Vor etwa 130 Jahren, vom 26. bis 28. Dezember 1896, fand in Lahore (heutiges Pakistan) eine vielbeachtete Konferenz der Religionen statt. Fünf Fragen, eine tiefgründiger als die andere, sollten ausgewählte Vertreter der großen Glaubensschulen in ihren Vorträgen behandeln:
1. Was sind die physischen, moralischen und geistigen Stufen des Menschen?
2. Was ist der Zustand des Menschen nach dem Tod?
3. Was ist der Sinn des menschlichen Lebens und wie ist er zu erfüllen?
4. Wie ist die Wirkung des göttlichen Gesetzes auf den Menschen in diesem Leben und im Jenseits?
5. Was sind die Quellen der Gotteserkenntnis?

Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad (as), der heute von Millionen anerkannte Messias und Mahdi des Islam, wurde damals auserkoren, diese Fragen im Lichte der qur’anischen Lehren zu beantworten. Er tat dies auf eine Weise, die auch heute noch von vielen als wundersam erlebt wird.
- 1. Teil der Antwort auf Frage Nr. 2: Was ist der Zustand des Menschen nach dem Tod?
»Dies ist die nächste Frage, die hier gestellt wurde. Mit knappen Worten gesagt: Der Zustand des Menschen nach dem Tode ist kein völlig neuer; er ist vielmehr eine vollkommene Wahrnehmung und ein volles und klares Abbild der Zustände im irdischen Leben. Wie es um den Menschen im Leben hienieden mit seinem Glauben oder seinen Taten – den guten oder den schlechten – wirklich bestellt ist, bleibt in diesem Leben einfach in ihm, und ihr Gift oder Gegenmittel üben nur eine geheime Wirkung auf den Betreffenden aus.
Im Jenseits aber wird dem nicht so sein, sondern alles wird offenkundig und klar ans Tageslicht kommen. Zum Beispiel können wir die Art und Weise betrachten, in der der Mensch einen Traum sieht, worin er eine Verkörperung dessen wahrnimmt, was in seinem Temperament überwiegt. Wenn er beispielsweise einen schweren Fieberanfall erlebt, mag er in einem Traum flammendes Feuer sehen, während er bei grippehaften Erkältungen oder Katarrh ein Traumgesicht erlebt, worin er sich im Wasser befindet. Wenn sich im Körper eine gewisse Krankheit zusammenbraut, kommt dieser innere Zustand durch einen Traum zum Ausdruck. Durch die Art und Weise der Wandlung der inneren Zustände in körperliche durch Träume können wir uns vorstellen, wie sich die feinstofflichen Zustände dieses Lebens im nächsten Leben verkörpern werden. Im Jenseits werden unsere Taten und deren Folgen eine bestimmte Gestalt annehmen und manifest werden und das Verborgene, das wir von dieser Welt mitnehmen werden, wird dort aufgerollt und auf unseren Gesichtern erkenntlich gemacht werden.
Diese Verkörperung unserer inneren Zustände wird der Wirklichkeit entsprechen, wie wir auch den Wahrtraum als Realität betrachten und an dessen Wirklichkeit nicht zweifeln. Da diese Wahrnehmung durch Bilder eine neue und vollkommene Manifestation Gottes ist, vollkommen und absolut, da Er der Allmächtige ist, können wir dies genauso gut als eine neue Schöpfung – und keine Darstellung gewisser Tatsachen – bezeichnen, die durch die mächtige Hand Gottes zustande kommt. Gott sagt1:

Das heißt, keine Seele (die Gutes wirkt) weiß, was für eine Augenweide für sie verborgen liegt als Lohn für ihre Taten.
So beschreibt Gott all diese Segnungen des Himmels als etwas Verborgenes, das keine Ähnlichkeit mit dem Irdischen aufweist.
Es ist augenfällig, dass die materiellen Dinge dieser Welt für uns kein Geheimnis sind. Nicht nur kennen wir Milch, Granatäpfel, Trauben etc., sondern wir kosten sie auch. Die Früchte des Paradieses haben somit nichts mit diesen gemeinsam außer den Namen. Wer das Paradies als einen Ort ansieht, wo die irdischen Dinge in Hülle und Fülle zu bekommen wären, der hat kein einziges Wort des Heiligen Qur-âns verstanden.
Zu dem Verse, den ich soeben erläutert habe, lautet ein Ausspruch unseres Heiligen Meisters, des Propheten Muhammad (saw): “Kein Auge hat die Wonne des Himmels gesehen, noch das Ohr sie gehört, noch hat die menschliche Phantasie sie erfasst.”
Von den irdischen Dingen können wir freilich nicht sagen, dass wir sie nicht gesehen oder gehört oder sie uns nicht vorgestellt hätten. Gott und Sein Prophet berichten uns, dass unsere Sinne die seltsamen Dinge des Paradieses nicht zu erfassen vermögen; und wir würden uns von der Lehre des Qur-âns entfernen mit der Annahme, dass im Jenseits auch Ströme der gleichen Milch flössen, die wir hier auf Erden von Kühen und Büffeln haben.
Wie können wir – konsequent mit dieser Paradies-Vorstellung des Qur-âns – glauben, dass Herden von Kühen und Büffeln im paradiesischen Gebiet aufgezogen würden, oder dass unzählige Honigwaben an den Bäumen hängen und die Engel den Honig sammeln und ihn kontinuierlich in die Flüsse gießen würden?
Lassen sich diese Vorstellungen mit der Lehre der Verse des Qur-âns vereinbaren, wonach die Wonne des Jenseits dieser Welt fremd ist, und wonach es sich um Dinge handelt, die die Seele erleuchten und die Gotteserkenntnis erweitern und die geistige Nahrung bilden?
Es ist wahr, dass der Qur-ân sich bei der Beschreibung dieser Freuden in materiellen Worten ausdrückt, doch wir werden gleichzeitig aufgeklärt, dass diese Gaben Geist und Gerechtigkeit als Ursprung haben. Niemand soll sich vorstellen, dass der nachfolgende Vers des Heiligen Qur-âns etwa bedeute, die Bewohner des Paradieses würden die himmlischen Gaben von ihrem irdischen Leben her erkennen. Der Allmächtige Gott sagt2:

„Bringe frohe Botschaft denen, die glauben und gute Werke tun und die nicht im Geringsten abirren, dass Gärten für sie sind, auf deren Grunde Ströme fließen. Wenn immer ihnen im Jenseits von den Früchten gegeben wird, die sie schon auf der Erde bekommen hatten, so werden sie der Ähnlichkeit der Früchte wegen sprechen: ‘Das ist, was uns zuvor gegeben wurde.’“
Dieser Zusammenhang macht nun klar, dass mit den Früchten, die die Rechtschaffenen schon in dieser Welt gekostet haben (und die sie auch im Paradies genießen werden), nicht die Früchte des irdischen Lebens gemeint sind. Das Gegenteil anzunehmen, wäre ein grober Irrtum und dem Sinn des Verses völlig fremd. Gott, der Allmächtige, sagt hier bloß, dass jene, die glauben und gute Werke tun, sich einen Garten mit eigenen Händen vorbereiten, dessen Bäume die Manifestation des Glaubens bedeuten und dessen Ströme (oder Früchte) die guten Taten sind. Sie werden die Frucht desselben Gartens auch im Jenseits kosten; nur werden die geistigen Früchte jenes Lebens wesentlich klarer und deutlicher und köstlicher sein. Aber da sie diese geistigen Früchte schon hienieden gekostet haben, werden sie die Gleichartigkeit der Früchte in diesem und dem jenseitigen Leben feststellen und ausrufen: „Diese scheinen uns die gleichen Früchte zu sein, die wir schon zuvor gekostet haben!“ Sie werden die Ähnlichkeit jener Früchte mit denjenigen feststellen, die sie vom Diesseits kennen.
Somit bedeutet dieser Vers eindeutig, dass jene, die in diesem Leben die Liebe Gottes geistig kosten, im Jenseits von derselben Nahrung gespeist werden. Und da sie bereits hienieden eine Ahnung von der Köstlichkeit der Liebe Gottes gehabt und sie gekannt haben werden, werden ihre Seelen an die Zeiten erinnert, in denen sie in Einsamkeit und Dunkelheit ihren wahren Geliebten suchten und Wonne in Seinem Gedenken fanden. Der Vers spricht also nicht von den Speisen, die man hier auf Erden zu sich nimmt.
Man könnte einwenden, es sei unrichtig zu sagen, es habe kein Auge die Wonne des Himmels gesehen und kein Ohr davon gehört und niemand sei imstande, sie sich vorzustellen, wenn die Rechtschaffenen ihre geistige Nahrung schon in dieser Welt bekommen, und damit die zwei Verse (32:18 und 2:26) im Widerspruch zueinander stünden.
Der Widerspruch besteht nur dann, wenn der Vers sich auf irdische und materielle Wonne beziehen soll. Aber er besagt keineswegs, dass die Rechtschaffenen im Jenseits die (materiellen) Gaben dieser Welt empfangen werden. Was die Frommen hienieden genießen, sind in Wahrheit nicht die Gaben dieses Lebens, sondern tatsächlich jene des nächsten, die ihnen als Vorfreude der Seligkeit beschieden werden und die sie im kommenden Leben in Fülle erwarten – dies, um dadurch ihre Sehnsucht zu vergrößern.
Wir müssen auch bedenken, dass der wahrhaft rechtschaffene Mensch eigentlich nicht irdisch ist, und daher hasst ihn auch die Welt. Er gehört dem Himmel an, und himmlische Segnungen werden ihm zuteil. Dem Irdischen werden die Genüsse dieser Welt zuteil und dem Himmlischen werden die Wonnen des Himmels zuteil.
Somit stimmt es, dass jene Seligkeit eine solche ist, die den Augen, den Vorstellungen und den Ohren (der Anhänger) dieser Welt in der Tat verborgen ist. Aber wer seinem sinnlichen Leben in dieser Welt ein Ende setzt, hat den Vorgeschmack des Bechers der geistigen Wonne schon hienieden, an dem er sich im Jenseits dann physisch laben wird.
Dann wird er sich an jenen Becher erinnern, aus dem er schon im irdischen Leben getrunken hatte. Gleichzeitig wird der Mensch der Tatsache gewahr werden, dass diese Himmelsfreude den Augen und den Ohren der Welt gänzlich unbekannt war. Da auch er in dieser Welt, nicht aber von dieser Welt war, wird er bezeugen können, dass die Himmelsfreuden nicht die irdischen sind und dass er sie in dieser (weltlichen) Welt weder gesehen noch gehört noch sich vorgestellt hatte. Erst in seinem zweiten (neuen) Leben nimmt er ein Muster dieser Dinge wahr, die nicht von dieser Welt waren. Sie waren Vorzeichen der künftigen Welt, der er bereits angehörte, da er eigentlich kein Teil der irdischen Welt war.«
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Referenzen:
1: Sure As-Sajdah 32:18
2: Sure Al-Baqarah 2:26
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