Gott erfahren

Trotz Wolken klarer Himmel: Vom Morgengebet im tiefsten Winter

»Wetteifert miteinander in guten Werken« Der Heilige Qur’an (2:149)

von Siaullah Wagishauser (schwarz) und Danyyal Azher Tariq (blau)

Im folgenden erzählen unsere beiden Autoren unabhängig voneinander von einem besonderen Wandererlebnis. Die Redaktion hat sich mit ihrem Einverständnis erlaubt, ihre Erzählungen zu mergen:)

In unserer tahaǧǧud-Challenge-Gruppe auf Whatsapp kam mir der Gedanke für eine Bergwanderung vor dem faǧr-Gebet (das erste Pflichtgebet des Tages in den frühen Morgenstunden). Der Sinn und Zweck der Whatsapp-Gruppe ist es, dass wir Brüder uns gegenseitig zum regelmäßigen Beten des tahaǧǧud motivieren und versuchen Allah dadurch näherzukommen, dass wir unsere fünf Pflichtgebete intensivieren. Das tahaǧǧud-Gebet ist ein freiwilliges nächtliches Gebet. Es heißt zudem, die Bittgebete hätten um diese Zeit eine besondere Wirkung. Bereits während der Corona Pandemie bin ich regelmäßig mit Freunden wandern gegangen.
Als ich also kurzfristig durch den Wetterbericht von Neuschnee mitbekam, weckte dies in mir die Erinnerungen an vergangene Wanderungen in der kalten Jahreszeit, als der weiße Schnee die Wälder des Taunus nahezu komplett bedeckte und man das Gefühl bekam, sich in der wunderschönen Natur Norwegens oder Kanadas zu befinden. So kam mir spontan die Idee, eine Wanderung in den Taunus zu begehen und ihn gemeinsam mit Brüdern schneebedeckt von seiner schönsten Seite zu erleben. Kurzerhand schlug ich dies meinen Brüdern Danyyal Tariq und Ahad Kaleem vor, welche sich sofort bereit erklärten, am darauffolgenden Morgen den Altkönig im Taunus zu besteigen. 

Voller Enthusiasmus rief mich Siaullah an, um mir vom Neuschnee am Großen Feldberg zu erzählen. Er berichtete mir von seinen Wanderungen aus den letzten Jahren während der Pandemie, als die Berge mit klarweißem Schnee bedeckt waren. Voller Motivation schlug er daher vor, dieses Mal das faǧr-Gebet auf dem Gipfel des Altkönigs zu verrichten. Meine Wenigkeit, die ohnehin sportbegeistert ist, befürwortete diese Idee. Während wir die Tour planten, war ich ab und an mal etwas unsicher, vor allem als Siaullah vorschlug, dass wir uns bereits gegen fünf Uhr treffen sollten! Die Idee war, um ca. 4.40 Uhr aufzustehen, aus Groß-Gerau um etwa 5.15 Uhr loszufahren, in Königstein 5.45 Uhr anzukommen und die Spitze des Eisbergs um 7 Uhr -pünktlich zum faǧr-Gebet – zu erreichen. In sportlicher Hinsicht hatte ich keine Bedenken, eher verunsicherte mich zunächst die Dunkelheit im Gebirge. Andererseits war das für mich wiederum eine Möglichkeit, mich dieser Herausforderung zu stellen und damit ein neues Ziel in Angriff zu nehmen. Am Tag der Wanderung kam ich schließlich aufgrund einiger Beschäftigungen erst um 1.30 Uhr nach Hause, hatte also nur noch wenige Stunden bis zur Abfahrt.

Da in erster Linie für uns das Pflichtgebet im Vordergrund stand, trafen wir während unserer Vorbereitungen sofort den Entschluss, diese seltene Gelegenheit zu nutzen, um auf dem Gipfel das Morgengebet zu verrichten und anschließend den Sonnenaufgang aus 800 Metern Höhe zu beobachten. Danyyal und meine Wenigkeit fuhren vor Anbruch der Morgenröte los und stellten unser Auto in Königstein ab. Ein einstündiger steiler Aufstieg in nahezu kompletter Dunkelheit erwartete uns, welcher sich anfangs speziell für mich auf dieser ersten Wanderung nach meinem Bandscheibenvorfall vergangenes Jahr als mühsam darstellte.

Nach zweistündigem Schlaf packte ich das benötigte Equipment in die Wandertasche und bereitete anschließend das Frühstück für die Wanderung vor. Wir fuhren nach Königstein, parkten dort das Auto und mussten schnell feststellen, dass die Straßen bei -10 °C vereist waren. Also schauten wir nach einem Parkplatz, auf dem weniger Rutschgefahr bestand. Zu dieser Zeit war der Streudienst auch noch nicht im Einsatz gewesen. Es war stockdunkel, windig und extrem kalt, als wir losliefen. Ohne uns zunächst warmzulaufen, stiegen wir steil den Altkönig hoch. An dieser Stelle sei angemerkt, dass wir die schwerste Strecke auf Komoot auswählten und somit die alpine Route (schwierigste Bergwegekategorie) durchlaufen mussten. Die alpine Route ist weitestgehend von den normalen Wanderwegen abgeschnitten und hat einen natürlichen Wegverlauf durch Bäche, Gebüsche und steile Pfade.

Mit jedem schweren Schritt nach oben, dem eisigen Gegenwind bei gefühlten -10 °C zum Trotz, machten meine Waden so langsam zu. Kurzzeitig dachte ich daran, die Wanderung abbrechen zu müssen. Aber die Motivation, das Morgengebet rechtzeitig auf dem Gipfel zu verrichten, war stärker und trieb uns an, weiterzugehen. 

Aufgrund der körperlichen Anstrengung und des steilen Weges war es für uns schwierig, durchgehend im Gespräch zu bleiben. So nutzten wir beide die Gelegenheit, im Gedenken Allahs (zikr-e ilāhī) zu verweilen. Der nächtliche Aufstieg war ein einmaliges Erlebnis: Die Dunkelheit des Waldes, das Knistern der Äste, der Wind, der durch die Bäume wehte und die Stimmen einiger Tiere – all das mit dem zikr verbinden zu können, war unbeschreiblich. Je höher wir stiegen, desto intensiver wurden unsere Gebete. Denn wir wussten, dass wir unserem Ziel immer näher kamen und dass wir oben auf dem eisigen Gipfel den Muezzin-Ruf ausrufen und das faǧr-Gebet verrichten wollten.

Es war stockdunkel und unsere Taschenlampen erleuchteten uns stellenweise den Weg. Der eisige Wind wehte und die einzigen Geräusche, die wir wahrnahmen, waren das Knacken des Schnees unter unseren Fußstapfen sowie das Knistern der sich im Wind bewegenden Bäume um uns herum. Je höher wir kamen, desto tiefer wurde der Schnee und wir betraten ein wahres Winter-Wunderland. An jenem Morgen waren wir die ersten, die aufstiegen, da außer vereinzelten Tierspuren im Neuschnee keine anderen menschlichen Fußstapfen weit und breit zu sehen waren.

Auf der Spitze des Altkönigs angekommen, bat Siaullah mich, den Gebetsruf zu machen. In diesem Moment erinnerte ich mich an eine Szene, als unser Kalif auf einer Reise in Spanien unterwegs war und einige Brüder auf einem Berg zum Gebet rufen ließ. Ich war dankbar für diese Gelegenheit. Als wir endlich den Gipfel bei immer eisigerem Wind und Wetter erreichten, legten wir unsere Gebetsteppiche auf der dicken Schneeschicht aus.

Während Danyyal den Muezzin-Ruf ausrief und dieser den Gipfel komplett einnahm, fühlte ich eine unheimliche, friedliche Ruhe in mir. Wir packten unsere Gebetsteppiche aus und beteten zunächst das Sunna-Gebet, das vor dem Pflichtgebet einzeln verrichtet wird. Als ich einige Minuten in der saǧda (Niederwerfung) versunken war, spürte ich plötzlich keine Kälte mehr. Wir waren so im Gebet vertieft, dass alles um uns herum keine Rolle mehr spielte.

Beim Verrichten des Gebets verweilten wir lange in den saǧdas und richteten unsere Bittgebete an Gott. Von der Kälte um uns herum war nichts mehr zu spüren. Stattdessen breitete sich ein schönes und starkes Gefühl von Wärme in mir aus – der Natur so verbunden, im Gedenken an unseren Schöpfer. An diesem Tag war die Sicht vom Gipfel zwar beschränkt, die Umgebung vollständig von Wolken und Nebel bedeckt. Jedoch waren die Momente des Gebets im Schnee für uns eine himmlische Erfahrung.
Außergewöhnlich war, dass wir unmittelbar nach dem Gebet die Kälte und den ganzen heftigen Windstoß bei hohen Minusgraden wieder fühlten. Meine Hände waren eiskalt. Ich schlug vor, sofort weiterzulaufen, um uns durch die körperliche Anstrengung aufzuwärmen. Nach dem faǧr-Gebet hatten wir noch weitere 11 km vor uns. Die Alpine Wege waren zum Teil komplett gesperrt und durch umgestürzte Bäume fast unpassierbar.

Unsere Erfahrung im Gebet verlieh uns schließlich die Kraft, vier! weitere Stunden umherzuwandern, bis wir bei unserem Auto ankamen und uns schließlich auf den Heimweg machten.
Jede Wanderung ist auf ihre eigene Art speziell, jedoch haben wir an diesem Tag eine für uns ganz besondere Erfahrung machen dürfen. Diese wollen wir auch in Zukunft, insha Allah, wiederholen und uns immer daran erinnern und gegenseitig motivieren, das Gebet unter jeglichen Bedingungen zu verrichten. Denn ohne Allah sind wir nichts und mit Allah an unserer Seite ist alles möglich.

Ich bin dankbar für diese Initiative. Durch diese Wanderung konnten wir das Gottesgedenken und das Gebet auf eine neue Weise erfahren. Außerdem haben wir uns danach fest vorgenommen, regelmäßig zu wandern und in unsere Touren das Gebet einzuplanen.

»Wetteifert miteinander in guten Werken«, heißt es im Heiligen Qur’an (2:149). Und was das Gebet anbelangt, so schärft uns unser geliebter Kalif stets ein, gibt es keine Ausreden.

   

 

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