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Mutig und wachsam

»Lassen Sie uns mutig und wachsam sein!«1 – mit diesen Worten wandte sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung an die Bundestagsabgeordneten und verwies auf die Erfolge im Kampf gegen das Coronavirus. Dank großen Zusammenhalts und enormer Anstrengungen sei es gelungen, die Ausbreitung zu verlangsamen, erklärte sie im Bundestag. 

Diesem Statement waren erste Lockerungen, wie etwa die Öffnung von Geschäften und Schulen nur für Prüfungensklassen usw., vorausgegangen. Im Zuge der zweiten Phase der Corona-Lockerungen wurden Gottesdienste in Kirchen, Synagogen und Moscheen erstmals Anfang Mai 2020 unter Beachtung der Vorsichtsmaßnahmen wieder erlaubt. Zuvor konnten seit dem 16. März 2020 keine Gottesdienste aufgrund behördlicher Auflagen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stattfinden.

Vor den Lockerungen gab es einen langen Abstimmungsprozess zwischen Bund und Ländern, dem Robert Koch-Institut, den Kirchen und religiösen Gemeinschaften. Sie mussten dem Innenministerium »umfangreiche und tragfähige Konzepte für die infektionsschutzgemäße Durchführung von Gottesdiensten und religiösen Handlungen« übersenden. 

Auch die Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland erarbeitete ein solches Konzept aus und sandte dieses an alle Moscheen. Erst nach Sicherstellung aller Maßnahmen wurde die Erlaubnis zur Öffnung von Moscheen und Gebetszentren gewährt. 

Eine Moschee ist für Muslime ein wichtiger Ort der täglichen Zusammenkunft, wo sie fünfmal am Tag für die Verrichtung ihrer Pflichtgebete zusammen kommen. Ammar Ahmad, der auch der Jugendleiter der Frankfurter Gemeinde Nuur-Moschee ist, kann das Glück kaum in Worte fassen. Er hat bei der Umsetzung der Maßnahmen vor Ort mitgewirkt.:

»Die Nuur Moschee ist quasi unser zweites Zuhause, wo wir endlich wieder gemeinsame Gebete durchführen dürfen, Alhamdulillah! [Aller Preis gebührt Allah.]
Unter Beachtung gesetzlicher Vorgaben konnten wir am 08. Mai 2020 die Moschee wieder öffnen. Zu diesen Auflagen gehört es, dass jeder Betende einen Mund-Nasen-Schutz tragen und seinen eigenen Gebetsteppich mitbringen muss. Vor dem Betreten der Moschee müssen zudem die Hände desinfiziert werden und die Namen der Personen dokumentiert werden, um die Ansteckungsketten zurückverfolgen zu können.

Mit der Öffnung kam nun auch die große Aufgabe auf die Khuddam-ul-Ahmadiyya [Jugendorganisation der Ahmadiyya Muslim Jamaat] zu, zu jedem einzelnen Gebet einen Ordnungsdienst zu organisieren, der die Einhaltung der Auflagen sicherstellt. Dies ist zwar eine kräftezehrende Aufgabe, die von uns einen langen Atem verlangt, aber unsere Khuddam [Jugendlichen] sind hoch motiviert, diesen Aufwand für den Schutz der Betenden einzugehen.«

Durch das islamische Gemeinschaftsgebet, bei dem die Betenden Schulter an Schulter in Reihen stehen, soll unter anderem das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden. Die Weisheit der Verrichtung der Pflichtgebete in Gemeinschaft hat der Verheißene MessiasAS, der Gründer der Ahmadiyya Muslim Gemeinde, wie folgt beschrieben:

»Es heißt auch, dass ein gemeinschaftliches Gebet segensreicher ist, weil es die Einheit fördert. Um diese Einheit in die Praxis umzusetzen, legt der Islam großen Wert darauf, dass die Reihen der Betenden, wenn sie sich zum Gebet hinstellen, absolut gerade sein sollen; die Füße sollten auf einer Höhe sein, die Betenden sollten nah beieinander stehen, damit auf einem Blick die Vereinigung der Vielen zu Einem wahrzunehmen ist, so dass das Licht des Einzelnen die Anderen erhellen mag und die Kluft, welche Egoismus und Eigennutz verursacht, geschlossen wird. Denkt daran, dass der Mensch damit gesegnet ist, das Licht, das andere ausstrahlen, in sich aufzunehmen. Damit wir uns dieses Prinzip der Einheit vergegenwärtigen, werden wir dazu angehalten, die täglich zu erbringenden Ritualgebete in der lokalen Moschee zu entrichten, das wöchentliche Gebet in der zentralen Moschee, das Eid-Gebet in dem Eid-Saal und einmal im Jahr das Gebet im Haus Gottes, in der Kaaba, das entrichtet wird, um die Gemeinschaft der Muslime zu festigen. Der Zweck all dieser Vorschriften liegt einzig darin, die Einheit zu fördern.«2

Wie wir wissen, spielt der Sicherheitsabstand bei den Corona-Auflagen eine entscheidende Rolle, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Es stellt sich die Frage, inwiefern das mit der islamischen Gebetspraxis vereinbar ist? Für die Lösung derartiger und anderer komplexer Fragen ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat mit dem System des spirituellen Kalifats gesegnet. Seine Heiligkeit Hadhrat Mirza Masroor AhmadABA, Fünfter Kalif der Ahmadiyya Muslim Jamaat, hat genehmigt, dass in der aktuellen Situation notwendige Sicherheitsabstände innerhalb einer Gebetsreihe eingehalten werden dürfen. Die Abstände zwischen zwei Betenden sollen jeweils 2 Meter betragen. Zudem wird eine Gebetsreihe freigelassen. 

Diese Erlaubnis steht im Einklang mit der islamischen Lehre. Unter besonderen Umständen der Angst, die noch schlimmer als in einem Krieg sein können, ist die Durchführung des Gebets zu gewährleisten. Im Heilige Qur’an heißt es dazu:
»Wenn ihr in Furcht seid, dann (sprecht euer Gebet) im Stehen oder im Reiten: seid ihr aber in Sicherheit, dann gedenket Allahs, da Er euch das lehrte, was ihr nicht wusstet.«3

Die Abstandsregelung beim Gebet ist ungewohnt, aber das gesundheitliche Wohl der Gläubigen ist nicht zu vernachlässigen, wie Said Arif, Imam der Khadija Moschee in Berlin beschreibt: 

»Es war halt ungewohnt, dass alle distanziert gebetet haben. Ich bin nach dem Gebet direkt wieder nach Hause gekehrt, ohne mit jemanden zu sprechen, um für andere vorbildlich zu handeln, damit Leute nach Juma möglichst schnell nach Hause gehen und die Freitagsansprache Seiner Heiligkeit auf MTA verfolgen. Dennoch freut man sich, dass wieder Juma (das Freitagsgebet) verrichtet werden konnte.«

Imtiaz Ahmad Shaheen, Imam der Frankfurter Nuur-Moschee beschreibt diese Ungewohnheit wie folgt:

»Es war sehr ungewohnt, zum Gebet eine Mundschutzmaske zu tragen, das Gebet mit einem Abstand zum Nächsten zu verrichten, nach dem Gebet die Anwesenden nicht umarmen zu können. Aber mein Herz erfüllte sich mit Dankbarkeit gegenüber Allah, dass Er uns eine solch vollkommene und zu allen Situationen passende Lehre geschenkt hat und wir wieder das Freitagsgebet in der Moschee verrichten können.«

Die Abstandsregelungen wirken sich auch auf die Zahl der Betenden in den Moscheen aus. Wenn an einem Freitagsgebet in der Berliner Khadija-Moschee vor Corona-Zeiten bis zu 200-250 Gläubige gekommen sind, können jetzt nach den Auflagen nur noch 30-60 Gläubige zum Gebet kommen. Im schlimmsten Fall müssen Betende abgewiesen werden. Dazu wird es allerdings kaum kommen, denn zurzeit dürfen wegen der Sicherheitsauflagen Personen unter 15 und über 60 Jahren sowie Frauen und Kinder vorerst nicht in die Moscheen kommen. 

Die Öffnung der Moscheen hält sich in Grenzen, denn die Durchführung der Gebete ist vorerst nur auf die Pflichtgebete begrenzt worden. Die Sunna- (Gebet, das vor oder nach dem Pflichtgebet gemäß der Sunna des Heiligen ProphetenSAW verrichtet wird), Nafl- oder Witrgebete (Gebet nach dem Isha-Gebet) sollen, wenn möglich zu Hause verrichtet werden. Auch das Tarawih Gebet (zusätzliches Gebet, das in Ramadan nach dem Isha-Gebet in Gemeinschaft verrichtet wird) findet nicht in der Moschee statt. Wudhu (rituelle Waschung) ist zu Hause zu verrichten. WC Anlagen sind nicht zugänglich und dürfen nur im äußersten Notfall genutzt werden.

Zurzeit befinden wir uns im Heiligen Monat Ramadan, in dem normalerweise ein großer Andrang in den Moscheen zu verzeichnen ist, da dieser Monat besonders für die Erhörung der Gebete steht. Wie kommen die Gemeinde-Mitgliedern mit dieser Situation zurecht und wie kommen diese Auflagen bei ihnen an? Rastagar Munir, der in Wien Ägyptologie und asiatische Archäologie studiert, war kurz vor dem Lockdown in Österreich nach Deutschland zu seinen Eltern nach Frankfurt zurückgekehrt. Er schilderte seine Eindrücke wie folgt:

»Dass der Monat Ramadan Gottes Gnade mit sich bringt, durften wir Anfang Mai persönlich erfahren, als nun endlich unsere Moscheen wieder geöffnet wurden. Ich erinnere mich ganz gut an die unmutige und triste Verfassung aller, als die Einschränkungen eintrafen. Allen war klar: es ist keine gewöhnliche Zeit. Acht Wochen lang versuchten wir nach allen Möglichkeiten, diese Prüfung zu meistern. Acht Wochen lang verzichteten wir auf alles, was uns bislang selbstverständlich erschien. Ein sehr glorreicher Moment war es, als diese Oasen reiner Spiritualität und Seligkeit nun endlich wieder Füllung und Erfüllung mit Leben erfahren durften, denn diese schwierige Zeit hat mich gelehrt, dass die Schönheit der Moschee freilich und lediglich durch die Menschen, welche sie bevölkern, geprägt wird.«

Im Hinblick auf die Einschränkungen sagt er:
»Auch wenn die Situation in den Moscheen noch komisch ist, da es weiterhin noch einige Einschränkungen gibt, versuchen wir uns davon nicht einschüchtern zu lassen, denn diese Wiedereröffnung ist der erste Schritt, und Inscha Allah (so Allah will) werden alle weitere Schritte auch noch folgen, bis die Normalität wieder komplett hergestellt wird. Dass man z.B. eigene Gebetsteppiche mitbringen muss, sehe ich mit Gelassenheit. Es erinnert an frühere Zeiten, als man zu den Jalsas (Jahresversammlungen) in Islamabad, Großbritannien oder zum Eid-Gebet in der Fabriksporthalle eigene Gebetsteppiche mitgebracht hat. Diese nostalgischen Eindrücke kann ich ja genießen, solange diese Regelung noch anhält. Man sollte schließlich stets das beste aus der Situation machen.«

Während des Lockdowns konnten für etwa acht Wochen keine gemeinschaftlichen Gebete mehr in den Moscheen stattfinden, wo ansonsten fünfmal am Tag der Gebetsruf ertönt. Die besonderen Umstände haben jedoch nicht davon abgehalten, dass der Gebetsruf nach wie vor in den Ahmadiyya Moscheen bundesweit gerufen wurde. Imtiaz Ahmad Shaheen geht auf diesen Aspekt weiter ein und sagt:

»Ich wollte keinesfalls, dass der Name Allahs für eine solch lange Zeit nicht mehr in der Moschee gerufen wurde, denn die Verkündung der Einheit Gottes ist doch der Zweck einer Moschee. Also stellte ich sicher, dass fünf Mal am Tag, also zu allen fünf Gebetszeiten, der Adhan gerufen wurde. Am 08. Mai war es endlich so weit. Der lang ersehnte Tag war gekommen, an dem wir die gemeinschaftlichen Gebete wieder in der Moschee verrichten konnten. Das war ein doppeltes Eid für uns, denn es war zudem ein gesegneter Freitag, und den Freitag hat der Heilige Prophet (Friede und Segnungen Allahs seien auf ihm) als einen Eid-Tag bezeichnet.«

Die Moschee ist ein besonderer Ort der Spiritualität, die man auch dort spüren kann. Als Folge des Lockdown waren Muslime angewiesen zuhause die Gebete zu verrichten. Farhan Manzoor Ahmad, der islamische Theologie an der Jamia Ahmadiyya in Riedstadt studiert, ist aufgrund der Schließung des Instituts auf home-study angewiesen und hat die Gebete zu hause geleitet. Er beschreibt den besonderen Wert der Moschee nach ihrer Öffnung so:

»Ich bin Alhamdulillah [Aller Preis gebührt Allah] dankbar gewesen endlich wieder in der Moschee beten zu können. Auch wenn es nicht an der normalen Atmosphäre rankam, war es dennoch ein beruhigendes und erfüllendes Gefühl in der Moschee zu beten, welches man zuhause nicht in derselben Weise erlebt hat.«

Im Islam kann der Gottesdienst an jedem Ort abgehalten werden. Moscheen sind jedoch, wie andere Gebetsstätten auch, ein Gemeinschaftsraum, in dem sich Menschen versammeln und in Kontakt bleiben können. Die Ahmadiyya Gemeinde in Bremen ist eine aktive und eng verflochtene Gemeinde. Syed Salman Shah, Imam der dortigen Gemeinde beschreibt seine Gefühle so, als seine Moschee schließen musste: 

»Der Tag, an dem uns mitgeteilt wurde, dass wir uns nicht mehr in Moscheen versammeln dürfen, war schwer zu ertragen. Die Tage waren ruhig und surreal und vergingen langsam. Nach fast zwei langen Monaten erhielten wir jedoch die Nachricht, dass die Moscheen wieder geöffnet werden dürfen, wenn auch unter Auflagen.
Es war jedoch für alle eine Erleichterung, zum gemeinsamen Gebet wieder in die Moschee zu gehen. Die Freitagsgebete wurden wieder aufgenommen, und die Menschen freuten sich, einander wiederzusehen. 
Als Imam empfand ich vor allem Dankbarkeit für eine gewisse Normalisierung, aber ich war auch ein wenig nervös, wie wir unter den Bedingungen des Coronavirus Mitglieder in die Moschee zurückrufen können. Die Gesundheit der Gemeindemitglieder ist sehr wichtig.«

In diesen schwierigen Zeiten konnten die Mitglieder der Gemeinde zu Hause reflektieren und dankbar sein für die Moscheen und die Orientierung durch Khilafat [Kalifat], das wir haben und diese Dinge nie als selbstverständlich betrachten.

Es war eine herzzerreißende Situation, Moscheen zu »schließen«, aber es war auch notwendig. Die Entscheidung, Gottesdienste wieder zuzulassen, war allerdings eine mutige Entscheidung, aber man muss gleichzeitig wachsam sein, wie Bundeskanzlerin Merkel zutreffend gesagt hat: »Lassen Sie uns mutig und wachsam sein!«

Referenzen:

  1. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/kanzlerin-regierungsbefragung-1752548
  2. Hadhrat Mirza Ghulam AhmadAS, der Vortrag von Ludhiana, S. 63
  3. Der Heilige Qur’an 2:240

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