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Einblick in den Corona-Alltag von Ahmadi-Muslimen

Corona-Alltag eines Ahmadi-Studenten

In den bisherigen Beiträgen unserer Kurzinterviewreihe zum Corona-Alltag haben wir Eindrücke und Erfahrungen unterschiedlicher Leser geteilt. Diese Reihe fortführend haben wir mit Rastagar Munir gesprochen, einem Studenten an der Universität in Wien.

Können Sie sich unseren Lesern kurz vorstellen?
Mein Name ist Rastagar Ahmad Ilyas Munir. Ich komme ursprünglich aus Frankfurt a/M und bin in mehreren Orten Deutschlands aufgewachsen. Nach meinem Abitur studierte ich Ägyptologie und Ostasienwissenschaften an der Universität Heidelberg, die ich mit einem B.A. abschloss. Vor kurzem habe ich mein M.A.-Studium an der Universität Wien aufgenommen. Daneben gilt meine Leidenschaft dem Schreiben. Momentan arbeite ich an einigen Buchprojekten.

In Österreich wurden die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung im Vergleich zu Deutschland recht früh eingeleitet. Wie haben Sie diese Zeit dort erlebt und wie hat sich das auf ihr persönliches Leben ausgewirkt?
In Österreich war das Coronavirus in der ersten Märzwoche noch kein ernstes Thema gewesen, man rezipierte es eindeutig scherzhaft und man machte viele Witze hierüber, obwohl schon erste Fälle in Wien bekannt waren. Anzeichen von präventiven Maßnahmen waren bei Weitem nicht zu erkennen. Dies änderte sich schlagartig in der zweiten Märzwoche. Ein nahezu krankhaftes Einkaufsverhalten der Menschen machte sich bemerkbar. Der Bundeskanzler Sebastian Kurz sprach nun viel öfter zum Volk und rief zu Ausgangssperren aus, deren Realisierungen nicht lange warten ließen. Schulen, Universitäten und alle öffentlichen Einrichtungen wurden ad hoc bis auf Weiteres geschlossen. Infolgedessen sind meine geplanten Praktika auch erst auf Eis gelegt.


Zudem wurden alle öffentlichen Plätze ausnahmslos abgesperrt, das Versammlungsrecht aufgehoben, was auch die Konsequenz trug, dass sogar der Zutritt in die Moschee verboten wurde. Man fing an, die Angelegenheit nun ernster zu nehmen und die Maßnahmen umzusetzen. Es war besonders in der Hinsicht schwer, da diese Umstellungen von heute auf morgen in die Tat umgesetzt wurden. Wo man gestern noch routinemäßig sein Leben führte, war man plötzlich auf die eigenen vier Wände beschränkt und musste alles von zu Hause aus erledigen. Das alles führte dazu, dass ich die Kurzschlussentscheidung treffen musste, nach Hause nach Frankfurt zu fahren. Schließlich lief es (bis dahin noch) in der deutschen Heimat wesentlich besser und entspannter und ich konnte durch meinen Aufenthalt in Frankfurt meinen Eltern in dieser schwierigen Zeit auch helfen, was von Österreich aus nicht möglich gewesen wäre.
Zudem wurde auch bekannt gegeben, dass alle Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen würden, d.h. wenn jemand noch in ein anderes Land will bzw. muss, dann so schleunigst wie möglich. Die Nachricht um die Schließung der Grenzen nach Ungarn, der Slowakei und Tschechien war in Wien innerhalb weniger Tag in aller Munde. Was mich persönlich tangierte, war die etwas entfernter gelegene Grenze nach Deutschland, deren Schließung auch sehr bald erfolgen sollte. Ich musste also schnellstens handeln: ich packte sofort das Nötigste und brach auf, um noch den nächsten Zug nach Frankfurt zu erwischen. Ich fühlte mich wie in einem abenteuerlichen Action-Thriller, denn nie zuvor geschah es in meinem Leben, dass ich ad hoc und ohne die geringste Planung im Voraus eine lange Reise bewältigen musste. Und da permanent die Regelungen darüber, wer über die Grenze darf, stetig revidiert wurden, war (nicht nur) ich schon verzweifelt, ob ich überhaupt noch über die Grenze nach Deutschland schaffe. Schließlich wurde ich doch noch an der Grenze ohne weitere Kontrollen von der Bundespolizei durchgelassen, Alhamdulillah. Die Auswirkungen der Pandemie waren auch am Bahnhof und im Zug bemerkbar, denn dieser war so gut wie leer. Die wenigen Insassen diskutierten rund um das Virus.


Bei meiner Ankunft in Frankfurt war ich sehr traurig, was sich nur sehr langsam legte. Ich fand meinen Heimatort nicht in dem Zustand wieder, in welchem ich ihn verließ. Die vom Gemeindeleben geprägte Moschee und ihre von Brüderlichkeit gefüllte Atmosphäre habe ich in Wien sehr vermisst, doch nun erlebe ich sie nicht einmal vor Ort und ich erkannte ihn gar nicht mehr wieder.

Inwieweit hat sich ihr Alltag und möglicherweise der von Ihren Bekannten oder Verwandten verändert?
Der gesamte Studienbetrieb ist auf Home-Learning umgestellt, wodurch ich ganz bequem auch von Frankfurt aus studieren kann. Ich spüre aber auch deutlich die Auswirkungen: ich sitze fast nur noch vor dem Laptop und alle Interaktionen müssen digital laufen. Dadurch ist in mir die Sehnsucht nach einem persönlichen Kontakt mit den Mitmenschen und das Arbeiten mit nicht-digitalen Büchern stark gewachsen. Es fallen auch Probleme und Einschränkungen an, denn nicht alle Bücher, die man z.B. für eine Hausarbeit braucht, sind online verfügbar. Aber es lässt sich für alles eine Lösung finden. Durch das Home-Office muss man den gesamten Tagesablauf nun selbst gestalten, dazu gehört es auch, anderen zu helfen. In der übrigen Zeit habe ich angefangen, die aktuelle Krise literarisch zu verarbeiten und dies möchte ich später veröffentlichen. Damit möchte ich inspirierende Impulse geben und somit dem Aufkommen eines »Corona-Traumas« vorbeugen.

Auch in anderen Teilen der Erde läuft es alles andere als optimal. Ein Cousin von mir, der in den USA als Physiologe tätig ist, musste, wie alle anderen in seiner Branche auch, die eigentliche Arbeit zur Seite legen und verbringt nun den größten Teil des Tages in den Kliniken, um Patienten auf das Virus zu testen. Dabei werden täglich um die 2700 Menschen getestet – eine laut seiner Aussage physisch und psychisch anstrengende Tätigkeit. Und eine Professorin von mir musste ihre Ausgrabungen in Ägypten aufgrund der Pandemie abbrechen und schleunigst nach Wien zurückkehren.


Das weltweite Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Jamaat, Hadhrat Mirza Masroor AhmadABA, geht in seinen Freitagsansprachen ausführlich auf die derzeitige Corona-Krise ein und gibt auch konkrete Handlungsanweisungen, wie man diese schwierige Zeit bewältigen kann. Was nehmen Sie für sich aus diesen Ansprachen mit?
Anfangs ließ ich mich auch vom Faktoid, das Virus sei gar nicht so schlimm wie ihm nachgesagt wird, beeinflussen. Doch als Seine HeiligkeitABA das Thema in der Freitagsansprache behandelte, wandte sich meine Ansicht und ich erkannte nun den Ernst der Sache an. Es ist unfassbar schön, dass wir eine Kontaktmöglichkeit durch diese Ansprachen zu unserem geliebten Imam haben, welcher uns unermüdlich und mit dem undenkbar größtem Bemühen Rechtleitung gewährt. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir diese Gunst Gottes genießen dürfen.

Besonders interessant fand ich die Erwähnung, dass das uns Muslimen immer negativ angehängte Nicht-Händeschütteln mit dem anderen Geschlecht nun auch in der westlichen Gesellschaft sich gewandelt hat. Dies spiegelte sich tatsächlich in der Erfahrung wider, als mir kurze Zeit später eine Professorin nicht die Hand gab, aus Angst vor dem Virus. Ich fühlte mich schmunzelnd an die Freitagsansprache Seiner HeiligkeitABA erinnert.

Überhaupt geben mir die Ansprachen Seiner HeiligkeitABA eindeutig das Gefühl, dass wir uns in so etwas wie eine Zäsur befinden. Schließlich kam es noch nie vor, dass Seine HeiligkeitABA statt der Freitagsansprache eine Botschaft aus seinem Büro gibt. Für mich stand klar: wir müssen jetzt mehr als zuvor Gott um Vergebung erflehen, nicht nur für uns selbst, sondern für die gesamte Welt. Es ist schließlich eine sehr heikle und sensible Zeit.

Was wäre Ihre Botschaft an die Leserschaft der Revue in dieser herausfordernden Zeit?
Jede Drangsal und Kalamität ist eine Prüfung, und Gott prüft uns immer aus und zu einem bestimmten Zweck. Es liegt also an uns, diese Prüfung zu meistern und die Lektion daraus zu lernen. Offenbar hat die Menschheit etwas falsch gemacht, wir müssen die Fehler nicht nur eruieren, sondern diesen auch weichen, diese nie mehr wiederholen. Ansonsten werden wir auf unsere Geduld und Beharrlichkeit getestet, ob wir selbst in Zeiten von solchen Ausnahmezuständen, in denen alle selbstverständlichen Dinge nicht mehr vorhanden sind, immer noch am Seile Allahs festhalten oder nicht. Wenn wir Letzteres geschafft haben, können wir einmal mehr die Gunst und Gnade Allahs erreichen.
Wenn wir nicht unsere Lektion lernen und nicht unsere Fehler einsehen, oder anderweitig vom Seile Allahs gar loslassen, dann haben wir die Prüfung nicht bestanden, und alle präventiven Maßnahmen mit allen ihnen verbundenen Anstrengungen wären dann umsonst gewesen.

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