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Das Leid der Palästinenser ist mit dem Leid Israels verwoben

Die Taten der Hamas haben die überwältigende Mehrheit der Muslime schockiert. Dennoch lässt sich Verständnis für Pro-Palästina-Demos aufbringen. Die Teilnehmer sollten aber wissen, dass auch der Qur'an keine Judenfeindlichkeit dulde.

von Khola Mayam Hübsch

Über das Miteinander von Juden und Muslimen heißt es im Heiligen Qur’an: »O Volk der Schrift, kommt herbei zu einem Wort, das gleich ist zwischen uns und euch« (3:65). Die Gläubigen sollen sich auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen. Im »Vertrag von Medina« bezeichnet der Prophet Muhammad (saw) Juden und Muslime als eine »Umma«, eine Gemeinschaft. Ein Detail, das manche vergessen haben.  

Muslime werden im Qur’an dazu aufgefordert, jüdische und andere Gotteshäuser mit ihrem Leben zu schützen (22:41). Meine muslimische Gemeinde zum Beispiel organisiert Synagogenbesuche. In den Talkshows und Zeitungen des Landes dominiert jedoch das Narrativ der judenhassenden Muslime und des »importierten Antisemitismus«.  Dass es diesen auch gibt, steht außer Frage. Dass antisemitische Parolen angesichts unseres historischen Erbes niemals geduldet werden dürfen, ist ebenso klar. Doch wer suggeriert, alle Muslime, die Mitgefühl für die unschuldige palästinensische Zivilbevölkerung empfinden, sympathisierten mit der Hamas oder stellten das Existenzrecht Israels in Frage, stellt sie unter einen ungerechtfertigten Generalverdacht. Nicht jede kopftuchtragende Frau ist eine Hamas-Anhängerin und nicht jeder Jude unterstützt die derzeitige israelische Regierung. 

Man bekämpft Antisemitismus nicht mit antimuslimischem Rassismus. Man bekämpft ihn, indem man die Ursachen des Hasses analysiert. Und dazu gehört, dass viele Muslime es als höchst ungerecht wahrnehmen, wie die Situation in Israel und Gaza, in der Politik und in den Medien hierzulande bewertet wird. Demonstrationsverbote bestätigen diesen Eindruck nur, denn die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist ein hohes Verfassungsgut. Diese Freiheit gilt auch für diejenigen, die keinen anderen Weg sehen, als ihren Schmerz über das Leid der Palästinenser herauszuschreien. Das muss nicht bedeuten, dass sie das Leid der Israelis nicht sehen oder es relativieren. Es ist kein »ja, aber«, es ist ein »ja, und«. 

Unsere Solidarität muss allen unschuldigen Zivilisten gelten, seien es israelische oder palästinensische. Während die Hamas dutzende Geiseln genommen hat, hält Israel hunderte Gefangene, oft minderjährig, die niemals schuldig gesprochen wurden. Gerade weil die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson gehört, müssen wir alles tun, um Israel zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts aufzurufen und zur Verhältnismäßigkeit zu mahnen. 

Denn wenn die Bilder toter Babys, zerbombter Krankenhäuser und verzweifelter Mütter zum Gesicht dieses Krieges werden, wird kaum noch jemand danach fragen, wer angefangen hat. Die Solidarität mit Israel wird schwinden. Der Hass wird zunehmen. Dabei ist das Leid der Palästinenser mit dem Leid Israels verwoben. Auch gibt es derzeit einiges, das die jüdische und die islamische Community in Deutschland verbindet: Die Stimmung ist erdrückend, manche überlegen, auszuwandern, die Angst vor Feindseligkeit nimmt zu, und die Sorge um Angehörige in Israel oder Palästina ist groß. 

Die menschenverachtenden Taten der Hamas haben die überwältigende Mehrheit der Muslime schockiert. Wenn sie nun auf das unermessliche Leid der Palästinenser hinweisen, heißt das nicht, dass sie ein Unrecht gegen das andere aufwiegen. Sie fragen sich, wie sie die überlebensnotwendige Versorgung unschuldiger Zivilisten fordern können, wie sie die Wahrung der Menschenrechte, einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen verlangen können, ohne dass ihnen Israelfeindschaft unterstellt wird. Diese Forderungen sind indes letztlich auch im Interesse Israels. Denn Frieden und Sicherheit wachsen nicht auf dem Rücken von Kriegsverbrechen. »Die Feindseligkeit eines Volkes soll euch nicht verleiten, anders denn gerecht zu handeln«, heißt es dazu im Heiligen Qur’an (5:9).

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