und das Befolgen Seiner Gebote.
Der Gelehrte Al-Ṭabarī etwa erklärt die „Farbe Gottes“ als die Religion Gottes, d. h. den reinen Islam, im Kontrast zu den Riten und Formeln anderer Religionen. Der Exeget Al-Zamakhsharī deutet sie als eine Metapher für göttliche Wahrheit, die das Herz eines Gläubigen vollständig umfängt – nicht äußerlich, sondern innerlich. Der zweite Kalif der weltweiten Ahmadiyya-Bewegung, Hadhrat Mirza Bashiruddin Mahmud Ahmad (ra), schreibt in seiner ‘Großen Exegese’:

“Gott [weist] in diesem Vers darauf hin: In dieser Welt könnt ihr ohnehin nicht verharren, ohne die Farbe von irgendjemanden angenommen zu haben. Wenn ihr also ohnehin irgendeine Farbe annehmt, so raten Wir euch an: Übernehmt nicht die Farbe eurer Freunde. Übernehmt nicht die Farbe eurer Ehefrauen und Kinder. Übernehmt nicht die Farbe eurer Lehrer. Übernehmt nicht die Farbe eures Umfelds. Übernehmt nicht die Farbe eurer Regierung – sondern nehmt die Farbe des Einen Gottes an. Denn Er hat euch erschaffen, und nur die Verbindung zu Ihm kann euch Erlösung bringen. wa man ahsanu mina-llāhi ṣibgha: „Und wer könnte euch besser und schöner färben als Allah?“ – Nach dieser Färbung werdet ihr nicht zu einem verkleideten Schauspieler, sondern zu einem der schönsten Wesen, dessen Anblick die Augen der Welt in helles Staunen versetzt. Zudem wird Gott euch mit Seinen Zwiegesprächen und Anreden ehren, und euch mit außergewöhnlichen Belohnungen erfüllen.”

Bemerkenswert, wie der Qur’an im Ausdruck dieser Verse fast schon herausfordernd klingt: „Und wer färbt schöner als Allah?“ Das ist kein rhetorisches Ornament, sondern ein spiritueller Maßstab. Denn wie hier beschrieben – und das bestätig auch unsere Lebenserfahrung -, färbt sich jeder Mensch im Leben zwangsläufig – durch Familie, Freunde, Gesellschaft, Medien, Gewohnheiten, Leidenschaften. Doch keine dieser Farben ist von Dauer und das Schmücken mit fremden Federn lässt das Herz ewig unruhig, unzufrieden zurück. Allein wer die göttliche Färbung annimmt, ist wirklich und dauerhaft geschmückt. Alles andere sind nicht wir selbst, ist reine Maskerade.

Die Farbe Gottes – eine Verwandlung des Inneren

Nicht jeder indes, der glaubt, ist bereits von Gott gefärbt. Glaube kann eine Idee bleiben, ein Lippenbekenntnis – ein kulturelles Erbe. Der Qur’an beschreibt dies in den Worten: “Die Wüstenaraber sprechen: ‘Wir glauben.’ Sprich: ‘Ihr glaubet nicht; saget vielmehr: ‚Wir haben den Islam angenommen‘, denn der Glaube ist noch nicht eingezogen in eure Herzen.'” (Sure 49:15) Solange der Glaube also nicht in Fleisch und Blut übergeht, bleibt er ein Schatten.

Viele Exegeten sind sich auch einig, dass es sich bei der Metapher ‘Farben’ tatsächlich um Gottes Eigenschaften handelt.

“So wie Gott der Bedecker von Fehlern ist, kann auch der Mensch Bedecker sein. So wie Gott der Erkenntliche ist, kann auch der Mensch dankbar sein. So wie Gott der Schenkende ist, kann auch der Mensch schenken. So wie Gott der Allversorger ist, kann auch der Mensch jene in seinem Kreise versorgen. In Wahrheit kann allein derjenige die Nähe Allahs erreichen, wer zum Spiegel (aller) göttlicher Eigenschaften wird, dadurch Annahme in Allah findet und so mit Seiner Farbe gefärbt wird.” (Hadhrat Mirza Bashiruddin Mahmud Ahmad (ra))

Der Qur’an nennt viele weitere dieser Merkmale Gottes. Wer sich Allah vollständig anvertraut, wird barmherzig wie Er, gerecht sowohl gegenüber anderen als auch gegen sich selbst, geduldig in der Prüfung, dankbar im Überfluss, ehrenhaft selbst im Verlust. Diese sogenannten – aus den Köpfen vieler Menschen leider verschwundenen – Tugenden sind keine individuellen Erfolge – sie sind Spuren, Pinselstriche des Schöpfers im Geschöpf.

Wie die Sonne nicht nur Licht gibt, sondern auch das Gesehene färbt, so bringt das göttliche Licht in uns nicht nur Einsicht, sondern gleichzeitig auch Wandlung hervor. Wer im Zustand von Ṣabr bleibt, also Ausdauer in Gottes Gehorsam und Standhaftigkeit im Leid zeigt, spiegelt bereits einen Teil jener göttlichen Geduld, die über Zeiten, Völker und Herzen wacht. Wer aber nicht nur das Rechte tut, sondern es mit Liebe tut – wer vergibt, obwohl er Recht hätte, wer sich verzeihen lässt, ohne Stolz zu verlieren – der ist bereits vom Hauch des Rahmān, des Allbarmherzigen, berührt.

Die göttliche Farbe wirkt also – wie ein leiser, aber unwiderruflicher Prozess: nicht plötzliche Verklärung oder Extase, sondern schrittweises Durchdringen. Sie zeigt sich zunächst weniger in Worten oder Gesten, als vielmehr in der Wandlung der innersten Prioritäten. Was vorher wichtig war – Anerkennung, Besitz, Einfluss – verliert an Gewicht. Was vorher nebensächlich schien – Gottes Nähe, Aufrichtigkeit, Dienerschaft – wird zur Quelle aller Freude. Diese Verlagerung des inneren Zentrums ist das sicherste Zeichen dafür, dass der Mensch vom Lichtspektrum Gottes berührt ist.

In einer Welt voller anderer Farben die Farbe bewahren

Es ist nun eine Sache, von Gott berührt zu sein – und eine andere, Seiner Farbe treu zu bleiben. Die Welt, in der wir leben, ist wie gesagt ein Ort der ständigen Einfärbung. Sie wirbt mit ihren eigenen Tönen: der glänzenden Farbe des Erfolgs, dem künstlichen Licht der Aufmerksamkeit, dem trügerischen Glanz der Selbstverwirklichung. Wer von der Farbe Gottes geprägt wurde, bleibt daher auch in einem ständigen Spannungsfeld – zwischen göttlichem Licht und irdischem Funkeln.

Der Qur’an spricht offen über diese Versuchungen. „Satan beängstigt euch mit Armut und befiehlt euch Schändliches, während Allah euch Seine Vergebung und Huld verheißt.“ (Qur’an 2:269).

Dieser ethische Kontrast wird in der Metapher der Farben sichtbar: die dunkle Drohung gegen das helle Versprechen. Wer sich in verführerischen Momenten an Allah hält – durch Gebet, Gottesgedenken, Rückkehr zu Seinen Worten –, der schützt die angelegte Farbe wie ein Mantel vor dem Regen.

Der Heilige Prophet Muhammad (saw) beschrieb die Realität dieses inneren Kampfes mehrfach. In einer seiner Aussagen heißt es: „Der Gläubige gleicht einem frischgrünen Baum, den der Wind neigt, aber nicht bricht.“ (Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, Kitāb al-Marḍā)

Der Gläubige, ob Mann oder Frau, ist biegsam, nicht biegsam nach Belieben – aber verwurzelt in etwas Tieferem. Sein immerfrisches Grün ist nicht aufgemalt, da es von einer inneren Quelle kommt, die nur durch regelmäßige Reinigung erhalten wird. Im Qur’an wird dafür das tägliche Gebet mehrfach als Zikrullāh bezeichnet, der bewussten Erinnerung an Gott in all Seinen leuchtenden Eigenschaften. Viel mehr als eine Pflichterfüllung ist das Gebet ein ständiges Wiedereintauchen in die ursprüngliche Farbe. Denn vergessen ist Verblassen. Sobald der Mensch vergisst, wessen Diener er ist, beginnt sich schnell eine andere Farbe über ihn zu legen. Manchmal ist es die Farbe des Ärgers, manchmal die des Neids, allzu oft jene der Arroganz.

Dies scheint alles “schwer zu sein, es sei denn für die Demütigen im Geist”, wie der Heilige Qur’an es beschreibt. Menschen hingegen, die sich nach dieser göttlichen Färbung sehnen, werden im Buch bezeichnet als: „… ein Volk …, das Er liebt und das Ihn liebt.“ (Sure 5:56)
Diese gegenseitige Liebe ist kein romantisches Ideal auf Leinwand, sondern jenes Band, das die göttliche Färbung dauerhaft macht. Und dieses Band wird vor allem im Alltag geknüpft: in kleinen Entscheidungen, in innerer Disziplin, in bewusster Wahl gegen den Strom der Welt.

Wer von Gott gefärbt ist, hat längst aufgehört, die Dinge in schwarz und weiß zu sehen und einzuteilen. Dieser Mensch trägt seine Farbe auch nicht sichtbar wie ein Abzeichen, viel mehr spürbar wie einen Duft. Anstatt durch Abgrenzung schützt er oder sie sich durch Aufrichtigkeit. Inmitten dieser Welt lebt der Mensch in einer anderen Ordnung – oder in den Worten von Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad, dem Verheißene Messias (as):

“Ich bin in dieser, aber nicht von dieser Welt.”

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