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Gott, Exil & Israel: So sehen orthodoxe Juden die Nakba

"Wir möchten unseren entschiedenen Widerstand gegen einen jüdischen Staat in irgendeinem Teil Palästinas zum Ausdruck bringen." 

Ausschnitt aus dem Let’s Review Podcast-Interview mit Rabbiner Dovid Weiss, Sprecher der jüdisch-orthodoxen Satmar Gemeinde namens ‘Neturei Karta’. Das Interview wurde geführt von Amer Safir.

AS: Rabbi Weiss, ich möchte gleich einsteigen, weil wir in der letzten Sendung auch einen Rabbiner hatten, und ich möchte nun etwas deutlicher werden. Premierminister Netanjahu zitierte diese bestimmte Stelle in der Tora als Rechtfertigung für das, was jetzt geschieht, nämlich Angriffe  – oder sogenannte Vergeltungsmaßnahmen – gegen eine ganze Bevölkerung. Es handelt sich um Samuel 15,3, wo es heißt: 

“Und nun geht hin und schlagt Amalek und vernichtet alles, was sie haben, und verschont sie nicht, sondern tötet Mann und Frau, Kind und Säugling, Ochse und Schaf, Kamel und Esel.” 

Der Premierminister zitierte dies also als Rechtfertigung für die Aktionen der israelischen Regierung und Armee. Was sagen Sie dazu, Rabbi? 

DW: Wir haben als Nation keine Gelegenheit, Amalek überhaupt zu konfrontieren, denn das ist etwas, das damals war, etwas, das mit der Identität von Amalek zu tun hat, von dem wir heute nicht wissen, was es ist. Wir wissen nicht, wer oder was oder wann oder wo. Und sicherlich haben wir kein Recht, Menschen zu töten.

AS: Rabbi, nur damit ich es verstehe, und damit wir es verstehen – für die Zuschauer: Ist es also im Grunde richtig, diesen Amalek-Bezug zu benutzen, um zu rechtfertigen, was heute geschieht? 

DW: Der große Rabbi Hamishpat, der vor etwa 250 Jahren einer der größten Führer des Judentums war – anerkannt in der ganzen Welt, einer der heiligsten unserer Rabbiner – er sagte, dass die Menschen aus der jüdischen Nation, aus dem jüdischen Volk, die irreführende Menschen sind – viele von ihnen sind Amalek, ihre Seelen sind Amalek. Es ist also eine spirituelle Sache für uns heute. Mit anderen Worten, die Leute, die klar sagen, dass man die Araber töten sollte, sind vielleicht Amalek. Leute, die so etwas verkünden. Aber wir wissen es nicht wirklich, wir können Amalek oder so etwas nicht identifizieren.

AS: Also Rabbi, es ist sehr interessant, was Sie vorher gesagt haben. Sie sagten, die Juden seien im Exil. Können Sie das näher erläutern? Viele Menschen sind damit nicht vertraut oder sich dessen nicht bewusst. Woher kommt die Idee, eine Heimat für das jüdische Volk oder einen Staat zu schaffen? Können Sie das etwas ausführlicher erklären? 

DW: Nun, wir wissen, dass wir seit 2.000 Jahren im Exil leben. Vor nur 150 Jahren entstand eine Bewegung, die sich Zionismus nannte. Der Zionismus ist eine Bewegung, die den Bund aufgreift, den die Juden auf dem Berg Sinai geschlossen haben – dass Moses auf den Berg Sinai ging, zu Gott ging und die Tora nahm, versprach, sich unterzuordnen, nicht zu töten, nicht zu stehlen, die Gesetze der Tora zu befolgen, die vielen Gebote der Tora. Und bis heute halten wir uns streng an diese Gebote der Tora. 

Dann wurden wir aufgefordert, in das Heilige Land zu gehen, aber dann wurden wir aus dem Land vertrieben, und das ist ein Teil unseres Wesens. Seit 2.000 Jahren sind wir aus dem Land vertrieben, und wir haben verstanden, dass das daran liegt, dass wir nicht die hohe Stufe der Läuterung erreicht haben, die von uns erwartet wurde. Als Volk sind wir nun also unter den Völkern der Welt verstreut. Und um loyale Bürger zu sein, wird von uns verlangt, dass wir keinen Versuch der Rückkehr unternehmen. 

Dieser Zionismus begann vor 150 Jahren, als eine Gruppe von Menschen, die sich von der Religion entfremdet hatten, sich völlig von der Frömmigkeit, von der Religion trennten und beschlossen, ein Judentum zu schaffen, das sich in Nationalismus verwandelt. Der Zionismus ist Nationalismus. Es war eine Bewegung von Menschen, und ich trage zum Beispiel ein Bild der Bewegung bei mir, als sie begann. Sie sehen David Ben-Gurion bei der Verlesung der Unabhängigkeitserklärung in der Unabhängigkeitshalle von 1948. Wenn Sie sich dieses Bild ansehen, werden Sie feststellen, dass keiner der Menschen, die am Tisch sitzen, seinen Kopf bedeckt, wie es scheint. Und die Juden müssen ihren Kopf bedecken, um zu zeigen, dass es einen Gott über ihnen gibt. Das ist eine Vorschrift des jüdischen Gesetzes. 

Er hat die Davidsterne an der Wand, ein Bild von Theodor Herzl, dem ersten Premierminister Israels. Nur um eine Vorstellung davon zu bekommen, was Zionismus ist: Sie sagen, sie vertreten das Judentum, die Religion, obwohl sie nicht einmal religiös sind – das ist eine Farce, denn das Judentum ist eine Sache und nur eine Sache. Es ist ein Bund, den wir mit Gott geschlossen haben, um Ihm untertan zu sein. 3.000 Jahre lang haben wir das Gesetz buchstabengetreu befolgt, wie es von uns verlangt wurde. 

Die Zionisten beschlossen: Wir werden ein jüdisches Heimatland, eine jüdische Souveränität, einen jüdischen Ort schaffen. Und sie dachten an Uganda, an Patagonien, an irgendeinen Ort, der üppig und ertragreich sein würde. Aber dann saßen sie in den 1890er Jahren in der Schweiz zusammen und beschlossen, dass sie eine Menge Unterstützung brauchen, um einen Staat zu gründen. Sie sagten: Um dieses Heimatland zu schaffen, müssen wir nach Palästina gehen. Und sie sagten den Menschen: Hey, das ist das Land, das Gott den Kindern Israels gegeben hat, das Land Israel, für die Kinder Israels. Und sie finden massiven Rückhalt bei den Christen und bei vielen Juden, die bereits seit zwei Generationen nicht mehr religiös waren. Sie fangen an, zu praktizieren, während sie nichts von der Religion wissen. Und sie sagen ihnen, dass Gott uns das Land versprochen hat, damit wir gehen und es uns holen. 

Diese zionistische Bewegung ist also eine direkte Rebellion gegen Gott. Denn anstatt zu sagen, dass Jude zu sein bedeutet, dass dies eine Religion ist, die sich Gott ergibt und die Gesetze der Thora einhält – nicht töten, nicht stehlen, freundlich zu allen sein, Gott nacheifern – riefen sie uns immer wieder zu, dass wir eine nationale Heimat schaffen werden. Sie wollten nur eine materialistische Nation sein, eine Hülle dessen, was das Judentum ist. Sie wollten nur den Namen Israel und den Davidstern, die Thora, den Leuchter, das Bild verwenden. Sie wollten es verändern. Aber es ist in Wahrheit eine falsche Darstellung dessen, was das Judentum ist. Es hat seine Wurzeln in der Ketzerei, in der Rebellion gegen Gott, und sie schmälern die Heiligkeit, die Größe Gottes. Das ist es, was Zionismus ist. Das ist das ganze Konzept. Wenn Sie einen Zionisten fragen, sagen sie genau das: Wir brauchen einen Verteidiger, eine Versicherungspolizze, einen Anwalt, der uns schützt. Das ist also das genaue Gegenteil von dem, was das Judentum ausmacht. Es ist widersprüchlich. Wir sagen, das Judentum ist eine Religion, eine Unterwerfung unter Gott. Der Zionismus sagt, sie sind eine Nation. 

AS: Rabbi, das ist eine wirklich faszinierende Geschichte, die Sie über den Zionismus und die Vertreibung der Juden erzählen. Das führt zu einer logischen Folgefrage, über die ich von Ihnen mehr erfahren möchte: Würden Sie – da Sie offensichtlich jüdischen Glaubens sind – nicht irgendwann in das Gelobte Land, das Heilige Land, zurückkehren wollen? Weil sich die ganze Diskussion darum dreht? Wollen Sie in das Gelobte Land zurückkehren? 

DW: Ja, wir wollen in das Heilige Land zurückkehren. Sicherlich, wir alle, ich flehe und bete jeden Tag darum. Aber unsere Sehnsucht, ins Heilige Land zurückzukehren, besteht darin, dass der Allmächtige selbst einen metaphysischen Wandel in der Welt herbeiführen wird, bei dem die gesamte Menschheit den einen Gott anerkennen und aufhören wird, Atheisten zu sein. Dann werden alle Völker zusammenkommen, sich die Hände reichen und Gott dienen. Und Gott wird den Tempel wieder aufbauen. Der jüdische Glaube an das Ende der Tage besteht also nicht darin, dass wir uns einen Gott nehmen und uns aus dem Exil befreien. Im Gegenteil, es ist eine metaphysische Veränderung, ein wundersames Ereignis, bei dem die ganze Menschheit zwar nicht zu Juden wird – aber die ganze Menschheit wird an einen Gott glauben. Alle werden Gott dienen und Gott wird den Tempel bauen. 

Bis dieser Tag kommt, ist es uns also ausdrücklich verboten, gegen Gott zu rebellieren und zu versuchen, diesem Ende des Exils zuvorzukommen. Wir müssen dies akzeptieren, ein göttlich erklärtes Exil – nicht weil wir physisch schwach wären, sondern weil wir wegen unseres spirituellen Mankos unter die Völker zerstreut sind. Das ist das reine Judentum. Es gibt keine anderen Ansichten darüber, was das Judentum ist. 

AS: Herr Rabbiner, dieses Gespräch ist wirklich faszinierend und ich schätze es sehr, dass wir es führen. Ich bin sicher, dass viele der Zuschauer genauso davon profitieren werden wie wir hier. Aber ich wollte Folgendes herausfinden: In der Geschichte haben wir festgestellt, dass es in den nicht-jüdischen Gesellschaften vielleicht einen Widerstand gegen den Zionismus oder die zionistische Bewegung gab. Aber wie sieht es in den jüdischen Gemeinden, unter den Menschen jüdischen Glaubens aus? Wie haben sie auf den Zionismus reagiert oder ihn verurteilt, wenn überhaupt? 

DW: Wir haben ein Buch mit dem Titel “The Rabbis Speak Out” (Die Rabbiner melden sich zu Wort) herausgegeben, eine Zusammenstellung der führenden Rabbiner aus der ganzen Welt. Wir haben Zehntausende von Rabbinern im Laufe der Geschichte – aber dieses Buch ist eine 130-jährige Aufzeichnung unserer religiös-jüdischen Opposition gegen den Zionismus. Das Buch gibt es jetzt schon etwa 40 Jahre, und man hat Rabbiner aus jedem einzelnen Land, die über diese Bewegung des Zionismus sprechen und erklären, dass sie inakzeptabel ist. Das fing an, bevor der Staat gegründet wurde, und es hält bis heute an. 

Ich nenne ein Beispiel von Rabbi Israel Meir Kagan. Er war ein Kodifizierer des jüdischen Rechts und jeder liest seine Bücher, die Mischna Berurah. Jeder erkennt seine Größe an. Und hier nur ein kleines Zitat – er sagte: 

“Deshalb sind die Zionisten tote Glieder unseres Volkes, die den ganzen Körper verrotten lassen.“ 

Und er ist ein Kodifizierer der Juden, dem alle folgten, und nur ein Beispiel. er betrachtete den Zionismus als Krebsgeschwür, als Wucherung des jüdischen Körpers, weil er das, was es bedeutet, Jude zu sein – die Tora zu lernen, fromm und gottesfürchtig zu sein und den Menschen zu helfen -, völlig verunstaltet. Der Zionismus will eine nationale Heimat schaffen. In den jüdischen Gemeinden hat jeder verstanden, dass der Zionismus aus Europa kam. Sie kamen nicht aus dem Nahen Osten. Sie kamen aus Österreich und Deutschland. Sie kamen und sagten, sie würden eine Heimat schaffen. Und die Rabbiner dort hielten das für ‘haram’. Sie hielten es für inakzeptabel, und sie (die Zionisten) wurden tatsächlich aus jeder jüdischen Gemeinde in Europa ausgeschlossen. 

Als der Zionismus also beschloss, nach Palästina zu gehen und den Staat Israel zu gründen, lag das nicht nur an der Ideologie, die dahinter stand, sondern auch daran, dass das Judentum von der Unterwerfung unter Gott in einen Nationalismus umgewandelt wurde – da das Betreten dieses Landes einen Verstoß gegen die Gesetze des Exils darstellt. Mit anderen Worten, es wird uns (in unseren Schriften) gesagt, dass es uns nicht erlaubt ist, auch nur einen Zentimeter eines jüdischen Königreichs, einer Souveränität oder einer nationalen Heimat zu errichten. Es ist also inakzeptabel, dorthin zu gehen und einen Staat zu gründen. Und selbst wenn Palästina unbewohnt gewesen wäre, würden wir immer noch in dieser strikten Opposition dazu stehen, wie wir es heute tun. Aber obendrein haben sie (ihren Staat) in Palästina gegründet – und Palästina war kein unbewohntes Land. Um ihren Staat zu gründen, mussten sie den palästinensischen Einwohnern, die mehrheitlich Muslime waren, das Land wegnehmen. Und die zweitgrößte Gemeinschaft waren die Christen. Und dann war da noch die jüdische Gemeinschaft, die gottesfürchtig und antizionistisch war. Die Gründung des Staates erfolgte also durch die Bekämpfung, Tötung und Zerstörung des palästinensischen Volkes. Das ist an und für sich schon ein schwerer Verstoß gegen die Gesetze der Thora. Es ist uns nicht erlaubt zu stehlen oder zu töten. Das sind die Grundlagen des Judentums. Die Gründung des Staates Israel steht also in jeder Hinsicht im Widerspruch zum Judentum.

Und lassen Sie mich noch eine Sache sagen. Es ist eigentlich keine Kleinigkeit, aber es ist sozusagen das Sahnehäubchen auf dem Kuchen. Wenn sie (die Zionisten) in irgendein Land gegangen wären, würden wir uns hinstellen und sagen, ihr dürft nicht töten, ihr dürft nicht stehlen, ihr dürft keinen Staat gründen. Aber um diesen Staat zu gründen, gingen sie nach Palästina, das von Muslimen bewohnt war. 

Wir dürfen nun nicht vergessen, dass die Christen in diesen 2.000 Jahren des jüdischen Exils die Vorstellung hatten, dass man in der Hölle schmoren muss, wenn man nicht Christ wird. In Spanien und Portugal führten sie die Inquisition ein, bei der sie Juden folterten. Und sie verbrannten sie auf dem Scheiterhaufen. Und noch immer sind diese Folterkammern in Spanien und Portugal zu sehen. Es gibt sie noch, die Menschen besichtigen sie. Und die Fakten, die Geschichte, die jeder kennt, niemand widerlegt die Geschichte. Die Juden wurden gefoltert. Und sie wurden aus dem Land verbannt. Sie wurden aus Spanien und Portugal vertrieben. Und wenn sie nicht geflohen sind, wurden einige von ihnen, wenn man sie zurückließ, ermordet. Was geschah also? Die Juden, wohin gingen sie? Sie gingen in muslimische Länder. Und es waren die Muslime, die die Juden aufnahmen! Das Osmanische Reich nahm die Juden auf und Palästina gehörte zum Osmanischen Reich. So entfalteten sich die Juden als religiös definierte Juden in muslimisch definierten Ländern. Deshalb sind wir als Juden nach den Gesetzen der Thora verpflichtet, Dankbarkeit zu zeigen. Wir erkennen also an, dass die Juden in den muslimischen Ländern über Hunderte von Jahren gediehen sind und wir dazu keine Menschenrechte brauchten, die uns geschützt hätten. Wir sind also verpflichtet, Dankbarkeit zu zeigen. 

Nun mussten die Zionisten, um ihr Heimatland in Palästina zu gründen, erklären, dass alle Einwohner Palästinas, die gegen die Gründung des Staates Israel waren, Antisemiten waren – dass sie die Juden hassten. Wie können die Zionisten es wagen, das zu sagen? 

Das ist ein Verbrechen! Wie können sie es wagen zu sagen, dass die Muslime die Juden hassen und uns deshalb loswerden wollen? Anstatt ehrlich zuzugeben, dass es daran liegt, dass sie ihre Häuser stehlen, ihre Städte stehlen – nein, sie sagen, es ist, weil sie die Juden hassen. Während wir uns dankbar zeigen sollten! In jeder Hinsicht ist der Zionismus also eine Rebellion gegen Gott und inakzeptabel. 

AS: Rabbi Dovid, Sie haben einige sehr, sehr interessante Aspekte erwähnt, die auch historisch wichtig sind. Und ich wollte nur sagen, dass eines der Ziele, warum wir Let’s Review machen, darin besteht, verschiedenen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlichem Glauben die Möglichkeit zu geben, ihre religiösen Ansichten in einem sicheren, ehrlichen und respektvollen Umfeld zu äußern. Wir sind vielleicht nicht mit allem einverstanden, was die Leute uns sagen, aber wir wollen diese Plattform bieten. Und das ist es, was die Revue der Religionen bezweckt. 

Es ist eine großartige Gelegenheit, Unwissenheit durch Lernen zu beseitigen. Und auf diese Weise können wir Brücken bauen. Das ist eines der Ziele dieses Podcasts. Herr Rabbiner, können Sie für unsere Zuhörer erläutern, welchen Zweig des Judentums Sie vertreten – denn in jeder Religion, auch im Judentum, gibt es viele verschiedene Konfessionen, orthodoxe, liberale und so weiter und so fort? Der Rabbiner, mit dem ich in der ersten Folge gesprochen habe, Benjamin Lau aus Jerusalem, sagte, dass es nach der Thora nicht gerechtfertigt ist, diese und jene Kategorie von Menschen zu töten, aber er sagte, was können wir tun? Wir müssen tun, was wir tun. Und er begründete dies mit der aktuellen Situation, mit der Selbstverteidigung. Er sagte also, dass wir versuchen, vorsichtig zu sein, et cetera. Aber wie auch immer, deshalb möchte ich Ihnen auch diese Frage stellen.

DW: Hoffen wir, dass der Allmächtige mir die richtigen Worte gibt. Zunächst einmal sprechen wir in einer Zeit, in der, während wir hier sitzen, die Menschen in Gaza leider täglich abgeschlachtet werden und andere Menschen liegen unter Trümmern, obwohl jedes Leben so kostbar ist. Wir sollten über jeden einzelnen dieser getöteten Menschen sprechen, über 5.000 Kinder. Und dazu das Leid, das Leid ohne medizinische Hilfe, ohne … – es ist einfach unbeschreiblich. 

Und weil wir den Menschen in Gaza helfen wollen, geben wir dieses Interview, um mit Gottes Hilfe zu verdeutlichen, dass die Welt wissen sollte, wie man das ganze Problem angeht. Es ist also wichtig, dass Sie verstehen, was wir sagen. 

Zu Beginn der Sendung sprachen Sie von Amalek als Vorwand, um die Menschen in Gaza fertig zu machen. Das ist verwerflich, das ist falsch, ganz offenkundig falsch, ihr Gebrauch der Tora ist ein Verbrechen. 

Denn wie wir schon sagten – als die Tora uns sagte, Gott uns sagte, wir sollten in das (Heilige) Land ziehen, da gab es Amalek – das hat nichts mit heute zu tun, da wir (jetzt) im Exil sind. Kein einziges Wort der Tora, das sie verwenden, gilt für sie (die Palästinenser). Der Zionismus ist ein falscher Zweig des Judentums. Er ist ein falscher Vertreter der Juden. Er ist vielmehr eine Rebellion gegen Gott. Und jedes Mal, wenn sie versuchen, die Worte der Thora dafür zu verwenden, um zu erklären, was sie tun, ist das ein weiteres Verbrechen, weil sie den Namen Israel, der Jakob ist, den Davidstern und seinen Namen missbrauchen und Worte der Thora falsch interpretieren. 

Wir sind im Exil, es ist uns verboten, das Land zu besetzen. Es ist uns verboten, auch nur einen Zentimeter des Heiligen Landes zu besetzen, wir müssen loyale Bürger unter dem palästinensischen Volk sein.

AS: Herr Rabbiner, was genau ist nach Ihrem Verständnis die korrekte Lehre der Vergeltung gemäß der Tora? Wie viel Vergeltung ist erlaubt oder nicht erlaubt? Denn wir hören immer diese Lehre von Auge um Auge. Der letzte Rabbiner, wie ich schon sagte, Benjamin Lau in Folge eins, sagte im Grunde, dass es gerechtfertigt ist. Ich möchte nicht falsch zitieren, aber die Leute können nachschauen und sich die Folge ansehen – aber er versuchte zu argumentieren, dass die Handlungen (der israelischen Armee) aufgrund von Selbstverteidigung und anderen Faktoren gerechtfertigt sind. Meine Frage ist: Wie viel ist zu viel und wie stehen Sie zu verhältnismäßiger Vergeltung oder jeglicher Art von Vergeltung? Wie viel ist erlaubt?

DW: Das ist alles falsch, es ist alles falsch. Sie wurden nicht angegriffen. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir das Töten nicht gutheißen, ich meine, es schmerzt, es schmerzt – die zwölfhundert Menschen, die unter den Juden getötet wurden – aber wir müssen uns daran erinnern, dass dies nicht einfach passiert ist, dass sie angegriffen wurden. Dies ist nicht aus einem Vakuum heraus entstanden. Dies ist die Folge von 75 Jahren Staat Israel und weit über 100 Jahren der Schule des geistigen Zionismus, der in ein Land kam, in dem Juden und Araber in völligem Frieden zusammenlebten. Wie in jedem muslimischen Land lebten wir in denselben Höfen, wir passten auf die Kinder des anderen auf. Wir kennen alle Araber, wir kennen unsere Gemeinden, in denen alle Juden leben. Wir leben in Harmonie. Die unterschiedliche Religion ist kein Hindernis für das Zusammenleben, sie hat nichts mit diesem Konflikt zu tun. Die Juden leben mit einer deutlich anderen Religion zusammen, und ich sagte schon, wir sind unter den muslimischen Ländern aufgeblüht. Und was in Palästina geschah, war, dass die Zionisten, diese Rebellen gegen Gott, wie ich Ihnen gezeigt habe, mit ihrer nationalistischen Ideologie kamen und beschlossen, ihren Staat zu gründen. Und sie kamen in ein schönes Gefüge von Juden, die mit Muslimen und Christen zusammenlebten. Und sie kamen und wollten ihre Herrschaft über das Land durchsetzen. Und jede Aktion zieht eine Reaktion nach sich. Wir rechtfertigen das Töten (durch die Hamas) nicht, aber das hat über 75 Jahre lang Tod und Blutvergießen vor allem unter den Palästinensern mit sich gebracht. Aber auch unter der christlichen Gemeinschaft, ich meine, die Palästinenser waren die muslimischen Palästinenser, und die Christen, die die zweitgrößte Gruppe waren, und die Juden. Die Zionisten haben auch die Juden regelrecht massakriert, aber darüber spricht man nicht. 

Die Zionisten kamen und schürten Hass und Misstrauen – nicht nur in Palästina, sondern in allen muslimischen Ländern. Wo sind die schönen großen Gemeinden, die es dort gab? Weil sie die Religion, das Judentum, mit ihren nationalistischen Bewegungen zusammenbrachten, begannen die Menschen, den Juden zu misstrauen. Und dann kam die Nakba, diese schreckliche Katastrophe, dass die Juden plötzlich da waren. Das ist also, was die Zionisten sind.

AS: Nur eine Frage, denn viele Leute wissen es vielleicht nicht, Rabbi, aber was ist die Nakba? Ich habe mich ein wenig eingelesen, aber viele der Zuschauer sind vielleicht nicht damit vertraut. Also kurz und knapp: Was ist die Nakba?

DW: Die Nakba ist ein arabisches Wort und bedeutet ‚Katastrophe‘. Es ist das Wort für diesen Akt der Besetzung des Heiligen Landes, nicht für das Judentum. Das Judentum wurde nicht Nakba genannt. Wir lebten zusammen, Juden und Muslime. Das ist die Geschichte für die ganze Zeit vor den Menschenrechtsgruppen. Das Einzige, was sich dann geändert hat, war vor etwa 100 Jahren die Einführung des Konzepts der Landbesetzung und der Schaffung eines sogenannten jüdischen Staates. Diese Schaffung, diese Besetzung wurde Nakba, Katastrophe, genannt, denn genau das ist es auch. Als die Katastrophe begann, plädierten die Rabbiner der jüdischen Gemeinschaft – ich spreche nicht von der muslimischen Gemeinschaft – dagegen. 

Sie haben sei 1947 den Oberrabbiner der jüdischen Gemeinde (in Israel). – Erinnern Sie sich daran, dass die Zionisten den Davidstern benutzten, sie benutzten den Namen Israel, und sie machten eine Hülle daraus, eine Schaufensterdekoration, um es koscher aussehen zu lassen, um es halal aussehen zu lassen, und sie benutzten den, sie machten einen Oberrabbiner. 

Aber unsere Gemeinschaft, die jüdische Gemeinschaft, die gottesfürchtige Gemeinschaft, die seit Hunderten von Jahren zusammen mit den Muslimen und den Christen in Palästina lebte, wir hatten bereits einen Oberrabbiner – und wir haben immer noch einen Oberrabbiner. Aber damals, 1947, war unser Oberrabbiner Rabbi Dushinsky, Gott hab ihn selig. Er wandte sich an die Vereinten Nationen und sagte: 

“Wir möchten unseren entschiedenen Widerstand gegen einen jüdischen Staat in irgendeinem Teil Palästinas zum Ausdruck bringen.” 

Das war 1947, ein Jahr bevor die Vereinten Nationen den Staat ratifizierten. Er sprach vor der Delegation der Vereinten Nationen. Seit damals haben die Juden, die jüdische Gemeinschaft, die dort lebte, gesagt: 

“Wir wollen diese zionistische Bewegung nicht. Es ist keine Religion, es ist kein Judentum, sie haben kein Recht, hier zu sein. Es ist eine Nakba, sie veranstalten eine Katastrophe.”

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Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die redaktionelle Haltung der Revue der Religionen wider.

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