
von Yunus Mairhofer
Die Menstruation – ein natürlicher biologischer Prozess – betrifft die Hälfte der Menschheit. Und doch ist sie in vielen Kulturen, selbst in modernen Gesellschaften, immer noch mit Tabus, Unverständnis und Unsichtbarkeit behaftet. Während Werbung mittlerweile versucht, das Thema auf gewisse Weise zu enttabuisieren, fehlt es oft an echter Empathie im Alltag. Dabei zeigt sich wahre Zivilisiertheit nicht zuletzt im Umgang mit Schwäche, Schmerz und Verletzlichkeit – also auch mit den Tagen, an denen eine Frau nicht „funktioniert“, sondern einfach Mensch ist.
Was bedeutet Fürsorge in dieser Zeit?
In einer idealen Partnerschaft – unabhängig von Religion oder Kultur – beginnt Fürsorge damit, dass man zuhört. Viele Frauen erleben während ihrer Periode Schmerzen, emotionale Erschöpfung, Konzentrationsstörungen oder das Bedürfnis nach Rückzug. Sensible Partner erkennen das und fragen nicht: „Was ist los mit dir?“, sondern: „Was brauchst du gerade?“
Das bedeutet nicht, dass man seine Frau schont, als wäre sie krank. Aber es heißt, dass man achtsam ist, wenn sie gereizter ist, wenn sie sich zurückzieht, wenn sie nicht wie sonst sein kann. Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen: im Haushalt, mit den Kindern, in der Kommunikation. Zeigt sich Liebe nicht gerade in den Momenten, in denen das Gegenüber weniger leisten kann – als darin, wenn alles glattläuft?
Was Männer oft nicht wissen – aber wissen sollten
Viele Männer fühlen sich beim Thema Menstruation unsicher. Sie haben es nie gelernt, darüber zu sprechen – weder in der Schule noch in der Familie. Manche ziehen sich zurück, andere verharmlosen die Schmerzen oder denken, sie müssten etwas „reparieren“. Dabei ist es keine Schande, Fragen zu stellen. Ein einfacher Satz wie „Ich weiß nicht genau, wie du dich fühlst – aber ich möchte dich verstehen“ kann mehr bewirken als gut gemeinte Ratschläge.
Ein idealer Partner zeigt sich nicht in Heldenposen, sondern in stiller Präsenz. Oft reicht es, da zu sein, Verständnis zu zeigen, Verantwortung zu teilen – und eben auch mal einen Tee zu bringen, ohne dass jemand darum bittet.
Ein Blick aus der islamischen Tradition
Für Interessierte lohnt sich auch ein Blick in die islamische Überlieferung. Der Qur’an selbst spricht die Realität der Menstruation offen und würdevoll an. In Sure al-Baqara (2:223) heißt es übersetzt:
„Und sie fragen dich über die Menstruation. Sprich: ‘Sie ist ein Leidenszustand; haltet euch deshalb fern von Frauen während der Menstruation und naht ihnen nicht, bis sie rein sind.’“
Wie so oft bei Qur’anversen sind hierfür einige klärende Anmerkungen hilfreich. Die Menstruation wird als Leiden bezeichnet – nicht im moralischen Sinn, sondern als Ausdruck für körperliche Erschwernis, Unbehagen oder Schmerz. Der Qur’an erkennt an, dass diese Tage eine Zeit besonderer körperlicher Empfindsamkeit sind.
Das gebotene „Sich-Fernhalten“ bezieht sich indes auf den Geschlechtsverkehr und nicht auf emotionale Nähe oder soziale Zuwendung. Das belegen auch die Handlungen des Propheten Muhammad (saw), der in solchen Tagen liebevoll blieb und seine Frauen nicht zurückwies – sondern ihnen Wärme und Nähe schenkte, ohne die körperliche Intimität zu übertreten.
Diese Balance ist typisch für den Qur’an: eine tiefe Achtung vor der Schöpfungsordnung, verbunden mit praktischer Weisheit. Nicht die Frau wird ausgeschlossen, sondern der Mann wird ermahnt, in diesen Tagen besonders rücksichtsvoll zu sein.
Die Haltung des Propheten gegenüber Frauen war generell geprägt von Einfühlungsvermögen und Achtsamkeit. In einem bekannten Hadith sagt er sinngemäß:
„Behandelt die Frauen gut! Die Frau ist wie eine Rippe. Wenn du versuchst, sie geradezubiegen, wirst du sie brechen.“ (Vgl. Sahih al-Bukhari, Nr. 3331; Sahih Muslim, Nr. 1468)
Auch diese Aussage wird gern missverstanden. Gemeint ist: Der Versuch, eine Frau ihrer Eigenart zu berauben, macht nicht nur sie kaputt, sondern mit ihr die Beziehung. Der Prophet (saw) fordert mit dieser Aussage alles andere als zur Unterwerfung des anderen Geschlechts auf, sondern zu Geduld, Respekt und der Anerkennung von Unterschiedlichkeit als etwas Natürliches – gerade auch in schwierigen Momenten wie der Menstruation. Er war kein romantischer Schwärmer, sondern ein praktischer Mensch – dabei war seine Zärtlichkeit tiefgründig, seine Geduld ein Vorbild und seine Haltung revolutionär für damalige Verhältnisse – und wegweisend bis heute.
Wie andere Kulturen mit Menstruation umgehen
Ein Blick auf die weite Welt zeigt, dass die Menstruation Gegenstand zahlreicher kultureller Mythen, Regeln und Tabus ist. In Teilen Indiens dürfen menstruierende Frauen bestimmte Räume nicht betreten. In Japan gibt es hingegen den sogenannten „Menstruationsurlaub“, der Frauen erlaubt, sich bei Bedarf von der Arbeit freistellen zu lassen. In Afrika wiederum kämpfen viele Mädchen mit Schulabbrüchen, weil sie keinen Zugang zu Hygieneprodukten haben.
Auch an dieser Vielfalt kann man ablesen: Der Umgang mit der Menstruation ist weniger ein persönliches noch medizinisches, sondern viel mehr ein zivilisatorisches Thema. Eine gerechte Gesellschaft erkennt an, was Frauen ausmacht, was sie durchmachen – und schafft Strukturen, die sie dabei unterstützen.
Fairness auch in Beruf und Spitzensport
In der modernen Zeit hört man zunehmend aus Bereichen wie dem Spitzensport, wo Leistung und Medaillen zählen, dass viele Athletinnen mit Ignoranz gegenüber ihrer Monatsblutung kämpfen. Leistungseinbußen, Schmerzen, zyklusbedingte Schwankungen – all das wird selten thematisiert. Studien zeigen hier mittlerweile, dass zyklusgerechtes Training messbare Vorteile bringt, doch oft fehlt noch das Wissen oder der Wille zur Umsetzung.
In der Arbeitswelt sieht es meist nicht besser aus. Zwar leisten Frauen in vielen Berufen ebenso viel wie Männer – doch wenn sie sich einmal zurückziehen müssen oder sensibler reagieren, wird das schnell negativ ausgelegt. Dabei bräuchte es nicht viel: flexible Arbeitszeiten, offene Kommunikation, Räume für Rückzug. Und vor allem: weniger Urteil, mehr Verständnis.
Empathie ist kein Zufallsprodukt
Wahre Fürsorge entsteht also nicht durch Zufall und auch nicht allein durch abstrakte Vernunft. Die großen ethischen Systeme dieser Welt, allen voran die Religionen, haben über Jahrtausende hinweg dazu aufgerufen, Menschen zu schützen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und auf die Umgebung Rücksicht zu nehmen.
Viele der heute als „moderne Werte“ gefeierten Tugenden – wie Geduld, Rücksicht, Barmherzigkeit oder Gerechtigkeit – zehren tatsächlich vom Licht religiöser Lehren, die ihren Ursprung in einem ebenso geduldigen, rücksichtsvollen, barmherzigen und gerechten Gott haben. Genau an solchen Stellen, die nie – oder nur kurz – von diesem Licht ausgeleuchtet wurden, treten gesellschaftliche Missstände und Mangel an Empathie und Gleichberechtigung auf.
Eine gerechte Gesellschaft beginnt also dort, wo vor allem auch die Realität von Frauen ernst genommen wird. Und Menstruation ist keine Störung. Sie ist Teil des Lebens. Wer das erkennt – sei es als Partner, Arbeitgeber oder Mitmensch – folgt nicht nur seinem Herzen, sondern einer tiefen ethischen Wahrheit.
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