Der Heilige Qur'an

At-Tafsīru l-kabīr – Die Große Exegese

Teil 1: Kalam-ullah - Das Wort Gottes

Die Revue der Religionen’ ist erfreut, mit der Veröffentlichung der Übersetzung von At-Tafsīru l-kabīr – der großen Exegese – zu beginnen. Dies ist das Opus magnum von Hadhrat Mirza Bashiruddin Mahmud AhmadRA, dem zweiten Kalifen der Ahmadiyya Muslim Jamaat. Es handelt sich um einen der kenntnisreichsten und tiefgründigsten Kommentare zum Heiligen Qur’an, der jemals geschrieben wurde, und der für deutsche Leser veröffentlicht wird.

[Das Wort Allahs]

Der Heilige Qur’an ist das einzige Buch, das als kalāmullāh bezeichnet werden kann [gänzlich die unmittelbare Rede Allahs, das Wort Gottes]. Die anderen Bücher mögen auch göttlicher Offenbarung entspringen, kalāmullāh sind sie jedoch nicht, da sie auch menschliche Rede beinhalten. Rein das Wort Gottes von A bis Z, von bi-smillāh bis wa-n-Nās[2] ist ausschließlich der Heilige Qur’an.

Dieses Buch ist von der Zeit an, als es herabgesandt wurde, bis zu unserem heutigen Zeitalter komplett gleich geblieben. Es wurde weder um ein Wort gekürzt noch um eins erweitert. Kein Gebot ist unpraktizierbar noch wurde ein Vers aufgehoben. Jedes einzelne Schriftzeichen ist erhalten. Jedes Satzzeichen ist exakt gleich. Mithin gibt es außer diesem kein anderes Buch, das mit der Determinierung wie eine Fackel auf dem Lebensweg benutzt werden kann, worin kein zweifelhaftes Gebot vorzufinden ist. Doch bedauerlicherweise haben die Muslime dieses wertvolle Buch vergessen lassen. Es außer Acht lassend widmen sie ihre Aufmerksamkeit anderen Büchern und anstelle Gottes laufen sie selbst ernannten Anführern hinterher. 

Ich habe diese Exegese des Wort Gottes mit der Hoffnung geschrieben, dass die Leute, die kein Arabisch können, oder unglückseligerweise keine Zeit zum Nachsinnen über dieses Wort finden, oder gar nicht erst der Wunsch dazu im Herzen aufkommt, die Möglichkeit bekommen, das Wort Gottes zu verstehen und mit den ihm innewohnenden Vorzügen vertraut zu werden. 

Dies ist der erste Band dieser Exegese, deren Vorwort ich in diesen Zeilen niederschreibe. Drei Bände über den mittleren und letzten Teil des Qur’an wurden bereits zuvor publiziert. Möge Allah, der Allmächtige, meine demütige Bemühung annehmen und mit dieser Exegese die offenkundigen und verborgenen Bedeutungen des Heiligen Qur’an von Neuem zum Leben erwecken. Und möge Er mir ermöglichen, diese Exegese zu vervollständigen. (Amin)

Mirza Mahmud Ahmad

Ratan Bagh, Lahore [Pakistan]                                                                        

Datum: 23. Mai 1948

[1] Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen. Wir lobpreisen Ihn und senden Segnungen auf Seinen edlen ProphetenSAW. [Herausgeber]

[2] Die Ausdrücke بِسْمِ اللهِ (bi-smillāh) und وَالنَّاسِ (wan-Nās) sind die ersten bzw. letzten Worte des Heiligen Qur’an. [Herausgeber]

Faksimile der handgeschriebenen Originalseiten von Das Wort Gottes (übersetzt auf den vorherigen Seiten), 23. Mai 1948.

Sure al-Fātiḥa: Dies ist eine mekkanische Sure[3] und besteht einschließlich bi-smillāh[4] aus sieben Versen

(1) سورة (sūra): In der arabischen Sprache hat das Wort sūra die folgenden Bedeutungen:

1. مَنْزِلَةٌ manzila – Rang.

2. شَرَفٌ šaraf  – Ansehen, Ehre.

3. عَلَامَةٌ ʿalāma – Zeichen.

4. Eine hohe Mauer oder ein hohes Gebäude, das zudem auch noch schön ist.[5]

5. Dieses Wort könnte auch von سؤرة [suʾra] hergeleitet worden sein, d. h. dass darin ein ء [hamza] enthalten ist, welches wiederum aufgrund des vorausgehenden u-Vokals in و [wāw] umgewandelt wurde. Dieses Wort سؤرة [suʾra] bedeutet »das Übriggebliebene«. Die Araber pflegen zu sagen: هُوَ‭ ‬فِي‭ ‬أَسْأَرِ‭ ‬النَّاسِ‭ ‬d. h., er gehört zu den Übriggebliebenen des Volkes. 

6. Etwas, das komplett und vollendet ist. Die Araber bezeichnen eine reife gesunde Kamelstute als سورة [sūra].[6] 

Der Plural von سُورَة [sūra] ist سُوَر [suwar], d. h. Suren.

Verschiedene Gelehrte haben unterschiedliche Begründungen dafür genannt, wieso die Teile des Heiligen Qur’an als سورة [sūra] bezeichnet werden. Einigen zufolge deshalb, weil durch ihre Lektüre der Rang eines Menschen steige und anderen zufolge deshalb, weil dadurch diese Ehre erlangt werde. Einige sind der Meinung, dass sie deshalb so genannt werden, da Suren eine thematisch abgeschlossene Einheit bilden, wobei wiederum andere der Meinung sind, dass sie der Welt ein hohes und schönes spirituelles Gebäude präsentieren. Einigen zufolge, weil sie Teile des gesamten Qur’an darstellen und anderen zufolge, weil sie eine Thematik vollständig und in vollem Umfang abdecken. 

Es ist offensichtlich, dass die Meinungsunterschiede lediglich auf die verschiedenen Geschmacksurteile zurückzuführen sind, indes treffen alle der sechs angeführten Bedeutungen an dieser Stelle zu. Wir können demnach sagen, dass die konkreten Kapitel des Heiligen Qur’an deshalb als سورة [sūra] bezeichnet werden, 1. weil sie ein Teil des Qur’an sind; 2. weil in einer jeden von ihnen eine komplette bzw. vollkommene Thematik behandelt wird; 3. weil sie hohe und schöne spirituelle Konstruktionen bilden, in denen der Eintretende 4. einen hohen Rang und 5. Ehre erlangt, und da 6. die nach den Suren Handelnden eine besondere Auszeichnung erhalten, die sie von den anderen Leuten unterscheidet. Das Wort سورة [sūra], welches für die spezifischen Teile des Heiligen Qur’an verwendet wurde, ist ein offenbarter Name sowie vom Heiligen ProphetenSAW gebraucht worden. 

Im Heiligen Qur’an heißt es:

Das Wort سورة[sūra] hat also der Heilige Qur’an selbst verwendet und ist demnach ein offenbarter Begriff. Auch der Heilige ProphetSAW pflegte es, diesen Begriff zu verwenden. In Ṣaḥīḥmuslim wird von AnasRA berichtet:

»Soeben wurde mir eine Sura offenbart.« Der Heilige ProphetSAW rezitierte dann: »Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen. Wahrlich, Wir haben dir Fülle des Guten gegeben; …«[9] 

Anhand dieser Überlieferung ist zu erkennen, dass auch der Heilige ProphetSAW jene Abschnitte, die auch die Muslime heute noch Suren nennen, ebenso mit dem Wort sūra zu bezeichnen pflegte und dies nicht etwa ein nachträglich eingeführtes Wort ist.

Sūratu l-Fātiḥa

Der Name dieser an den Anfang des Heiligen Qur’an gesetzten kurzen Sure ist Fātiḥatu l-kitāb, welcher in der Kurzform zu Sūratu l-Fātiḥa wurde. Die Urdu-sprachigen Menschen haben es gemäß dem persischen Sprachgebrauch in Sūra-e Fātiḥa umgewandelt. Dieser Name ist in Tirmiḏī auch vom Heiligen ProphetenSAW überliefert: 

Das heißt, solange Fātiḥatu l-kitāb, sprich Sūra-e Fātiḥa, im ṣalā [das formale islamische Gebet] nicht gesprochen wird, ist das Gebet ungültig. Dieselbe Überlieferung von Ubadah bin as-Samit ist mit demselben Wortlaut auch in Muslim, Kitābu ṣ-ṣalā, bābu wuǧūbi qirāʾati l-fātiḥa vorzufinden.

Diese Sure hat viele Namen, von denen die meistverbreiteten, einige daraus aus dem Heiligen Qur’an und einige vom Heiligen ProphetenSAW erwiesen, im Folgenden angeführt werden:

(1) Sūratu ṣ-ṣalā [die Gebetssure] Hadhrat Abu HurairaRA berichtet, dass der Heilige ProphetSAW sagte, dass Allah, der Erhabene, gesagt hat:

Diese Überlieferung hat auch Ibn Jarīr von Jābir bin ‘AbdullāhRA[12] zitiert: »Ich habe das Gebet (d. h. Sūratu l-Fātiḥa) zwischen Mir und Meinem Diener je zur Hälfte aufgeteilt.« Das heißt, dass in der einen Hälfte [dieser Sure] die göttlichen Attribute und in der anderen Bittgebete für den Diener [d. h. den Betenden] erwähnt werden. 

(2) Sūratu l-Ḥamd [Kapitel der Lobpreisung]In Abū dawūd wird von Hadhrat Abu HurairaRA überliefert, dass der Heilige ProphetSAW sagte:

Das heißt, die anderen Namen der Sūratu l-Fātiḥa sind ʾummu l-qurʾān [die Mutter des Qur’an], ʾummu l-kitāb [die Mutter des Buches] und As-sabʿu l-maṯānī [die sieben oft wiederholten Verse]. 

(3) ʾUmmu l-qurʾān [die Mutter des Qur’an]

(4) Al-qur’ānu l-ʿaẓīm [der großartige Qur’an]

(5) As-sabʿu l-maṯānī [die sieben oft wiederholten Verse]

Diese drei oben geannten Namen trägt die Sure ebenfalls. Es gibt eine Überlieferung von Abu HurairaRA im Musnad aḥmad bin ḥanbal, wo der Heilige ProphetSAW sagte:

»Sūratu l-Fātiḥa ist auch die Mutter des Qur’an, die sieben oft wiederholten Verse und auch der großartige Qur’an.« 

Der Ausdruck »die sieben oft wiederholten Verse« wurde auch im Heiligen Qur’an verwendet. So sagt Allah:

Dieser Beiname wurde demnach vom Heiligen Qur’an selbst gegeben.

(6) ʾUmmu l-kitāb [die Mutter des Buches] 

Dieser Name wurde auch in Abū dawūd unter Bezugnahme auf eine Überlieferung von Abū HurairaRA erwähnt, siehe oben unter Punkt 2.

(7) Aš-šifāʾ [die Heilung] 

Dieser Name wird von Hadhrat Abū Saʿīd al-KhudrīRA zitiert, der überlieferte, dass der Heilige ProphetSAW sagte:

»Die Sūratu l-Fātiḥa ist ein Heilmittel für jegliche Krankheit.«

Dieselbe Überlieferung findet sich auch in Baīhaqī fī-šuʿabi l-īmān, aber statt der Worte‭ ‬مِنْ‭ ‬كُلِّ‭ ‬دَاءٍ‭ ‬[für jegliche Krankheit] wurden die Worte‭ ‬مِنْ‭ ‬كُلِّ‭ ‬سَمٍّ‭ ‬[gegen jegliches Gift] verwendet, d. h., es ist ein Heilmittel gegen sämtliche Gifte. 

(8) Ar-ruqya[71], die Sure Geistheilung 

Dieser Name kommt ebenfalls in der oben angeführten Überlieferung von Hadhrat Abū Saʿīd al-KhudrīRA in Musnad aḥmad bin ḥanbal und Ṣaḥīḥ buḫārī vor.[18] 

»Jemand berichtete dem Heiligen ProphetenSAW, dass ein Mann von einer Schlange gebissen wurde und er die Sūratu l-Fātiḥa rezitierte und der Mann daraufhin geheilt wurde. Daraufhin fragte der Heilige ProphetSAW:  مَا‭ ‬يُدْرِيكَ‭ ‬أَنَّهَا‭ ‬رُقْيَةٌ [Wie hast du herausgefunden, dass diese Sure als Geistheilung genutzt werden kann?] Der Gefährte antwortete: ›O Gesandter Allahs, dieser Gedanke kam mir einfach im Herzen.‹« 

(9) Sūratu l-kanz [Kapitel des Schatzes] Baīhaqī[19] überliefert von Hadhrat AnasRA, dass der Heilige ProphetSAW sagte:

»Zu den Segnungen, die mir durch Allahs Gunst zuteilwurden, gehört Fātiḥatu l-kitāb. Allah offenbarte mir: ›Dies ist ein Schatz aus den Schätzen Meines Throns.‹«[20]

Ich habe bereits erwähnt, dass al-Fātiḥa einer der Namen dieser Sure ist. Diese neun Namen sind demnach durch den Heiligen Qur’an und die Ahadith erwiesen. Neben diesen Namen für diese Sure haben die Gefährten des Heiligen ProphetenSAW auch andere Namen überliefert.

Imam as-SuyutīRA hat 25 Namen der Sūratu l-Fātiḥa erwähnt. Allama al-Qurtubi hat zwölf Namen genannt. Da ich jedoch keine Nachweise aus dem Qur’an und den Ahadith für die anderen Namen finden konnte, habe ich sie hier nicht angeführt.

Fortsetzung folgt …

[1] Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen. Wir lobpreisen Ihn und senden Segnungen auf Seinen edlen ProphetenSAW. [Herausgeber]

[2] Mit Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Er ist der Helfer. [Herausgeber]

[3] Die mekkanischen Suren beziehen sich auf jene Suren, die vor der Hidschra, der Auswanderung des Heiligen ProphetenSAW und seiner GefährtenRA von Mekka nach Medina, offenbart wurden. [Herausgeber]

[4] Der Vers بِسْمِ‭ ‬اللّٰهِ‭ ‬الرَّحْمٰنِ‭ ‬الرَّحِيمِ‭ ‬wird oft als بَسْمَلَة basmalah abgekürzt oder mit den Anfangswörtern بِسْمِ‭ ‬اللّٰه bi-smillāh bezeichnet. Letzteres wird hier weiter verwendet. [Herausgeber]

[5] Aqrabu l-mawārid fī-fuṣḥa l-ʿarabiyyah wa-š-šawārid, von Said al-Khuri Shartuni, Qum, Iran: Manšūrāt Maktaba Āyatu l-lāh al-ʿuẓmā al-marʿāšī an-naǧafī, 1403 n. H. (1982 oder 1983) S. 556.

[6] Al-ǧāmiʿ li-aḥkāmi l-qurʾān li l-qurṭubī, von Šamsu d-dīn al-qurṭubī, Kairo, Ägypten: dāru l-kutubi l-miṣriyyah, 1384 n. H. (1964), Bd. 1, S. 66.

[7] »Und wenn ihr im Zweifel seid über das, was Wir hinabgesandt haben zu Unserem Diener, dann bringt eine Sure hervor wie diesen (Qur’an).« Der Heilige Qur’an, 2:24 [Herausgeber]

[8] Der Heilige Qur’an 108:1–2.

[9] Ṣaḥīḥ muslim, kitābu ṣ-ṣalā, bābu ḥuǧǧati man qāla l-basmalatu āyatun min awwali kulli sūratin siwā barāʾah.

[10] Ubadah bin as-Samit überlieferte, dass der Heilige ProphetSAW sagte: »Das Gebet ist für denjenigen nicht gültig, der die Sūratu l-Fātiḥa nicht rezitiert.« Tirmiḏī, aṣ-ṣalātu mā ǧāʾa annahu lā ṣalāta illā bi fātiḥati l-kitāb. [Herausgeber]

[11] Muslim, Kitābu ṣ-ṣalā, bābu wuǧūbi qirāʾati l-fātiḥa fī kulli rakʿatin. [Herausgeber]

[12] Ǧāmiʿu l-bayān ʿan taʾwīli āyati l-qurʾān (Tafsīru ṭ-ṭabarī), von Abu Ja’far Muhammad bin Jarīr at-Tabarī, Beirut, Libanon: Mu’assisatu r-risālah, erste Ausgabe (2000), Bd. 1, S. 201. [Herausgeber]

[13] Abū dawūd, kitābu ṣ-ṣalāh, bābu fātiḥati l-kitāb.

[14] Musnad Ahmad, kitāb bāqī Musnad al-mukṯirīn.

[15] »Und Wir gaben dir fürwahr die sieben oft wiederholten (Verse).« Der Heilige Qur’an, 15:88). [Herausgeber]

[16] Sunan ad-dārimī, kitābu faḍāʾili l-qurʾān.

[17] Ar-ruqya bedeutet, dass man auf eine kranke Person pustet, nachdem man für sie gebetet hat. [Herausgeber]

[18] Ṣaḥīḥu l-buḫārī, kitābu faḍāʾili l-qurʾān, bābu fātiḥati l-kitāb und Musnad Ahmad bin Hanbal, kitāb bāqī Musnad al-mukṯirīn.

[19] Imam Al-Baīhaqī war ein islamischer Rechts- und Hadith-Gelehrter des 10. Jahrhunderts. [Herausgeber]

[20] Fatḥu l-bayān fī-maqāṣidi l-qurʾān, von al-Qinnauǧī al-buḫārī, Beirut, Libanon: Dāru l-kutubi l-ʿilmiyya, 1999, Bd. 1, S. 27.

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