
von Yunus Mairhofer
Seit Monaten herrscht in Gaza eine humanitäre Katastrophe von historischem Ausmaß. Das, nachdem die extremistische Hamas sich am 7.Oktober 2023 zu einem fürchterlichen Verbrechen hinreißen ließ, ihre Gefängnismauern durchbrach und mutmaßlich über 1000 jüdische Zivilisten tötete.
Israels Antwort: Mehr als 50 000 getötete Palästinenser, zerstörte Infrastruktur, Hunger und Vertreibung – und keine Absicht dies zu beenden.
So sehr sich die internationale Gemeinschaft geschlossen über den Anschlag der Hamas empörte, so verschwindend blieb seither die Reaktion vieler westlicher Regierungen und Medien auf die Massaker der israelischen Seite.
Die Macht des Narrativs
Israel hat sich seit seiner Gründung als Bollwerk der Demokratie im Nahen Osten präsentiert – ein Staat, der aus der Asche des Holocausts entstanden ist und daher besonderen Schutz verdient. Dieses Narrativ hat in vielen westlichen Ländern tiefe Wurzeln geschlagen und Kritik an Israels Politik oft als moralisch fragwürdig erscheinen lassen.
Doch die Realität in Gaza stellt dieses Bild zunehmend in Frage. Mehr noch als die nicht enden wollenden Berichte über massive Zerstörungen, zivile Opfer und die Blockade humanitärer Hilfe lassen offen menschenverachtende Aussagen der rechten israelischen Führung (und ihrer zahlreichen Anhänger) die offizielle Darstellung bröckeln. Die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, eine Demokratie zu sein, und den tatsächlichen Handlungen wird immer offensichtlicher.
Politische Interessen und Doppelmoral
Die nach wie vor zögerliche Reaktion westlicher Regierungen lässt sich auch durch geopolitische Interessen erklären. Israel gilt als wichtiger Verbündeter im Nahen Osten, insbesondere für die USA und einige europäische Staaten. Diese strategische Partnerschaft führt oft dazu, dass Menschenrechtsverletzungen ignoriert oder relativiert werden. Gleichzeitig wird von Ländern wie Deutschland und den USA erwartet, dass sie aus ihrer historischen Verantwortung heraus besonders sensibel auf Menschenrechtsfragen reagieren.
Die anhaltende Unterstützung Israels trotz der Ereignisse in Gaza wirft aber längst Fragen nach Doppelmoral und selektiver Empörung auf.

Die Rolle der Medien und die Hoffnung auf Wandel
Nach 1 1/2 Jahren des Kampfes mit ungleichen Waffen dominieren immer noch westliche Medienberichte, die die israelische Perspektive betonen und palästinensisches Leid marginalisieren.
Mitunter durch die Arbeit unabhängiger Journalisten und Organisationen, die unermüdlich auf die humanitäre Krise hinweisen, beginnt sich das Bild nun vielleicht zu wandeln. Tatsächlich scheinen seit dem Erlass eines Haftbefehls für den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu (und Verteidigungsminister Yoav Gallant) wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Gaza nun auch am politischen Parkett und in den etablierten Medien des Westens immer mehr Stimmen durchzudringen, die Israels Vorgehen zu kritisieren wagen.
Trotz der bisherigen Untätigkeit gibt es also Anzeichen für ein Umdenken. Internationale Organisationen und Regierungen fordern zunehmend unabhängige Untersuchungen der Geschehnisse in Gaza. Auch in der Zivilgesellschaft wächst der Druck, nicht länger wegzusehen. In Kommentaren der New York Times, im britischen Guardian, in einzelnen ARD– und anderen Formaten der Politik- und Medienlandschaft (siehe Übersicht unten) werden mittlerweile vorsichtig Begriffe wie „ethnische Säuberung“ oder „Kollektivstrafe“ verwendet. Einzelne Redakteure haben sich indes aus Protest gegen redaktionelle Restriktionen bereits kündigen lassen.
Es bleibt zu hoffen, dass dieses Erwachen zu nachhaltigem politischen Handeln führt. Denn mit dem Leid der Menschen in Gaza – und anderswo – steht unsere eigene menschliche Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.
Übersicht Israelkritik:
- Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU): Im Mai 2025 äußerte Bundeskanzler Merz zumindest Bedenken hinsichtlich Israels Kontrolle über humanitäre Hilfslieferungen in Gaza. Er betonte, dass Israel das Völkerrecht einhalten und sicherstellen müsse, dass humanitäre Hilfe die Bevölkerung erreicht. Zudem kündigte er an, seinen Außenminister zu Gesprächen nach Israel zu entsenden. Reuters
- Außenminister Johann Wadephul (CDU): Während seines Besuchs in Israel im Mai 2025 erklärte Außenminister Wadephul, dass der Gaza-Krieg nicht militärisch lösbar sei. Er forderte politische Verhandlungen und einen Waffenstillstand, betonte jedoch gleichzeitig Deutschlands Verpflichtung zur Sicherheit Israels. (Reuters)
- Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Bei seinem Besuch in Israel im Mai 2025, für den er zwar von Amnesty International kritisiert wurde, drängte Bundespräsident Steinmeier immerhin auf eine friedliche Lösung des Gaza-Konflikts und betonte die Notwendigkeit politischer Perspektiven im Dialog mit arabischen Staaten. (DIE WELT)
- Ehemalige deutsche Botschafter: Im April 2025 kritisierten mehrere ehemalige deutsche Botschafter in einem offenen Brief die “bedingungslose Unterstützung” der israelischen Regierung durch Deutschland. Sie warfen der Bundesrepublik Doppelmoral im Umgang mit Israels Politik vor und forderten eine ausgewogenere Haltung. (SWR)
- Frankreichs Präsident Immanuel Macron: Am 13. Mai 2025 bezeichnete Macron in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender TF1 das Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza als „inakzeptabel“ und „beschämend“. Er forderte, dass Europa den Druck auf Israel erhöhen müsse und erwog, die Zusammenarbeit mit Israel im Rahmen des EU-Assoziierungsabkommens zu überdenken. JNS.org, Times of Israel
- Heinz Fischer (ehemaliger österreichischer Bundespräsident): Im April 2025 äußerte Heinz Fischer scharfe Kritik an Israels Vorgehen in Gaza. Er betonte, dass der Holocaust nicht rechtfertige, wie derzeit mit Menschen umgegangen werde, und warf Israel vor, sich über Menschenrechte und Völkerrecht hinwegzusetzen. (Puls24)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): In einem Leserbrief vom 23. April 2025 kritisierte Dr. Wolfgang Schultheiss, ehemaliger Botschafter, die israelische Kriegsführung in Gaza scharf. Er stellte infrage, ob die deutsche “Staatsräson” dazu verpflichtet, Unrecht zu unterstützen, und warnte vor einer Verschärfung des Konflikts durch unmenschliche Behandlung der palästinensischen Bevölkerung. (FAZ.NET)
- Frankfurter Rundschau: Am 30. April 2025 veröffentlichten Politiker der Linken einen Gastbeitrag, in dem sie die einseitige Berichterstattung deutscher Medien zum Gaza-Krieg kritisierten. Sie warfen den Medien vor, die massive Gewalt Israels zu verharmlosen und die Zerstörung von Wohnhäusern und Schulen nicht angemessen zu thematisieren. (FR.de)
- Offener Brief von BBC-Mitarbeitern: Im November 2024 unterzeichneten 230 Medienschaffende, darunter 101 anonyme BBC-Mitarbeiter, einen Brief an den Generaldirektor Tim Davie. Darin wurde der BBC vorgeworfen, in ihrer Berichterstattung über Gaza nicht konsequent fair und evidenzbasiert zu berichten. Wikipedia
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