Im Folgenden lesen Sie ein Interview anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland mit ihrem Bundesvorsitzenden, Abdullah Wagishauser (AW). Das Gespräch führten unsere zwei Podcast-Redakteurinnen, Khola Maryam Hübsch (KMH) und Mariam Siddiqa Raja (MSR). Für die schriftliche Fassung wurden einige wenige Stellen ausgelassen, vereinzelt Ausdrücke vereinfacht oder erläutert. Das gesamte Interview ist auch zu hören in unserem Podcast »Schon Gehört«
MSR: Herr Wagishauser, wer sind Sie?
AW: Der Amir der deutschen Jamaat. Jetzt schon eine ziemlich lange Zeit, und immer noch auf meinem Weg zu Allah im Islam.
MSR: Amir, was bedeutet das?
AW: Ja, das ist – wir machen es mal einfach und sagen – der Bundesvorsitzende. Amir ist der Leiter, der Vorsitzende, der Diener. Derjenige, der die Jamaat so koordiniert, der den direkten Draht auch zum Kalifen, möge Allah sein Helfer sein, hat. Und der einen verbindenden Faktor einnimmt, der die Jamaat nach außen repräsentiert. Aber da gibt es auch wieder viele Varianten.Wir haben auch den Missionary-In-Charge, der da Aufgaben übernimmt und ich habe auch eine große Amla (Gemeinderat), die mir zur Seite steht. Aber manchmal muss ich auch sagen, ich bin derjenige, der den Kopf hinhalten muss und dann auch für alles verantwortlich ist.
MSR: Also Sie sind nun schon seit 39 Jahren Bundesvorsitzender, eine lange Periode!
AW: Ja, es hört sich lang an. Also ich habe es jetzt noch nicht nachgezählt. Aber Sie werden das ja in der Vorbereitung recherchiert haben. Ja, in der Tat, 39 Jahre sind eine lange Zeit. Man wird alle drei Jahre immer wieder gewählt. Anfangs wurde ich vom 4. Kalifen ernannt und seitdem stehe ich in der Verantwortung und versuche, der Jamaat zu dienen und zu helfen, wo ich kann.
MSR: Ich glaube, jetzt wird es langsam mal Zeit, die vergangenen 40 Jahre Revue passieren zu lassen. Herr Wagishauser, wir sind hier anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Ahmadiyya Muslim Gemeinde in Deutschland. Kann man sagen, dass Sie ein echter Zeitzeuge sind?
AW: Zeitzeuge ist gut. 39 Jahre sind eine lange Zeit. Es gibt bestimmt den einen oder anderen, der das schon länger mitverfolgt, miterlebt hat. Aber es ist in der Tat schon eine lange, konstante Zeit, die ich in dieser Position bin und das auch sein darf.
MSR: Für das Interview wurde uns ein exklusiver Auszug aus Ihrer noch nicht erschienenen Biografie zugespielt. In dieser Biografie beschreiben Sie – da müssten Sie ungefähr 12 Jahre alt gewesen sein – dass Sie einen Religionslehrer hatten, der absolut davon überzeugt war, dass Jesus, Friede sei auf ihm, zurückkommen wird und dann das Reich Gottes hier auf der Welt etablieren wird. Und er war auch der Überzeugung, dass, wenn Jesus zurückkommt, dann würde er in einen tollen Rolls-Royce vorfahren. Interessant ist, dass nicht Jesus im Rolls-Royce vorgefahren ist zu der Zeit, als Sie zwölf waren; kurze Zeit später war das jemand ganz anderes, nämlich die Beatles, die im Rolls-Royce vorgefahren sind. Die Beatles, eine absolute Kulturrevolution, eine Rettung auf Zeit für junge Menschen damals. Aber Sie haben nicht Ihre Rettung in den Beatles gefunden, richtig?
AW: Erstmal schon. Das war schon eine Möglichkeit, diesem tristen Alltag zu entfliehen und in eine andere Welt der Emotionen und der Intensität einzudringen. Und man kann schon sagen, dass das für viele Jugendliche eine Rettung war. Nicht nur die Beatles, es gab ja auch ganz andere Phänomene, andere Musikphänomene, aber auch andere Erlebnisse, die sich da plötzlich entwickelten. Die Jugend war damals auf der Suche! Aber um nochmal zu unserem Religionslehrer zurückzukommen. Das war der Herr Kuss – der hatte auch einen schönen Namen – dieser Herr Kuss hatte diese Vorstellung, und er hat diese auch immer geäußert. Aber ich glaube, so ganz sicher war er sich nicht. Er hat halt gesagt, wenn – und dieses wenn war bei ihm ganz stark ausgeprägt -, dann würde er in einem Rolls-Royce kommen. Und er hatte eigentlich keine Hoffnung mehr, dass das nochmal passiert. Aber er hatte die Vorstellung, wenn Jesus kommt, dass er dann so kommt, dass niemand an ihm vorbeikommt. Das war bei ihm in dieser anfangenden Wirtschaftswunder-Zeit ein materielles Zeichen, das Jesus eben vor sich her tragen müsste, und das war dieser Rolls-Royce. Das war der Inbegriff des Luxus und des Repräsentierens.
MSR: Das Bild hat Sie ja ziemlich geprägt, Sie haben es ja nicht vergessen. Und Sie haben sich ja dann auch 1976 als bekennender Buddhist auf die Suche nach Jesus gemacht.
AW: Nicht auf die Suche nach Jesus, sondern auf die Suche nach dem Maitreya Buddha, also nach dem Messias der Zeit. Da hatte jede Religion ihre eigenen Vorstellungen und ich hatte mich mit den Vorstellungen aus dem Buddhismus, besonders aus dem tibetanischen Buddhismus auseinandergesetzt, und da gab es diesen Maitreya Buddha, der erwartet wurde. Da hatte man eine Vorstellung, dass in unserer Zeit etwas geschehen müsste. Irgendwann waren halt die anderen Bilder ausgeträumt mit Musik und Sex & Rock’n’Roll und es begann die Suche nach wirklicher Erfahrung und nach wirklicher Zufriedenheit und Erfüllung. Und da ist man dann ganz automatisch über Yoga und Meditation auf die Suche nach religiösen Vorbildern gegangen.
MSR: Das war auch bei deinem Vater so, Khola, der Hadayatullah Hübsch, der hat ja auch viel meditiert und ist gereist.
KMH: Ja. Er ist unter anderem zum Beispiel nach Marokko gereist, das war eine ganz wichtige Erfahrung dort für ihn, in der Wüste, in Marrakesch. Dort hatte er eigentlich eine seiner ersten (spirituellen) Erfahrungen. Er hatte davor auch bei einer Meditation vor einem Mandala meditiert und dabei ist ihm ein Lichtstrahl erschienen, der zu einem Qur’ran im Regal gewiesen hat, den er hatte. Das war damals so ein bürgerliches Geschenk zu Weihnachten von einem Onkel gewesen, das er sich nie angeschaut hatte. Aber nach diesem Erlebnis dann natürlich schon. Und direkt beim Lesen war sein Gedanke: Ich will Muslim werden, ich will Muslim sein.
Und die Reise nach Marrakesch war deswegen so wichtig. Er hatte sich ja damals viel mit dem Christentum beschäftigt, hatte den Rosenkranz um den Hals – der Islam war zu weit weg. Das war jetzt nicht unbedingt die Religion, mit der man sich identifiziert hat. Gerade die Hippies, da waren andere fernöstliche Vorstellungen und Weisheiten einfach viel näher dran.
Und dann ist es aber im Zustand der völligen Verzweiflung quasi über ihn gekommen zu beten: »Oh Allah, bitte reinige mich.« Und er wusste, das kam nicht aus ihm, das kam von Allah. Allah hat ihm das in sein Herz gelegt. Und danach wusste er auch, in welche Richtung er gehen musste.
AW: Er hat eigentlich den Weg anders herum genommen (als ich), ums Mittelmeer, und ist so auch in diese vorderasiatische Welt gekommen. Er ist also über Südspanien, dann hat er die Meerenge von Gibraltar überschifft und ist dann auf nach Mekka. Und da ist er dann leider aufgehalten worden. Und ich habe den anderen Weg herum genommen, also über Indien.
Aber Hadayatullah hatte ja dadurch, dass er die Leitung durch diesen Hinweis auf den Qur’an bekommen hatte, ganz klar die Vorstellung, er wollte nach Mekka, also zum Ziel aller Muslime.
MSR: Wir haben jetzt so selbstverständlich über deinen Vater gesprochen, Khola. Magst du mal kurz erzählen, wer er war, für jene, die ihn nicht kennen?
KMH: Das ist ein ganzer Wikipedia-Eintrag, es sind ja so viele Facetten! Also natürlich war er Imam Jummah der Nuur-Moschee, und die Nuur-Moschee spielte eine ganz, ganz besondere Rolle auch in seinem Leben, da kann ich auch gleich drauf eingehen. Er war Schriftsteller, er war Autor, er war Journalist, er hat für die FAZ lange gearbeitet, als Journalist, und später auch für viele andere Medien. Und dann war er natürlich auch Künstler, er war Beat-Poet, also er hatte viele Facetten.
Aber in erster Linie wurde er dann zum Muslim. Und als er Muslim war oder auch für sich entschieden hatte, ich will Muslim sein, als er wieder zurück in Deutschland war nach seinem Marrakesch-Aufenthalt, da hat er ja versucht, in diese Nuur-Moschee zu kommen, in Frankfurt Sachsenhausen, eine kleine Moschee, einer der ältesten Moscheen in Deutschland.
MSR: Und das ist eine Moschee der Ahmadiyya Muslime!
KMH: Genau, eine Moschee der Gemeinde, gehört zu den ‚großen‘ berühmten Moscheen. Da waren große Persönlichkeiten wie Mohammed Ali zum Beispiel auch da. Und er hat damals versucht reinzukommen, ist aber nicht reingelassen worden, weil da auch Security vorne stand. Er war halt als Hippie … – er sah wahrscheinlich sehr verwahrlost aus.
AW: Wild, sagen wir wild.
KMH: Wild. – Und er hatte aber diesen Wunsch, unbedingt da reinzugehen. Und er hat dann – als er gemerkt hat, das ist schwierig – hat er dieses Stoßgebet ausgerufen: »O Allah bitte, ich bin sogar bereit, mein Augenlicht zu spenden, lass mich in diese Moschee.« Und tatsächlich ist es dann möglich gewesen, vom Hintereingang – da war wohl der Security-Mann ein bisschen nachlässiger, oder freundlicher und hat erkannt; okay, es geht keine Gefahr von diesem Hippie aus – und hat ihn reingelassen. Und was er dann so beschreibt, sind Menschen, die eine Sprache sprechen, die er nicht versteht und er sieht dann also die beten, und er sieht vorne einen Menschen, der sehr weise aussieht und der auch in einer anderen Sprache spricht. Und der ihn dann plötzlich anschaut! Und in dem Moment, wo er ihn anschaut, hat mein Vater das Gefühl, dass er erblindet. Also es geht ein Licht von den Augen dieses Mannes direkt in die Augen meines Vaters und er sieht nicht mehr klar. Und er merkt, das ist ein spirituelles Licht, das von dieser Person ausgeht, das ist eine ganz besondere Person. Und obwohl er die Sprache nicht versteht, hat er sofort verstanden, dass hier Wahrheit ist. Und so war quasi der Anfang in diese Gemeinde hinein.
Das war damals der Dritte Kalif, möge Allah Gefallen an ihm finden und seiner Seele gnädig sein, der zu Besuch war. Er war von 1967 bis 1980 ungefähr sechsmal in Deutschland. Er hat Frankfurt besucht, er hat Hamburg besucht, es gab dort Pressekonferenzen im Frankfurter Kaisersaal, es gab Empfänge.
Und das sind so Bilder, die ich mit der Zeit damals verbinde, als ich selbst noch nicht geboren war. Es gibt ganz viele Fotos, worauf man meinen Vater sieht, der neben dem Dritten Kalifen läuft und sich dann auch so angezogen hat; mit einem Scherwani (trad. pakistanischer Anzug) und sogar mit einem Turban und auch so einem Gehstock! Und man sieht auch Amir Sahib, der dann hinter ihm oder neben ihm auch schon dabei ist. Und man sieht Journalisten, die irgendwie Fragen stellen auf diesen Bildern. Also das scheint wohl eine ganz aufregende Zeit gewesen zu sein. Amir Sahib, vielleicht können Sie erzählen, wie Sie das erlebt haben.
MSR: Ja, und mich würde auch mal interessieren, wie haben Sie eigentlich Hadayatullah Sahib kennengelernt?
AW: Hadayatullah habe ich kennengelernt, lange bevor ich Ahmadi Muslim wurde. Ich ja war auch ein aktiver Hippie, ich lebte in Bonn und wir haben dort als Kollektiv Kommunen gegründet und hatten vor, eine alternative Gesellschaft aufzubauen. Und ich weiß noch, Hadayatullah war damals ein Aktivist, der sehr gute Beziehungen in die Hippie-Szene hatte – und in die Literaten-Szene natürlich. Und er hat versucht, politische Kräfte und diese Hippie-Bewegungsleute zusammenzubringen. Für ihn war es immer wichtig, diese innere Kommunikation zu festigen. Und er hat uns damals eingeladen zu einer Veranstaltung nach Heidelberg. Ich war damals Herausgeber einer kleinen Zeitung, die hieß der Vollmond – je nachdem – manchmal hieß sie auch Halbmond, wenn sie zur Halbmond-Zeit erschien.
Und da sind wir von Bonn mal Richtung Heidelberg gefahren und mit unserem VW-Bus mit einem Freund zusammen in die Wiegstraße und haben dort Hadayatullah aufgenommen und sind mit ihm dann zusammen weitergefahren. Er trug damals schon einen weißen Turban und so einen Scherwani, aber das war nichts Außergewöhnliches. Das habe ich jetzt nicht automatisch mit dem Islam verbunden, denn zu der Zeit hatten alle Leute irgendwelche irren Gewänder an. Jeder hat sich da ganz individuell und abenteuerlich angezogen. Und wir sind dann zusammen nach Heidelberg gefahren und da gab es dann gewisse Gespräche. Was ist da rausgekommen? – Das waren schon Begegnungen, die wichtig waren. Da gab es zum Beispiel eine große Bewegung von Release e.V., die haben sich damals schon um Drogenabhängige gekümmert und haben versucht, da dagegen zu steuern. Dann gab es auch den politischen Flügel.
Ich weiß noch, wir sind dann damals wieder mit ihm abends zurückgefahren – oder am anderen Tag, wir haben glaube ich einmal da übernachtet – und dann ergab sich so eine lockere Freundschaft. Er hat mit keinem Wort Islam erwähnt, hat auch kein Tabligh (Missionierung) gemacht. Also er war da sehr vorsichtig, was ich im Nachhinein als etwas sehr Positives empfand, als ich dann später andere Aktionen von Muslimen erlebt habe.Wir hatten dann Briefkontakt. Ich habe mehrmals auch eines seiner Gedichte bei mir in der Zeitung veröffentlichen können. So hat sich dieser erste Kontakt ergeben. Und dann, zwei Jahre später, auf meiner Reise nach Indien, als ich mich ganz konkret auf die Suche gemacht habe, weil mir schnell klar wurde, auch das Christentum hat seinen Ursprung im Osten, und irgendwas scheint dort zu sein, was es bei uns nicht gibt. Auf meinem Wege dorthin bin ich dann schlussendlich in Qadian gelandet, durch die Gnaden Allahs.
Das heißt, ich glaube, da gab es nichts Zufälliges. Das war schon alles etwas Gelenktes. Das war auch bei Hadayatullah Hübsch damals in dem Moment so, als er in die Nuur-Moschee hineinging, und er dann auch den Dritten Kalifen vorfand. Oder als ich nach Qadian kam, war das ausgerechnet der erste Tag der Jalsa Salana. Mag auch mancher sagen, dass das Zufall ist, aber das kann gar kein Zufall gewesen sein. Das, was ich da dann erlebt habe, hätte ich nie erleben können, wenn es nicht die Jalsa Salana gegeben hätte.
MSR: Was haben Sie damals gesehen, als Sie nach Qadian kamen?
AW: Ja, ich bin auf meinem Weg – ich trug da schon einen Turban, einen schwarzen allerdings, ein langes blaues Gewand. Ich sah so aus, wie ein Taliban heute aussieht, damals gab es aber noch keine Taliban. Das waren damals noch so romantische, islamische Gestalten, wo der Turban im Wind wehte, wie man sich das so vorstellt – Pferde hatten wir leider nicht.
KMH: Derwische!
AW: Derwische, ja, das war so diese Atmosphäre. Ich kam nach Qadian. Mich setzte dort jemand ab, den ich auf dem Weg getroffen hatte. Der war mit seiner Frau unterwegs. Das war ein Missionar – das habe ich aber erst später erfahren – mit einer schwarzen Jinnah-Kappe, seine Frau mit einer schwarzen Burka. Wir kamen am Bahnhof an und ich bin mit der Tanga (Art Rikscha) mit diesen beiden nach Qadian reingefahren. Sie setzten mich direkt vor der Masjid Mubarak ab, die Zentralmoschee, in der auch der Verheißene Messias gewohnt hatte, d.h. wo sein Haus direkt daneben war. Dann war das der erste Tag der Jalsa Salana. Alles bereitete sich darauf vor – das war morgens um 7-8 Uhr – zum Jalsa-Gah (Gelände) zu gehen. Dann kam da so ein Typ auch mit so einem schwarzen Turban, der anscheinend ein Europäer war – auf jeden Fall jetzt kein Asiate – und der fragte mich dann, was ich hier will? Wozu bin ich hier? Da habe ich gesagt, ich bin auf der Suche nach dem Maitreya-Buddha.
Dann kamen andere Leute auf mich zu, gaben mir einen Chai in die eine Hand, ein Ei in die andere – das berühmte Qadiani-Breakfast. Und kurze Zeit später kam ein kleiner Junge und sagte: »Kommen Sie doch mal mit, da ist jemand, der will mit Ihnen sprechen!« Dann bin ich ihm gefolgt und kam in ein Gästehaus. Dort war ein wunderbar gedeckter Tisch, ein tolles Frühstück, das sah ich schon so aus den Augenwinkeln. In dem Moment kommt Hadayatullah Hübsch rein – mit weißem Turban, so wie ich ihn kannte – und ich stehe da mit meinem schwarzen. Für uns beide war das ein besonderer Moment! Er hatte mich da nicht erwartet und ich ihn auch nicht. Da begann eigentlich die Geschichte.
Wir hatten dann die Möglichkeit, diese Jalsa Salana zusammen zu erleben. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ungefähr 2-3 Monate vor mir, die ich durch Asien gereist war, von einer Ecke zur anderen – auf der Suche. Unter anderem nach Srinagar – ich hatte das Grab von Hadhrat Issa (Jesus) besucht, den Geburtsort von Jalaluddin Rumi, das Grab von Zaratustra, dem Propheten.
Qadian war so der Kulminationsspunkt, kann man sagen. Dann begann meine spirituelle Reise im Islam. Ich hatte vorher schon einmal oder zweimal mit jemandem zusammen gebetet auf meiner Reise, wo ich es einfach interessant fand, diese Bewegungen. Ich war einfach hungrig nach spirituellen Praktiken. Aber dann hatte ich plötzlich jemanden – 7000 Kilometer weg von zu Hause – den ich kannte, dem ich vertraute und für den auch ich in dem Moment etwas Besonderes war. Hadayatullah war ja auch seit sieben Jahren im Islam auf der Suche nach Bai’ats, also nach Menschen, die auch wie er den gleichen Weg gehen würden. Wir hatten da schon eine Art spirituelle Verwandtschaft, die sich dann entwickelte.
MSR: Aber als Sie dann damals in Qadian ankamen, war das doch sicherlich auch befremdlich für Sie zum Teil.
AW: Es war befremdlicher für mich, als ich zuvor auf meinem Weg an der russischen Grenze beim Masar-e-Sherif war und dort oben in einem Hotel plötzlich wahnsinnige Hüftschmerzen bekam und mit der Möglichkeit konfrontiert war; was ist, wenn du jetzt hier krank wirst? Da war weit und breit kein Europäer, ich war völlig alleine. Ich hatte aber absolutes Gottvertrauen. Am Anfang hatte ich zum Beispiel so ein großes Taschenmesser dabei gehabt, das habe ich weggeschmissen, als ich wusste; das ist nicht, was dich retten wird oder was dir Sicherheit gibt.
Ich hatte einfach Gottvertrauen, dass auf dieser Reise etwas Bedeutendes für mich passieren würde. Und was ich wusste, was ich auch meinen Freunden gesagt hatte, bevor ich losfuhr, war; ich werde nicht mit einem Guru zurückkommen! Das war damals der Trend, dass alle in irgendwelchen Guru-Geschichten verschwanden und dann einfach anfingen, nur Dinge nachzuleiern.
MSR: Aber als Sie dann in Qadian waren, Ihren Freund oder Bekannten Hadayatullah Sahib trafen, was Ihnen etwas Sicherheit gab – was hat Sie denn grundsätzlich angezogen, an diesem Ort zu sein, dort zu bleiben? Und wie war der Zustand Ihres Herzens, als Sie Qadian verlassen haben?
AW: Da wollen Sie jetzt viele auf einmal wissen. Der Weg nach Qadian war ja auch eine Leitung. Das hat alles Vorgeschichten. Ich war in Kaschmir gewesen. Zum Beispiel als ich am Grab von Hadhrat Issa (Jesus) war – das war der 25. Dezember, also der erste Weihnachtstag. Das hatte eine Symbolbedeutung – auch wenn das Datum (geschichtlich) nicht stimmte – aber es hatte eine Symbolbedeutung. Ich war dann auf der Suche, bin von Tempel zu Tempel marschiert. Das war eine faszinierende Berglandschaft, mit Adlern und Geiern, die ständig über die Köpfe rauschten. Für einen Hippie, der sich in der Natur zu Hause fühlte, war das schon eine Faszination für sich. In dieser Berglandschaft habe ich dann aber nicht das gefunden, was ich gesucht habe. Das waren Tempel, in denen Lingams eingeölt wurden – richtige riesige Penisse – das waren auch Praktiken, die man da erlebt hat. Das hatte mit allem anderen, aber nichts mit spiritueller und lebendiger Religion zu tun. Und ich war wirklich hungrig und wurde langsam auch unruhig. Es war kalt nachts, alles gefror, und ich merkte, meine Reise geht irgendwie nicht weiter, da fehlt etwas! Und dann an einem Tag bin ich von einem Berg runtergestiegen und durch eine Waldgegend gekommen. Plötzlich war ich auf einem Friedhof. Da kamen kleine Jungs, die haben mich mit Steinen beworfen, weil ich anscheinend in einem Areal war, wo niemand reingehen sollte. Ich war dann praktisch auf der Flucht und kam so zu zwei Hütten auf Stelzen, da bin ich rein. Das war wie so ein kleiner Chai-Shop, da habe ich mich hinein verflüchtigt. Da sah ich zwei Engländer. Das erste Mal, dass ich überhaupt Europäer da sah. Die verschwanden aber gleich, es gab kaum ein Gespräch. Dann fingen zwei junge Männer an, mit mir zu reden. Da stellte sich heraus, dass das Muslime waren. Die wollten mir die ganze Zeit etwas über den Islam erzählen. Ich sagte, alles können Sie mir erzählen, aber bitte nichts über den Islam.
MSR: Wieso?
AW: Wegen der unterdrücken die Frauen! – Ich wurde sozialisiert mit dem Karl May. Wenn Sie mal den Mehdi von Karl May gelesen haben – das ist so ein Schund – da werden die Muslime als die Ungläubigen beschimpft. Er hat alles verdreht, und ich hatte ein völlig falsches Bild.
Dann merkten die aber, dass ich Interesse an Issa, also Jesus, hatte, dessen Grab ich dann später besichtigt habe. Nur um den einen von ihnen zufrieden zu stellen – das war einer, der ein bisschen aggressiv missioniert hat. Er hat mir gesagt, dass er eine Adresse hat, wo ich mehr über dieses Grab erfahre. Dann hat er das aufgeschrieben. – Nur um ihn zufrieden zu stellen, habe ich diese Adresse an mich genommen, habe sie eingesteckt und dann haben wir uns auch verabschiedet und ich bin wieder zurückgegangen.
Dann ging es mir wirklich schlecht. Ich habe dann auch aufgehört zu rauchen, wollte mir das abgewöhnen, weil mir war klar; spirituelle Erlebnisse kannst du nur ohne diese Belastungen machen. Und ich war auch – ich will nicht sagen – depressiv, aber mir ging es halt nicht so gut. Dann habe ich mir irgendwann gesagt, was soll’s. Du lässt das jetzt alles erstmal. Dein Ziel ist jetzt Goa, Indien – Strand, Party. Du lässt das alles mal eine Weile beiseite und entspannst erstmal.
Dann habe ich mich auf den Weg gemacht. Aber auf meinem Weg nach Jammu runter – das war die Zwischenstation vor Amritsar – wenn man da runterfährt sind das zwei Busreisen, also zwei Tagereisen. Das war schon hart für mich, diese erste Reise. Ich habe selten so viel gebetet und so viel gefleht! Also zu Allah um Hilfe gefleht und ihn gebeten, mir diese Leitung zu geben für meine Reise.
MSR: Woher kam diese Unruhe?
AW: Ja, weil ich eben nichts Befriedigendes erlebt hatte. Ich bin im Land der Hindus und der Buddhisten gewesen – zu den Muslimen bekam ich nicht den Zugang. Die haben einen auch nicht in die Moscheen reingelassen. Das war schon sehr, sehr schwierig. Und als ich dann nachts aus dem Bus ausgestiegen bin und nach einem Hotel gesucht habe, bin ich durch die ganze Stadt geirrt. Überall lagen halbtote und hungernde Leute. Das war eine Szene, die mich schon erschüttert hat.
Dann bin ich irgendwann am Bahnhof gelandet. Da ist alles aus Stein gemeißelt gewesen, ein alter Bahnhof, der muss mal wunderschön gewesen sein, als die Briten den gebaut hatten. Da gab es nicht mehr als fünf, sechs Linien, also Ziele, die von den Zügen angefahren wurden. Und ich habe mir die Ziele angekuckt. Dann fiel mein Blick auf ein Ziel, das hieß Batala. Das kannte ich, das hatte mir der Typ doch da auf den Zettel geschrieben. Ich hatte meinen Zettel irgendwo verkramt gehabt und dann rausgeholt und da stand dann auch noch was von Qadian uns sowas. Dann habe ich entschieden; Mensch, da fährst du jetzt einfach mal hin. Und in dem Moment, wo ich mich entschieden hatte, war mein Frust weg, meine Unruhe war beiseite. Ich hatte plötzlich wieder eine innere Ruhe.
Irgendwo tief in meinem Brustbeutel drin hatte ich 2.000 bis 3.000 Euro, glaube ich, in D-Mark – da hätte man zwei, drei Jahre davon leben können zur damaligen Zeit – da habe ich dann ein bisschen mehr Geld rausgeholt und mir richtig ein Essen geleistet, habe mich vorher richtig geduscht, und fühlte mich frisch für neue Dinge, die da passieren würden.
Dann habe ich mich auf diese Reise gemacht und bin die ganze Nacht durchgefahren, hab oben im Gepäcknetz geschlafen, der Zug war proppevoll. Da waren Fischer mit ihren Netzen und Speeren. Es war wieder so eine ganz abenteuerliche Atmosphäre dort. Dann bin ich in Batala ausgestiegen. Und da traf ich dann dieses Ehepaar, von dem ich sprach, mit dem Jinnah-Topi und der Burka. Wir haben dann zwei Stunden am Bahnhof erstmal in unseren Schlafsäcken geschlafen. Dann sind wir mit dem Zug nach Qadian gefahren und dort mit der Tanga weiter.
Sie sehen also, ich war vorbereitet, dass da was passieren würde. Ich war voller Erwartungen. Aber dass ich da gerade reinfahre – ich hatte ja keine Ahnung, was da passiert. Alles voller Leute. Sie wissen, wenn die Leute am ersten Tag der Jalsa sind, die strahlen alle, die lachen alle, die freuen sich, die haben mich dann einfach fasziniert und eingenommen. Dann geht es weiter, dass ich halt in diesen Raum komme und dort treffe ich Hadayatullah. Dann war auch sofort meine Befürchtung oder mein Vorbehalt gegenüber dem Islam wie weggewischt.
Ich hatte jemanden, der mir Dinge erklären konnte. Damals war mein Englisch noch nicht so gut – ich hätte allen theologischen Diskussionen vielleicht folgen können – aber ich hatte nun den idealen Interpreten, der sieben Jahre lang schon immer wieder auch in Qadian gewesen war. Er kannte jeden Stein dort und hatte überall in jeder Ecke gebetet. Besser hätte es nicht kommen können.
MSR: Als Sie Qadian verließen, waren Sie dann Ahmadi Muslim?
AW: Ja, das ging sehr schnell. Am 1.Januar hatte ich dann offiziell entschieden; das ist mein Weg, da geht kein Weg mehr dran vorbei. Ich habe dann angefangen zu beten. Diese Atmosphäre in Qadian, wenn hunderte und tausende Menschen im Tahajjud (Mitternachtsgebet) schluchzen und weinen. Nachher diese Atmosphäre in der Jalsa Salana, wo der Narays (Jubelrufe) gerufen werden, wo Duas (Bittgebete) gemeinsam gesprochen werden, wo das gemeinsame (rituelle) Gebet stattfindet. Gegessen haben wir dann immer in den Räumen des Verheißen Messias – der Enkel des Verheißenen Messias hat sich so herzlich um seine Gäste gekümmert. – Da gab es keinen Ausweg mehr. Das war so crystal clear, dass das meine Destination ist.
MSR: Und irgendwann mussten Sie dann auch Qadian verlassen und zurück nach Deutschland kommen…
AW: Ja, ich bin dann am anderen Tag zum Friseur gegangen – ich hatte noch lange Haare – und das war irgendwie auch eine Befreiung. Dann habe ich mir ein normales Topi (Mütze) aufgezogen, habe mich von meinem Turban getrennt und bin dann mit Hadayatullah, der auch zurück nach Deutschland musste, nach Lahore gefahren, gemeinsam mit seiner Frau und der Atiyah Nour, das war die Tochter, die damals schon geboren war. Das war alles abgesprochen und planerisch sehr gut gemacht und gut getaktet.
Dann sind wir nach Rabwah und am anderen Tag – nein am gleichen Tag – sind wir sofort zum Dritten Kalifen, zu Hudhur gegangen und da habe ich dann mein Bai’at (Treuegelübde) gemacht, noch mal offiziell. Ich hatte vorher schon meinen Namen Abdullah bekommen von Abdurahman Sahib Jutt, das war der damalige Amir von Qadian. Hadayatullah musste ganz schnell wieder zurück nach Deutschland und ich bin dann in Rabwah geblieben.
KMH: War das dann Ihre erste Begegnung mit einem Kalifen?
AW: Ja, in Qadian war ja seit der Teilung 1947 kein Kalif mehr da gewesen. Das war später erst der Vierte Kalif, der nach langer Zeit dorthin kam.
MSR: Zurück in Deutschland haben Sie ja schnell viel Verantwortung auch innerhalb der Gemeinde übernommen. Mit nur 29 Jahren wurden Sie zum Khuddam-ul-Ahmadiyya Vorsitzenden für die Stadt Frankfurt.
AW: Hadayatullahs Traum war, dass ich ein Geschäft mit Halal-Meat anfange, das war so seine Idee. Aber da stellte sich gleich heraus, dass der Imam, Mansur Khan Sahib, auch ein Verwandter des Verheißenen Messias, schon darauf geachtet hatte, dass ich mich um einen richtigen Job kümmere. Dann habe ich mich erst mal mit dem Arbeitsamt auseinandergesetzt.
MSR: Innerhalb der Jamaat hatten Sie die Funktion als Sadr Khuddam-ul-Ahmadiyya, also des Präsidenten der männlichen Jugendorganisation. Drei Jahre später wurden Sie dann auch schon zum Vorsitzenden der Jugendorganisation bundesweit. Und 1982 wurde sogar die Khuddam-ul-Ahmadiyya Deutschland als beste Jugendorganisation außerhalb Rabwahs ausgezeichnet. Da gab es viel Veränderung. Mein Vater ist 1975 von Pakistan nach Deutschland gekommen. Er hat damals, als er nach Deutschland gekommen ist, deinen Vater direkt kennengelernt, Khola. Der hat damals Briefe für die Polizei geschrieben. Er hat geschrieben; hier sind fünf junge Männer, die so und so heißen und hat dann so die ersten Asylanträge für die Menschen gestellt, die aufgrund religiöser Verfolgung in Pakistan gestellt werden mussten.
Sie waren also dann Sadr Khuddam-ul-Ahmadiyya. Mein Vater hat erzählt, dass es damals in Frankfurt nur 35 bis 40 Ahmadis gab. Heute ist das kaum vorstellbar. Ich komme aus einer Halqa (Ortsgruppe), wenn wir da eine kleine Veranstaltung haben, sind wir schon 50, 60 Frauen und Kinder. Das ist eine Sache, die ich mir als gebürtiger Ahmadi gar nicht richtig vorstellen kann, Dimensionen, die wir jetzt irgendwie überschritten haben.
Aber wenn wir uns nochmal Gedanken darüber machen, wie es damals für sie war, als Sadr, als Vorsitzender dieser Jugendorganisation. Sie hatten ja junge Männer vor sich sitzen aus Pakistan, Anfang, Mitte 20, die sehr gut Urdu konnten, aber kein Deutsch. Und ganz lange war die Sprache der Kommunikation Englisch, was ja für uns als junge Ahmadis in Deutschland total unvorstellbar ist, dass wir dann irgendwelche Veranstaltungen haben in englischer Sprache. Zu Beginn haben sie auch sehr darauf gepocht, dass die jungen Männer endlich die deutsche Sprache lernen und in der neuen Heimat Deutschland ankommen, sie verstehen lernen. Auf ihre Forderung, dass die jungen pakistanischen Männer Deutsch lernen sollen, gab es natürlich auch Gegenreaktionen. Da gab es einige, die meinten, Sie sollten eher Urdu lernen!? Verstehen Sie Urdu?
AW: Ja, ja, das war für mich natürlich eine tolle Entschuldigung, nicht Urdu zu lernen – dass ich gesagt habe; wenn ich jetzt anfange Urdu zu lernen, lernt ihr nie Deutsch. Und da haben wir schon drauf gepocht. Aber wir haben lange Jahre damit gelebt, dass es (bei Treffen und Veranstaltungen) keine Übersetzung gab, dass meistens auf Urdu gesprochen wurde. Das hatte ich in Qadian ja schon gelernt, dass man sich dann halt auf das Dua (Bittgebet) konzentrieren muss, dass man seine Zikr (Gottesgedenken)-Übungen machen kann in dieser Zeit. Also damit haben wir gelebt. Wir haben lange Zeit also überhaupt gar nicht an die Möglichkeiten gedacht, dass es mal so eine bilinguale Situation geben wird, dass wir auf zwei Sprachen sprechen können. Das war für uns daher etwas, worauf wir uns mit viel Sabr (Geduld) eingelassen haben. Wir haben da auch nicht immer wieder protestiert. Das haben wir später erst gemacht, als die Gemeinde groß wurde und dann wirklich die Notwendigkeit ersichtlich war, dass man da was tun muss. Aber am Anfang waren wir da brav geduldig und haben uns der Situation hingegeben. Man muss sich dabei vorstellen, in was für Verhältnissen die Leute auch gelebt haben. Die haben dann einfache Wohnungen angemietet. Die Apfelsinenkiste war dann halt der Tisch und weitere Kisten waren die Stühle. Das Tischtuch war die Zeitung und so hat man da gegessen. Gegessen hat man immer schon sehr üppig und sehr gut. Anschließend wurden immer alle Reste ins Zeitungspapier eingeschlagen und weggeschmissen.
Das fand ich unwahrscheinlich praktisch – diese Sachen – das fand ich faszinierend. Also in einfachsten Verhältnissen. Ich weiß noch, ein Jahr später hatte ich geheiratet. Da hat der Imam uns in der Wohnung besucht und gesagt, das ist die erste zivilisierte Wohnung, die er so sieht von den neuen, jungen Leuten. Es fing alles ganz einfach an.
MSR: Könne Sie das noch genauer beschreiben?
AW: Man musste öfters die halt Wohnung wechseln. Da war kein Möbelwagen nötig, den man mitnehmen musste, denn es war gar nichts da. Man hat seine Matratze gehabt, die für die Ecke war – die Frauen waren ja auch noch nicht da, die Männer waren ja in der Regel alleine. Wir hatten ganz wenige Familien.
Also das waren die einfachsten Verhältnisse, die wir hatten. Aber es war eine unwahrscheinlich brüderliche und herzliche Atmosphäre. Wir haben das alles gemeinsam gemacht. Auch die Veranstaltungen, selbst kleine Zeitungen, wurden gemeinsam gemacht. Ich weiß noch, damals, der Mansur Khan Sahib hat keine Amla (Gemeinderat) gehabt in dem Sinne; er hat fünf, sechs Leute um sich herum zusammengeschart, mit denen er das Budget gemacht hat.
Hadayatullah hatte mir gesagt, als er damals sein berühmtes Hörspiel veröffentlicht hatte, keine Zeit für Trips, hatte er einen Preis bekommen von 10.000 DM. Davon sind die Hälfte, glaube ich, in die Chanda (Spendenbeitäge) geflossen. Und später kam von der Zentrale aus Pakistan die Order; ab jetzt seid ihr selbstständig, eine eigenständige Jamaat, die mit eigenen Mitteln agieren muss.
MSR: Aha. Um noch mal auf die Frage zurückzukommen, verstehen Sie nun Urdu?
AW: Ich kriege einiges mit, wenn Leute sprechen. Und die Leute sind manchmal ein bisschen vorsichtig in meiner Umgebung, weil sie Angst haben, wenn sie etwas Falsches sagen, dass ich das dann doch mitkriege. Also man vermutet, dass ich mehr verstehe, als ich wirklich verstehe. Aber ich erkenne manchmal so Zusammenhänge durch bestimmte Wörter.
KMH: Es gibt ja einen aktuellen Trailer zur Jalsa Salana. Da sprechen Sie sogar Urdu!
AW: Ja, dazu hätte ich mich nicht hinreißen lassen sollen…
KMH: Ja, einige waren da ganz enttäuscht; jetzt ist auch noch der Letzte umgeknickt. Jetzt spricht sogar der deutschsprachige Amir Urdu.
MSR: Wir haben uns zuhause gefreut.
AW: Meine Kinder haben sich beschwert bei mir.
KMH: Die meisten haben sich wahrscheinlich gefreut, weil die Zielgruppe sicherlich eine internationale war. Es geht ja um die MTA-Zuschauer, die dann per Fernsehschaltung dabei sind, und die Jalsa Salana, die Jahresversammlung der Ahmadiyya-Muslim-Jamaat in Deutschland, diesmal zum ersten Mal aus Stuttgart, mitverfolgen.
Aber das Thema Sprache ist ja nicht ganz so unwichtig. Das ist auch ein großer Punkt in der gesellschaftlichen Debatte rund um das Thema Integration. Das hat in den letzten Jahren ganz heftig zugenommen. Ich musste noch ein bisschen schmunzeln, weil Sie ja gemeint haben; Turban tragen, das war damals etwas ganz Normales. Aber es war ja auch für bestimmte (andere) Milieus durchaus etwas Auffälliges. Ich erinnere mich noch an die berühmt-berüchtigte Kündigung, die mein Vater von der FAZ bekommen hat, mit der Begründung; er ist eine jeglichen bürgerlichen Rahmen sprengende Erscheinung. Er entspricht nicht dem europäischen Habitus. Es war ja so in die Redaktion gegangen. Das hat schon manche auch überfordert.
Aber es gibt da ja diese These eines Soziologen, Aladin El Mefalani, das Integrationsparadoxon, das besagt, dass Menschen, dass eine Gesellschaft – wir leben ja in einer Einwanderungsgesellschaft – dass eine Gesellschaft, wo es mit der Integration vorangeht, wo es immer mehr dazu kommt, dass Menschen sich auch in privilegierte Positionen bewegen können, die eine Einwanderungsgeschichte haben, dass es dort auch zu mehr Konflikten kommt. Und dass Konflikte ein Hinweis darauf sind, dass sich etwas bewegt.
Jetzt wäre die Frage, wenn wir das auf die Jamaat (Ahmadiyya Gemeinde) übertragen; wie sieht es denn da mit der Integration der Konvertiten aus? Sie beobachten das jetzt seit 30, 40 Jahren. Meinen Sie, dass sich da etwas verändert hat? Also ist es mit der Sprache anders und besser geworden?
Gelingt es, diejenigen, die jetzt nicht nur vielleicht Konvertiten sind, sondern auch die deutsch-sozialisiert sind, also das heißt die ganzen Jugendlichen, die in Deutschland geboren sind, gelingt es, diese Menschen auch abzuholen? Schaffen die da eine neue Atmosphäre in der Jamaat? Oder finden Sie, das kann man gar nicht vergleichen? Oder gibt es auch Konflikte, die durchaus ein Zeichen dafür sein könnten, dass sich da auch etwas bewegt?
AW: Wir haben Konflikte auf jeden Fall. Und ich finde das gut zu hören, dass das eben ein Zeichen dafür ist, dass sich etwas bewegt. Da ist sehr viel im Gang. Ich bin eigentlich ein positiv eingestellter Mensch, der immer das Positive zuerst sieht und damit arbeitet. Natürlich, am Anfang war das schon extrem. Wir hatten auch Situationen, wo dann auch Konvertiten sich zusammengeschlossen haben, um sich gegenseitig zu schützen gegen diese Vereinnahmung des Urdu-pakistanischen Mainstreams. Und das war schon immer ein Konflikt. Der hat sich auf jeden Fall dadurch gelöst, mehr oder weniger, dass die junge Generation dazugekommen ist, die eben auch deutschsprachig aufwächst, deutschsprachig sozialisiert ist durch die Erlebnisse, die sie im Arbeitsleben haben, in den Schulen, in den Bildungseinrichtungen usw. Da hat sich sehr viel getan, das ist aber alles im Fluss. Wir dürfen uns da nicht zurücklehnen und sagen, wir haben das geschafft. Es wird immer einen Generationenkonflikt geben, ich glaube, den wird man nie ganz aus der Welt schaffen können. Diese Auseinandersetzung gehört einfach dazu.
Wir haben indes gleichzeitig auch eine kulturelle Auseinandersetzung. Und wir haben jetzt auch nochmal die Problematik, dass wir in den letzten zehn Jahren verstärkt neue Leute aus Pakistan bekommen haben, die durch Familienzusammenführungen hierher gekommen sind und die teilweise auch aus sehr ländlichen Gegenden kommen. In den letzten 20 Jahren hat sich die Verfolgungssituation in Pakistan dramatisch verstärkt, sodass dort oft junge Leute, die aus dörflichen Gegenden kommen, überhaupt kein richtiges Tarbiyyat mitbekommen haben, also keine gute religiöse Erziehung genossen haben (weil sie für ihre Ansichten verfolgt werden) – sodass wir mit solchen neuen Problemen konfrontiert sind. Aber das ist eine Sache, mit der wir leben müssen.
Ich glaube, wenn wir diese Dinge innerhalb der Jamaat handeln können, wenn wir uns da verbessern, dass wir automatisch auch dieses Integrationsphänomen der Gesellschaft als solches besser angehen können.
Also ich finde, das ist im Fluss und ich sehe im Moment auch einen Fokuswechsel. Wir haben lange sehr viel Wert auf Tabligh (Verkündung) gelegt und haben Tabligh wirklich faszinierend weiterentwickelt und ganz viel gemacht, um die Menschen zu erreichen – das hat ja auch mit dem 100-jährigen Jubiläum zu tun. Aber ich glaube, das zweite Jahrhundert wird eingeläutet durch einen neuen Fokus auf Tarbiyyat (Erziehung). Also nicht nur Tarbiyyat der Jamaat, sondern Tarbiyyat der Gesellschaft. Da muss jetzt der Fokus hin und da sind wir dabei, uns im Moment strategisch neu aufzustellen.
KMH: Ich habe in der Vorbereitung auf den Podcast mal recherchiert zum Thema Islam in Deutschland. Das ist ganz interessant, dass es quasi fast so aussieht, als würde man die Geschichte der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland recherchieren, weil die Geschichte des Islams in Deutschland in den Anfängen so sehr verknüpft ist mit der Geschichte der Ahmadiyya. Also der erste Imam, der nach Deutschland kam 1922, war ein Ahmadi. Dann die Qur’an-Übersetzung, die sehr viel in Umlauf gekommen ist und die von der Al-Azhar-Universität als eine der besten bezeichnet wurde, das war 1954. Dann sind die ersten Moscheen gebaut worden in Hamburg – die Frankfurter Nuur-Moschee ist gebaut worden. Dann geht es weiter mit vielen weiteren Errungenschaften. Später war die Jamia das erste (islamische) Institut für Theologie und Sprachen in Deutschland, wo Imame, Theologen und Gelehrte ausgebildet werden. Weiters der Köperschaftsstatus.
AW: Also diese Meilensteine gehören alle zur Ahmadiyya Muslim Jamaat.
KMH: Genau, das ist ganz eng miteinander verknüpft. Es gibt eigentlich nur einen Bruch (in der Geschichte), und das ist das Anwerberabkommen, wodurch ganz viele türkische und andere Muslime nach Deutschland kommen und plötzlich die Mehrheit bilden. Mittlerweile sind die Ahmadi-Muslime, obwohl sie die deutsche Geschichte des Islams in den Anfängen so stark geprägt haben, zahlenmäßig nur etwa 2% der Muslime, oder sogar 1% – diese Zahlen sind ja auch alle nicht genau erfasst. Das ist auch ein Unterschied. Anders als andere muslimische Verbände hat die Ahmadiyya Muslim Jamaat ja ein Tajneed-System, also eine genaue Erfassung ihrer Mitglieder. Das hat ja unter anderem dazu geführt, dass wir 2013 als erste den Körperschaftsstatus bekommen haben.
Es fällt also schon auf, es gibt da eine zahlenmäßig sehr kleine Gruppe, die aber organisatorisch sehr viel bewegt und die auch medial und politisch sehr präsent ist, oder zum Beispiel in Hessen jetzt mit dem Islam-Unterricht. Das führt jetzt gerade zum 100-jährigen Bestehen auch zu einer kritischen Auseinandersetzung. Es gab auch einige Features wie Radiobeiträge, Essays usw., die sich auch mit der Geschichte der Ahmadiyya Muslim Jamaat beschäftigt haben. Und es gibt da einen Satz von Ihnen, Amir Sahib, der immer wieder zitiert wird, den haben Sie geprägt. Und zwar ist das eine Selbstbeschreibung der Gemeinde als ‚liberal und wertekonservativ‘.
AW: Aber wertekonservativ.
KMH: Ja, aber wertekonservativ. Was meinen Sie damit?
AW: Ich denke, Hudhur-e-Aqdas, der Kalif, fand den Satz nicht so gut, denn er lässt sich halt ungern in so eine reduzierte Form pressen. Man kann Ahmadiyyat auch nicht auf so etwas reduzieren. Aber es war mir wichtig, den Gesprächspartnern, also den Politikern, den Wissenschaftlern, wem auch immer, immer so ein bisschen einen Einstieg zu ermöglichen.
Natürlich sind wir diejenigen, die ansprechbar sind, die offen sind, die gesprächsbereit sind, die also auch oft die Aktiven sind, die auf die anderen zugehen, die auch selbstkritisch sind und Dinge hinterfragen können. Aber wir stehen halt ganz klar zu den Werten des Islams, und die sind unverrückbar. Ob das jetzt die Auseinandersetzung mit der Geschlechtertrennung ist, zum Beispiel. Das wird uns ja immer wieder vorgeworfen. Da haben wir eine ganz klare Vorstellung. Parda, also diese Geschlechtertrennung, ist für uns real außerhalb der Familie. Das nehmen wir ernst.
Mit der Zeit haben wir da auch Veränderungen erlebt, aber da gibt es bestimmte Grundlagen. Oder dass wir uns auf den Qur’an als die theologische Grundlage verlassen. Dass wir nicht daran glauben, dass es abrogierte Verse im Qur’an gibt; also Dinge, die man verändern kann, die man neu deuten kann – also neu deuten schon, aber dass man nicht einfach Qur’anverse annulieren kann.
Es gibt viele Dinge, woran man ganz klar erkennen wird, dass Ahmadis sich immer auf den Grundlagen der Sunna des Propheten Muhammads bewegen. Und ich glaube, dass das immer auch ganz gut angekommen ist. Die einzelnen Punkte mussten halt immer wieder diskutiert werden, da gibt es ja ganz schwere und starke Auseinandersetzungen, aber wir haben auch im Laufe der Zeit ein Phänomen beobachtet, das es in der Zeit des Verheißenen Messias gab, dass die Christen kaum noch oder ungern mit dem Verheißenen Messias diskutiert haben.
So stehen wir halt für bestimmte Dinge und geben den Leuten auch eine Sicherheit; das ist wirklich ein Vertreter des Islams, die Ahmadiyya Muslim Jamaat. Und da erleben wir im Moment in diesen Jubiläumsveranstaltungen – also das ist schon bewegend manchmal, manchmal auch schon zu bewegend – wenn die Leute uns mit Lob überhäufen und sagen; wir haben in der Ahmadiyya Muslim Jamaat endlich einen verlässlichen Ansprechpartner aus den Reihen des Islams.
KMH: Bezüglich des Labels ‚liberal‘ – also mit Labels ist es immer schwierig, weil die dann auch schnell besetzt sind und man bestimmte Assoziationen hat – aber was man durchaus betonen muss, was wir mit liberal meinen, ist zum Beispiel das Konzept des Dschihads. Das unterscheidet sich ja ganz besonders (unter den muslimischen Gruppierungen). Also die Jamaat – der Verheißung Messias – wir haben das ja geprägt, nochmal darüber nachzudenken, was damit gemeint ist. Und das ist jetzt aus unserer Sicht heute ganz selbstverständlich: Der Dschihad ist der Kampf gegen das Ego – das ist der größte Dschihad – und nur zur Selbstverteidigung ist ein Dschihad als Kampf mit den Waffen erlaubt.
In der theologischen Diskussion gerade in den letzten 100 – 200 Jahren hat das ja eine ganz andere Richtung gehabt und deswegen war es ganz wichtig, dass die Jamaat sich da positioniert hat. Und das andere Thema ist natürlich Apostasie bzw. Blasphemie. Wir erklären da theologisch fundiert und gut begründet, warum es keinerlei weltliche Strafe für Apostasie, für den Abfall des Glaubens gibt, wenn man aus dem Islam austreten will, zum Beispiel.
Das ist ja in etwa der Hälfte der islamischen Länder tatsächlich so, – in den sogenannten islamischen Ländern, sagen wir deswegen immer – dass man dort bestraft wird, dass es dort teilweise sogar eine Todesstrafe gibt; und das kann man aus dem Qur’an nicht ableiten. Das begründen zum Beispiel auch die Kalifen sehr ausführlich. Und dann natürlich noch Meinungsfreiheit; dazu hat die Jamaat sich immer auch gerade in Deutschland sehr stark und klar positioniert.
Ich erinnere mich an den Fall Salman Rushdie. Da hatten Sie, Amir Sahib, zusammen mit meinem Vater einen Sammelband herausgegeben. Da hat man sich einerseits klar für die Meinungsfreiheit ausgesprochen, andererseits hat man es verurteilt, dass (seitens Rushdie) diffamiert wird und so Unfrieden gestiftet wird. Aber diese Todesfatwa, die damals für Salman Rushdie erlassen wurde, die hat man genauso verurteilt und das aufs Schärfste für unislamisch erklärt. Auch da gab es immer schon eine ganz klare Positionierung.
Nur das Thema Frau ist etwas, wo die Jamaat auch in der Außenwahrnehmung immer die größten Schwierigkeiten hat, weil wir da gesellschaftlich einen ganz anderen Trend haben.
MSR: Obwohl wir bei uns in der Gemeinde unterschiedliche Unterorganisationen haben, und ich habe ja gerade eben schon von der männlichen Jugendorganisation gesprochen, von der Amir Sahib auch eine Zeit Vorsitzender war. Und da gibt es auch eine Frauenorganisation, die Lajna Imaillah. Und du und ich, Khola, wir sind ja sozusagen in dieser Frauenorganisation sozialisiert worden, dadurch, dass wir gebürtige Ahmadi-Muslime sind.
KMH: Ja, die Organisation feiert auch ihr 100 Jahre Jubiläum dieses Jahr.
MSR: Was würdest du sagen, Khola, inwieweit hat die Lajna Imaillah dich in deinem Werdegang beeinflusst, inspiriert, geprägt?
KMH: Ich glaube, solche Dinge sind einem ja erstmal nicht so bewusst. Man nimmt es nicht wahr, weil es quasi das Selbstverständliche ist, das einfach so passiert. Und erst später, rückblickend, versteht man bestimmte Prozesse. Bei mir war eine Erkenntnis, die ich hatte, tatsächlich das letzte Mal, als Hudhur (der Kalif) in Deutschland war. Das war vor der Corona-Pandemie 2019. Da hatten wir eine Pressekonferenz und ich hatte eine sehr kritische Journalistin bei mir von einer überregionalen Tageszeitung. Sie wollte unbedingt wissen und hat auch in der Pressekonferenz Hudhur die Frage gestellt: Wieso gibt es die Geschlechtertrennung?
Und Hudhur hat damals diesen berühmten Satz gesagt, der dann später sehr viel auch geteilt wurde über Social Media. Das ist eines der am häufigsten geteilten Zitate; dass er glaubt, dass Frauen sich besser entfalten, wenn sie nicht under the shadow of men, glaube ich, also unter dem Schatten der Männer wirkten; wenn sie quasi eigene Räume auch haben. Und danach hat er gesagt; und das ist der Grund, warum das Mädchen – das girl next to you – warum sie so eine viel bessere Rednerin ist als viele Männer in der Gemeinde.
MSR: Und das girl next to you warst du!
KMH: Das habe ich in dem Moment gar nicht realisiert, dass ich damit gemeint bin. Das ist mir erst später klar geworden. Dann habe ich darüber nachgedacht und da ist mir auch bewusst geworden, dass da sehr viel dran ist. Die Lajna Imaillah bietet eigene Räume, geschützte Räume.
Im aktuellen Feminismus wird ja viel darüber geklagt. »Wir brauchen Safe Spaces«, wird zum Beispiel gesagt. Das war auch ein Ansatz in den 70er Jahren, als der Feminismus überhaupt entstanden ist; wir brauchen eigene Räume, wo Frauen sich entfalten können. Es wird darüber geklagt, dass Männer zu viel Mansplaining machen – sie dominieren Sitzungen und Meetings, sie erklären Frauen ständig irgendetwas. Manspreading ist ein Stichwort. Also sie nehmen sehr viel Raum ein und sagen quasi das Gleiche wie eine Frau, aber dann wird es ernst genommen, und wenn die Frau es sagt, wird es nicht ernst genommen, Tone Policing; ganz viele Dinge werden da aktuell diskutiert. Aber man denkt nicht darüber nach, dass man das Konzept ein bisschen erweitert, also dass Frauen wirklich eigene Räume für sich haben.
Ich bin ja so aufgewachsen. Ich war ja eigentlich – und bin es immer noch – eher ein ruhiger, introvertierter und sehr schüchterner Mensch.Vielleicht jetzt nicht mehr so stark wie früher – als Kind sehr, sehr schüchtern. Und dann kommt man in die Lajna Imaillah und wird ständig ermutigt, irgendwas zu tun. Wir haben da Redewettbewerbe und dabei hatte ich mit meinem Vater, der ein Redner war, natürlich auch einen Vorteil. Das war dann eine Inspiration, da habe ich natürlich viel mitbekommen, einfach automatisch. Ich habe mir natürlich dann auch von ihm Reden schreiben lassen am Anfang, oder mir helfen lassen. Und das hat mich dann sehr gestärkt, dass ich dann erstmal das Reden gelernt habe. Und dann hat die Lajna Imaillah den jungen Frauen und generell den Frauen schnell auch Aufgaben übertragen. Wir haben alles selber gemacht, dadurch, dass keine Männer in der Organisation erlaubt sind, sozusagen. Die Frauen sind dann Kamerafrauen, die Frauen machen die Finanzen, die Frauen machen eigentlich alles, was in anderen Unternehmen vielleicht männerdominierte Bereiche sind.
MSR: Security, Sicherheit, alles.
KMH: Alles. Und die Frauen halten natürlich auch die Reden, die Vorträge, moderieren, oder führen durch eine Veranstaltung.
AW: Interessant ist ja, dass innerhalb der Jamaat das für Männer auch manchmal gewöhnungsbedürftig ist. Ich merke das, da grumpeln schon manche Männer vor sich hin und sind gar nicht so happy darüber, dass die Lajna (Frau) so eine eigenständige Funktion hat, da eine eigenständige Organisation ist, wo die Männer sich nicht einmischen können. Das ist nicht so, dass das alles automatisch passiert. Wenn es so eine Organisation nicht gäbe, würde diese Entwicklung eine andere Richtung nehmen. Ich finde, das ist etwas, was wir auch mehr nach außen reklamieren sollten; dass durch so eine Struktur, die wir in der Jamaat haben, die Rechte für Frauen gewahrt werden und vielen Frauen genau dadurch ganz neue Möglichkeiten geboten werden.
Wie gesagt, wenn die Kalifen von der Anlage her nicht so darauf achten würden, dass das so passiert, wie es bei uns passiert, würde die Entwicklung nicht in diese Richtung gehen.
KMH: Das kann ich bestätigen. Gerade in der öffentlichen Arbeit, die ich dann viele Jahre intensiver gemacht habe, gab es schon immer eine Verunsicherung, die von allen Seiten kam. Da gab es manche innerhalb der Gemeinde, die zum Beispiel gesagt haben; ist das so klug, vor einem Millionenpublikum sich einer Debatte zu stellen, wo man genau weiß, es sind viele Leute, die gegen einen hetzen werden. Soll man das machen? Dergleichen gab es auch aus den muslimischen Milieus. – Und da kam immer wieder von Hudhur (dem Kalifen), möge Allah seine Hand stärken, diese Rückendeckung. Das ist, glaube ich, ganz entscheidend.
Ich kann mir vorstellen, Amir Sahib, dass das auch für Sie in vielen Momenten schwierig war. Eine Kritik neben der Frauenrolle war immer ja auch; es gibt einen Kalifen und der entscheidet alles und der hat quasi die Macht. Das ist oft diese Außenwahrnehmung, dass das nicht demokratisch ist. Wobei gar nicht verstanden wird, was für ein Segen es ist, wenn es da eine Person gibt, die das Ganze nicht nur zusammenhält, sondern man weiß, am Ende sind alle an dieser einen Hand vereint.
AW: Eine spirituelle Moderation, die einfach eine Autorität mit sich hat, die von allen auch akzeptiert wird…
KMH: Ja. Und die auf der anderen Seite oft ein Motor für Innovation ist. Weil das auch oft ein kritischer Einwand ist; ist so Innovation möglich? Aber es gibt ja demokratische Auseinandersetzungen, wir haben ja das Schura-Konzept auch in der Gemeinde, dass Debatten und Diskussionen stattfinden, Vorschläge ausgetauscht werden.
Und dann gibt es eben ganz viele Innovationen, die direkt von Hudhur kommen, wo wir vielleicht zu zögerlich gewesen wären, Dinge so umzusetzen. Dann kommen da aber Impulse, und das habe ich immer wieder in meiner Arbeit erlebt. Man hat in jedem Unternehmen diese Auseinandersetzung zwischen eher konservativen Kräften, die das Bestehende erhalten und schützen wollen, was ja auch legitim ist, und denjenigen, die aber eine Veränderung möchten, was auch nötig ist. Und was ist jetzt so die richtige Balance, um das Gute, was wir schon haben, nicht zu zerstören, es zu erhalten und gleichzeitig auch Neues möglich zu machen?
AW: Ich glaube, das kann man nur vollumfänglich erklären, wenn man diese spirituelle, von Gott geleitete Note erklärt. Dass der Kalif eine Person ist, die eine direkte Leitung von Allah hat, was sich auch in Beziehungen zeigt, die er zu Hunderttausenden von Menschen hat, von denen er die Resultate von Träumen erhält, denen er Inspiration gibt, denen er Dinge sagt, die ihm von Allah mitgeteilt worden sind. Dadurch kommt eine spirituelle Kommunikation auch bei uns in Gange. Wer das nicht versteht, der wird dieses ganze System auch nicht verstehen können. Kalifat hat sehr viel mit Leitung Gottes und mit Liebe zu tun. Die Liebe Gottes zu uns Menschen, aber auch der Menschen untereinander, unter dem Schirm des Kalifats.
MSR: Khola, du hast ja gerade davon gesprochen, dass dein Vater ganz lange das Sprachrohr der Gemeinde war, und du bist so ein bisschen in die Arbeit miteingestiegen. Was würdest du sagen; wie hat sich die Außenwahrnehmung der Ahmadiyya Muslim Gemeinde in den letzten 20 Jahren entwickelt?
KMH: 20 Jahre – ich würde sogar noch weiter zurückschauen, also Nachkriegszeit; damals war die Jamaat der Ansprechpartner. Wenn man irgendwas mit dem Islam zu tun haben wollte, wenn man da eine Frage hatte, wenn man ein Suchender war, oder auch wenn man ein Journalist war – ich weiß noch, der erste Rundfunkbeitrag, das war damals von Sheikh Nasser Ahmed aus der Schweiz, ein Missionar, der nach Deutschland geschickt wurde, und der dann 1949 beim NWDR in Hamburg einen Vortrag gehalten hat…
AW: Mit der Zeitschrift der Islam.
KMH: Ja. – Also erste Rundfunksendung in Deutschland zum Thema Islam, das war ein Ahmadi. Und wenn man auch zum Beispiel interessiert war, wenn man irgendwie eine Moschee aufsuchen wollte, ist man in der Regel bei Ahmadis gelandet. Das hat sich ja dann später geändert. Ich würde aber sagen, dass die Debatten sich gar nicht so sehr verändert haben.
Zur Jamaat selbst, da sagt man (seitens der Medien) ganz häufig, man möchte uns nicht zu gut darstellen. Es wird dann immer so ein Kontrast aufgemacht; ist es jetzt die Splittergruppe, oder ist es die muslimische Elite? Das ist zum Beispiel ein Titel vom Deutschlandfunk 2016. Oder; ist es eine reaktionäre Sekte, oder ist es die Speerspitze eines menschenfreundlichen Reform-Islams? Es ist immer sehr bipolar, es gibt diese dichotomen Einordnungen. Andere Fragen sind auch; sind es Impulsgeber für eine Wiederbelebung muslimischen Lebens?
AW: Extrem finde ich; in Baden-Württemberg haben viele Bürgermeister ja eine Anfrage gestellt; was ist das, die Präsidenten der Gemeinden kommen auf uns zu! – Da hat man sich beschwert darüber, dass die Ahmadiyya Muslim Jamaat zu selbstbewusst auftritt. Man hat uns quasi den Vorwurf gemacht, diese Integration beackern wir zu aktiv.
KMH: Ja, man möchte uns so gewissermaßen des Platzes verweisen; bleib mal dort, du kommst jetzt bloß nicht in die höheren Etagen.
AW: Du bist nicht Bürger, du bist Mitbürger.
KMH: Ja. – Was jetzt meinen Vater angeht, war er ja eigentlich eine Person, die schon anerkannt war. Ihm wurde damals von Günter Grass zum Beispiel, der spätere Literatur-Nobelpreisträger, eine große Zukunft vorausgesagt als Lyriker. Und er hatte ja schon ein gewisses Standing in der Gesellschaft. Dass er sich dann plötzlich für den Islam so eingesetzt hat, das war natürlich dann erstmal eine Überraschung. Aber er hat schon auch sehr darunter gelitten, wie er dann behandelt wurde. Davor jemand, der als geachteter Literat gilt, und seitdem er sich dann mit dem Islam stärker beschäftigt hat, sich auch identifiziert hat als Muslim, mit dieser Religion, wurde er oft als Outsider behandelt. Die Leute waren überfordert.
AW: Gut, man muss das auch insofern entschuldigen – das war die Zeit, als Khomeini und die iranische Entwicklung 1979 ein sehr negatives Islambild entstehen ließ.
KMH: Stimmt, das wissen wir auch von der empirischen Analyse; dass es vor 2001 eigentlich das Jahr 1979 war, das zu dieser negativen Islam-Berichterstattung geführt hat. Und das hat meinen Vater sehr geschmerzt, das habe ich gemerkt, weil wir jeden Tag alle Zeitungen bekommen haben und er hat sie jeden Tag durchgeblättert, hat geschaut, was gibt es zum Thema Islam. Er war ja auch Pressesprecher und hat sich darum gekümmert, das dann zu beantworten. Und er war oft enttäuscht.
Es war ein gewisser Schmerz einfach, dass man die andere Perspektive, die Einordnung, die er ja vorgenommen hat – also er hat ja Briefe noch und nöcher geschrieben, Artikel, Essays – dass die aber nicht diesen Raum bekommen haben, den sie eigentlich verdient hätten.
Und jetzt rückblickend wissen wir aus der Forschung – wir hatten erst vor kurzem diesen UEM-Bericht des Unabhängige Expertenkreises für Muslimfeindlichkeit, der vom Innenministerium einberufen wurde, der hat zwei Jahre geforscht. – Die haben nochmal eine Metaanalyse gemacht, haben sich alles angeschaut, wie ist denn die Islam-Berichterstattung gewesen? Und die war sehr, sehr negativ und einseitig.
Also das, was wir eigentlich schon kennen und mitbeobachtet haben, hat sich nicht wahnsinnig viel geändert. Durch die Rassismusdebatte ist vielleicht eine größere Sensibilität da, aber was man eigentlich macht, ist; bloß nicht die spirituellen Themen. Es geht dann eher über die Schiene Diversity, dass man dann vielleicht auch mal einen Muslim dabei hat, aber das sind dann gerne säkulare Muslime, die bloß nicht so viel über ihre religiöse Praxis erzählen sollen, weil das befremdet, überfordert.
AW: Diese negativen Bilder, die sind so stark eingeprägt. Diese Narrative zu verändern, das ist im Moment die große Herausforderung für uns. Deswegen ist es interessant, durch ganz profane Sachen wie jetzt diese Aktionen, die wir machen mit den Fahrradfahrern – Muslime für Frieden, Kilometer gegen Hass, Kilometer für einen friedlichen Islam – wenn wir Ausstellungen machen und die Presse einladen, ist es schwierig, jemanden zu bekommen – stellen Sie da aber 20 Fahrradfahrer hin mit so einem islamischen Emblem vorne auf der Brust, kommen die sofort. Das spricht die an. Also anscheinend funktionieren die so; das sind ja ganz normale Menschen, die fahren ja sogar Fahrrad, das sind auch noch Muslime! Also die Bilder müssen sich in den Köpfen ändern. Es gibt tausend Möglichkeiten, positiv über den Islam zu schreiben. Wir haben glaube ich in den letzten zehn Jahren über 2 000 Ausstellungen gemacht, da hätte man so viel Positives schreiben können, aber es wird eben nicht gemacht.
MSR: Frustriert Sie das als Amir?
AW: Was heißt, frustriert mich das?! Man ist daran gewöhnt, aber man gibt nicht auf. Ich glaube einfach, dass wir immer neue Möglichkeiten finden müssen, neue Bilder zu schaffen. Und wir haben ja auch die Möglichkeit, das in einem Umfang zu machen, was wir uns vorher nicht vorgestellt haben.
MSR: Aber das würde mich mal interessieren, Khola, wie hältst du, oder auch Sie, Amir Sahib, den Spirit high? Das ist ja eigentlich schon fast deprimierend, wenn man die Themen, die einem wichtig sind, wie Spiritualität, und die einen auch total bewegen, wenn die einfach so despektierlich behandelt werden.
AW: Aber man weiß es ja. Man ist ja damit aufgewachsen.
MSR: Aber trotzdem ist es ja schwer, den Geist aufrecht zu halten…
KMH: Der entscheidende Punkt ist, dass man nicht aus dem Hier und Jetzt drauf schaut. Natürlich, das könnte ich machen und da wäre ich vielleicht frustriert, aber meine Perspektive ist eine der Metaebene. Wir blicken ja gerade auf 100 Jahre Ahmadiyya Muslim Jamaat (in Deutschland) zurück. Und ich schaue mir das gerne so an: In 300 Jahren, wie wird man auf diese Zeit zurückschauen? Und allein jetzt schon, allein dieser Bericht, den ich erwähnt habe, worin man sich nur die letzten 50 Jahre zum Beispiel angeschaut hat, da erkennen wir, was die Missstände waren.
Und da werden wir wahrscheinlich in der Rückblende ganz anders drauf schauen, weil die ersten Schwierigkeiten und Probleme, die gerade so entstehen, wo man den Samen dafür legt, die zeigen sich ja jetzt schon. Und das wird sich in 20, 30 Jahren noch viel stärker zeigen. Und in 50 Jahren wird man ganz klar, glaube ich, erkennen können, was da eigentlich alles schiefgelaufen ist; dass wir jetzt vielleicht eine kleine Gruppe sind, die in manchen Fragen nicht so dem Zeitgeist entspricht und nicht so die richtigen Trendthemen bedienen kann.
AW: Also, ich sehe das nicht so negativ. Ich sehe jetzt schon eine ganz große Veränderung. Ich erinnere mich, vor 40 Jahren, wenn wir da in der Zeitung einen Artikel über Islam gefunden haben, der wurde ausgeschnitten! Das war ein Ereignis. Ich meine, Islam ist (heute) das Top-Thema, niemand kommt mehr am Islam vorbei.
MSR: Aber jetzt zurzeit in den Medien eher weniger – seit der Corona-Krise.
AW: Islam ist immer im Hintergrund zu erkennen und ist immer ein Thema, ist immer eine Herausforderung. Wer Sure al-Khaf regelmäßig liest, weiß, was da über den Aufstieg des Christentums, den Abfall, den Wiederaufstieg und den endgültigen Abfall des Christentums steht. Uns war immer klar, dass das Christentum schwächer wird. Aber uns war nicht klar, dass das mit so einer Geschwindigkeit passiert.
KMH: Dafür ist der Atheismus sehr stark geworden…
AW: Gut, aber trotzdem glaube ich nicht, dass alle Menschen, die aus der Kirche austreten – über 500.000 im letzten Jahr aus der katholischen Kirche – ich glaube nicht, dass die alle ihren Glauben aufgegeben haben. Die suchen alle noch. Das Interessante, was ich erlebt habe in diesen Jubiläumsveranstaltungen; wenn man dann den Verheißenen Messias zitiert und den Menschen etwas über die Eigenschaften Gottes sagt, dann hören die unwahrscheinlich gespannt zu. Dann sind sie sehr aufmerksam und fasziniert. Viele sind nachher zu mir gekommen und haben gesagt: »Was sie da gesagt haben, das fand ich sehr schön. Das habe ich lange nicht mehr gehört.« Weil es dem Bedürfnis des Menschen entspricht, etwas darüber zu erfahren, woher er kommt, wo er hingeht, über den Sinn seines Lebens.
Da spricht halt die Ahmadiyya Gemeinde darüber, wenn sie den Verheißenen Messias zitiert, die Kalifen zitiert. Wir haben authentische Aussagen über die Lebendigkeit Gottes, über die Lebendigkeit der Religion. Das ist auch ein Alleinstellungsmerkmal der Gemeinde. Und das wird immer mehr von den anderen Muslimen anerkannt.
KMH: Das ist auch der Grund, warum sich dieser Frust nicht einstellt. Weil man ja weiß, wofür ist das Ganze; dass sich da etwas entwickelt.
AW: Vor ein paar Tagen, nach einer Sitzung im Ministerium, da ging es um den Islamkundeunterricht. Da habe ich mit vier Professoren beim Kaffee gesessen und man hat gespürt, dass da Respekt vor der Ahmadiyya Gemeinde da ist. Das war die Professorin Umaira – die war anfangs sehr gegen uns gewesen, obwohl sie immer wieder gesagt hat, Islam in Europa ist durch die Ahmadiyya-Gemeinde hier heimisch geworden. – Dann war da der Professor Beer, der mit uns an dem Curriculum gearbeitet hat, Professor Sarikaya und Frau Riem Spielhaus. Die haben alle einen großen Respekt vor dem, was die Ahmadiyya Muslim Jamaat macht. Die wissen ganz genau, dass das nicht von der DITIB gemacht wird, nicht von der VIKZ und auch nicht von den vielen anderen freischaffenden Muslimen. Das ist eine Entwicklung – die haben uns früher überhaupt nicht mal gegrüßt. Die haben sich garnicht auf uns eingelassen.
MSR: Ach, war das so, dass Sie nicht gegrüßt wurden?
AW: Es gab schon eine Ausgrenzung. Ich erinnere mich noch an eine unserer ersten Veranstaltungen in Aachen in der Moschee, als ich mit Hadayatullah dort war – der hat sich natürlich auch nicht versteckt. Dort haben sich die deutschen Muslime getroffen, die deutschen Gemeinden, das Umfeld, das auch Deutsch gesprochen hat. Dann wurde ein Vortrag über Heirat gehalten. Hadayatullah war mit der Hand als Erster oben. Als er zu Wort kam, hat er gesagt: »Wenn ich diesen Vortrag vor meiner Hochzeit gehört hätte, hätte ich nie geheiratet in meinem Leben. So viele formelle Sachen, solche Gebote und Verbote. Das ist ja nicht auszuhalten, was hier geredet wird. Sie haben ja nichts kapiert von (dem qur’anischen Vers) ‚Ich habe Liebe und Zärtlichkeit zwischen euch gesetzt.‘ Also die Lebendigkeit der Religion, dafür sind wir schon immer zuständig gewesen. Und da hört man jetzt drauf.
KMH: Jetzt bei all dem Lob und all dem Positiven, was wir Revue passieren lassen haben. Würden Sie sagen, die deutsche Jamaat ist selbstkritisch genug? Lernen wir auch aus unseren Fehlern?
AW: Dafür sorgt Hudhur. Also nach dieser Jalsa Salana in UK hat Hudhur die Jamaat sehr gelobt. Und ich wette mit Ihnen drauf – wetten tun die Muslime ja nicht – ich weiß, Hudhur wird uns kritischer anpacken. Hudhur packt uns sehr kritisch an. Hudhur erwartet sehr viel von uns. Hudhur ist sehr kritisch mit uns, das schmerzt manche Leute, aber ich glaube, das ist auch wichtig für uns. Das hat auch was mit der deutschen Seele zu tun, die ja auch oft sehr selbstzerfleischend ist. Und diese sich selbst anklagende Seele gehört zum deutschen Habitus. Diese Selbstkritik, die kommt von uns aber oft nicht selber. Wir beweihräuchern uns immer gerne, was mir manchmal völlig gegen den Strich geht. Aber Hudhur sorgt dafür, möge Allah sein Helfer sein, dass wir immer wieder auf den Boden heruntergeholt werden und da immer selbstkritisch bleiben. Ich weiß noch, bei dieser Fahrradtour waren wir ja so begeistert, da hat Hudhur gesagt; guckt euch doch mal an, was die Afrikaner machen. Die haben ganz alte Schinken, ganz alte Fahrräder und die fahren 2000 Kilometer. Und ihr macht da gerade eure 600 Kilometer (mit tollem Rennrad). Da waren wir sofort wieder geerdet.
KMH: Aber was würden Sie sagen, ohne jetzt in die Details zu gehen – das soll man ja auch aus islamischer Sicht nicht – Aber was sind die großen Schwächen, was sind die großen Stärken der Jamaat Deutschland? Vielleicht auch im Vergleich zu den anderen Jamaats international.
AW: Oh, das ist (ein) ganz gefährlich(es Thema)…
KMH: Oder – was ja auch zum Alltag eines Amirs dazugehört – ich erinnere mich immer wieder, wenn ich Sie frage am Telefon; Amir Sahib, wie geht es Ihnen? Dann sagen Sie; gerade wieder viel Ärger, viele Beschwerden, das Übliche. Das gehört ja auch dazu.
AW: Diese menschlichen Tragödien, dass sich Menschen das Leben unnötig selber schwer machen. Wir reden zum Beispiel sehr viel darüber, wie man heiratet. Es wird viel Counseling gemacht, damit die Parteien gut zueinander kommen; und dass man positiv rangeht und auf was man alles achten muss. Wir müssten aber genauso eine Aufklärung machen darüber, wenn es mal schief geht und es zu einer Scheidung kommt. Wie gehe ich mit einer Scheidung um? Das ist eine Katastrophe, was da manchmal passiert! Wie man versucht, sich selbst zu zerfleischen oder über das Schlechtmachen des anderen die Situation zu verbessern. Das funktioniert aber nicht. Das führt zu weiteren Problemen und zu weiteren Tragödien. Also solche Sachen zum Beispiel – wie man da besser damit umgeht, und da sind wir jetzt dabei. Hudhur-e-Aqdas, möge Allah sein Helfer sein, hat jetzt auch dieses Schulungssystem ermöglicht und wir haben Missionare, die gerade in dieser Schulung sind.
Da geht es auch um Suchtverhalten. Es gibt ja vielerlei Süchte, nicht nur Drogen-, sondern auch Spielsucht, es gibt Fernsehsucht – da können Sie als Mütter ja sicher einiges drüber sagen. Und andererseits geht es da um Gewaltfragen, also auch Täterberatung und solche Sachen. Da steigen wir jetzt ein, dass wir da weiter schulen. Das wird auch unter Aufsicht von Hudhur-e-Aqdas gemacht. Und ich glaube, dass da vieles auf uns zukommt. Aber wir haben so viele qualifizierte Personen in der Jamaat mittlerweile – lange wussten wir das gar nicht – und das muss alles jetzt noch besser strukturiert werden. Da muss sich mehr organisatorisch und strategisch entwickeln, dass wir unsere ganzen Potenziale auch freilegen können.
MSR: Apropos qualifizierte Personen in der Jamaat. Die Zahl der Akademiker in unserer Gemeinde ist ja überdurchschnittlich hoch. Aber ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass, wenn man in akademische Bereiche reingeht, auch eine sehr große Gefahr besteht, dass man sich vielleicht darin verliert – und vielleicht auch Gott verliert. Wie ist eigentlich die Lage bei den jungen Erwachsenen in unserer Gemeinde diesbezüglich?
AW: Also ich bin ja selber immer wieder erstaunt, gerade wenn ich jetzt die Waqf-e-Nau sehe.
Waqf-e-Nau sind ja die Kinder in unserer Gemeinde, deren Eltern vor der Geburt oder kurz nach der Geburt die Kinder quasi Hudhur-e-Aqdas übergeben haben, sodass diese später ihr Leben der Gemeinde widmen können. Viele dieser Kinder sind dann in so eine akademische Karriere eingestiegen und ich bin immer wieder fasziniert. Wir haben lange gebraucht, um das strukturell, organisatorisch wirklich auch kontrolliert weiterzuentwickeln, aber viele dieser Kinder haben einen persönlichen Kontakt zu Hudhur und sprechen ständig mit ihm über ihre Laufbahn. Natürlich gibt es auch welche, die das nicht machen, aber die überwiegende Mehrheit macht das. Und die sind immer auf der sicheren Seite, haben in ihren Mulaqats, also in ihren Treffen mit dem Kalifen, immer wieder Leitung bekommen. Und ich bin da immer fasziniert; da gibt es Leute, die leiten ganze Firmen, aber die wären, wenn Hudhur sie ruft, bereit, nach Afrika zu gehen, um (beispielsweise) Kinder in Physik zu unterrichten. Eher die Ehefrauen werden da oft ein bisschen nervös, aber die Waqf-e-Nau selber, die sind da wirklich bereit, sofort loszumarschieren. Wir müssen dann immer wieder gucken, dass wir da nicht überqualifizierte Leute empfehlen.
Natürlich haben wir auch Jugendliche, die sich da verlieren, aber ich erinnere mich immer wieder an dieses Wort des Dritten Kalifen, der hat mal gesagt; jeder Ahmadi ist wie ein Goldnugget. Innen drin ist Gold, aber außen rum ist manchmal eine dicke Kruste und die muss manchmal erst freigelegt werden. Aber innen drin ist dieser Goldkern, der muss nur freigelegt werden, aktiviert werden, motiviert werden. Dabei kommt es auch immer wieder auf die Jamaat an, auf die Gemeinde an, auf die Unterorganisationen an, wie sie die fördern. Wir müssen halt viel mehr tun, wir müssen viel mehr investieren in unsere Jugendlichen, in unsere Kinder.
Azhar Hanif Sahib, der Naib-Amir aus Amerika, d.h. einer der beiden Naib-Amire, – beide haben fantastische Reden gehalten auf der letzten Jalsa Salana – er hat über die Kindererziehung geredet. Ich habe mir das auf dem Hinweg hierher nochmal angehört. Was er sagt; in was für einen Konflikt unsere Kinder reinkommen, wenn wir keine klare Leitung geben und auch keine klare Unterstützung bieten und Ferien-Schulen machen, um die Kinder abzufangen und ihnen auch einen Gegenpol (zum gesellschaftlichen Trend) zu geben und im Endeffekt auch eigene Schulen aufbauen. Die Jamaat ist, meine ich, jetzt soweit. Wir sind jetzt dabei, unseren ersten Kindergarten zu realisieren, da haben wir schon eine Teilgenehmigung bekommen. Das ist natürlich ein kleiner Anfang, aber man könnte auch so ein Thema mal angehen: ‚Die Ahmadiyya Muslim Jamaat im zweiten Jahrhundert‘ – wir haben das erste Jahrhundert jetzt hinter uns, was läuft im zweiten Jahrhundert, was passiert da? Und da sehe ich schon jetzt Möglichkeiten, so wie das in Ghana eine Selbstverständlichkeit ist, dass wir Bildungseinrichtungen aufmachen. Dort gibt es zwei Ahmadis, die eine ganze Schule am Laufen halten. Dort gibt es zwei, drei Ahmadis, die ein ganzes Krankenhaus am Laufen halten. Warum kann das nicht auch hier passieren?
Der Vierte Kalif hat mal gesagt; wir müssen keine Soldaten ausbilden, wir müssen Generäle ausbilden. Wir haben 55.000 Mitglieder und da muss sich Optimales aus der Bildungsstruktur entwickeln. Da muss jeder seine Verantwortung übernehmen. Und wir haben das Potenzial!
Bei unseren Familienbesuchen, die wir gemacht haben, sind alle Amtsinhaber losgezogen und haben flächendeckend die Familien besucht, ohne eine Agenda, einfach nur mal zu fragen: Assalamu alaykum, wie geht’s? Und wir haben einfach mal zugehört. Ich bin in eine Familie gekommen, die hatten drei Töchter, die Krankenhausmanagement gemacht haben. Die könnten ein eigenes Krankenhaus handeln.
Da gibt es so viele Möglichkeiten – eine Akademie ist im Moment im Entstehen, über An-Nusrat (Ahmadi-Muslim-Hilfsorganisation). Schwester Khola Hübsch hat eben von den Meilensteinen gesprochen; das ist ja auch ein Meilenstein; die erste islamische Gemeinde, die einen Wohlfahrtsverband gegründet hat. Damit hätte man eine Möglichkeit, flächendeckend mit wenigen qualifizierten Leuten Wohlfahrt aus islamischer Perspektive zu schaffen.
Genau das hat auch die Deutsche Islamkonferenz eingefordert; ihr seid jetzt 5,5 Millionen Muslime – jetzt tut etwas! Macht Seelsorge für Krankenhäuser, für die Bundeswehr, für die Gefängnisse und so weiter und so fort. Und da machen wir jetzt die ersten Schritte und ich glaube mit der Hilfe Allahs und durch die Leitung des Kalifats hätten wir da sehr viele Möglichkeiten, in unserem kleinen, kompakten Land etwas zu tun.
KMH: Mariam, nochmal zu deiner Ausgangsfrage. Ich würde schon sagen, dass es die Gefahr gibt, dass man so blinde Flecken entwickelt in einer Organisation. Wir sind jetzt hier zum Beispiel gerade in der Zentrale in einem Studio in Baitus Sabuh, Frankfurt – das ist ja auch nochmal so ein eigener kleiner Planet. Da gibt es ja auch Amtsinhaber zum Beispiel, die Tag ein, Tag aus dieses Klima und diese Atmosphäre hier gewöhnt sind und gar nicht so sehr mit dem Außen konfrontiert sind, auch nicht mitbekommen; wie sind da die Debatten, wie sind die Diskurse, wie hart kann das vielleicht da manchmal sein – dass man da gar nicht verstanden wird mit dem Wertgefüge, das man (von außerhalb kommend) so hat. Das ist für junge Menschen dann tatsächlich eine Herausforderung.
Das, würde ich auch sagen, hat Maulana Azhar Hanif Sahib sehr treffend in seiner Rede auch zur Sprache gebracht. Und ich weiß auch, dass von manchen Konvertiten, die schon sehr lange bei der Gemeinde sind – Sie erinnern sich vielleicht noch an unsere verstorbene Schwester Malika Madina, Amir Sahib – für sie war es ganz schwierig, dass die Jamaat so groß wurde und durch diese Größe, durch mehr Organisation, Institution, dieses Familiäre verloren ging, was wir am Anfang hatten. Also wo jeder jeden kannte und jeder sich um den anderen gekümmert hat – was ja jetzt auch genauso wichtig wäre, gerade für die Jugendlichen.
Dass wir ein Zuhause bieten, dass man mit jeder Frage willkommen ist, dass man Anschluss findet und dass man eine kulturelle, religiöse, spirituelle Heimat auch hat. Das fehlt manchmal. Und dann ist so ein Frankfurter Raum vielleicht auch zu anonym. Wenn man da nicht persönlich, privat jemanden kennt, findet man keinen Anschluss und dann entfernt man sich vielleicht auch. Und das ist etwas, worüber wir uns vielleicht mehr Gedanken machen müssen.
MSR: Absolut. Wenn du dann noch zur Uni gehst und dich da vielleicht engagierst mit irgendwelchen Studierenden, Netzwerken und gar kein Gegengewicht hast, weil die Moschee – in unserem Fall war das so, die nächste Moschee war eine Stunde entfernt – dann ist das schon unendlich schwer, also die Gefahr ist besonders hoch
AW: Schauen Sie mal in Kanada, Amerika und andere Länder, wo ganz andere Entfernungen sind. Wir haben wirklich hier in der Beziehung eine schöne heile Welt, in der wir wirklich alles in erreichbarer Nähe haben. Die Moscheen sind jetzt flächendeckend installiert worden. Natürlich ist das noch keine optimale Situation, aber wir haben so viele Möglichkeiten, daraus etwas zu machen. Man muss natürlich jetzt auch diese Struktur, die wir haben, das Nizam der Jamaat, auch lebendig machen. Und dazu brauche ich lebendige Jugendliche. Ich muss die Jugendlichen ansprechen, ihnen Verantwortung geben. Natürlich gibt es auch Amtsinhaber, die an ihren Titeln kleben oder an ihrer Verantwortung kleben und den jungen Leuten keine Chance geben. Aber das ist ein täglicher Kampf, den wir nicht aufgeben dürfen.
MSR: Aber, Amir Sahib, das ist ein wichtiger Punkt. Es gibt diese Diskrepanz zwischen Theorie und praktischer Umsetzung. Besonders junge Menschen oder auch konvertierte Brüder und Schwestern, die erleben dann eventuell in der Jamaat-Struktur eine zwischenmenschliche Enttäuschung. Wo Menschen zusammenkommen, gibt es halt manchmal auch Enttäuschungen. Diesbezüglich würde mich schon interessieren; wie können junge Menschen lernen, mit diesen zwischenmenschlichen Enttäuschungen umzugehen?
AW: Mansoor Khan Sahib, der Imam der Nuur-Moschee damals, hat mir in einer der ersten Lektionen, die er mir angedeihen hat lassen, gesagt; klebe dich nicht zu sehr an Menschen, an Personen. Du musst spirituelle Stärke und Bestätigung aus deinen Gebeten holen. Orientiere dich nicht zu sehr an anderen Menschen. Da kannst du enttäuscht werden. Ich muss also erstmal verstehen, dass manche Leute nach außen mehr Schein als Sein haben und ich dann enttäuscht bin.
Ich muss meine Stärke durch das Gebet sich entwickeln lassen. Ich muss das eben den Konvertiten klar machen durch eine persönliche Beziehung. Wir haben gesehen, jene Konvertiten sind stark geworden, die einen Ansprechpartner hatten, die einen Freund hatten, eine Freundin hatten. Die also eine persönliche Beziehung hatten, die ihnen dabei geholfen hat (sich einzufinden). Die immer einen hatten, zu dem sie gehen konnten, mit dem sie sofort sprechen konnten. Da müssen wir einfach klüger vorgehen.
Wir haben jetzt 65 Missionare, die im Field sind, d.h. die in Jamaats engagiert sind. Wir hatten früher zwei, drei oder mal zehn; jetzt kommen jedes Jahr zehn dazu! Das ist eine Situation, woraus man mehr entwickeln muss. Ich möchte jetzt nicht alles schönreden, aber ich sehe da schon eine Entwicklung. Und ich sehe ganz viele Initiativen. Wenn Sie sich mal überlegen, wie viele Veranstaltungen gleichzeitig in Deutschland stattfinden. Manchmal ist das schon irre, wenn ich mir überlege, was alles läuft. Natürlich erreichen wir nicht alle Menschen. Aber zeigen Sie mir eine Organisation, wo Sie wirklich alle Menschen erreichen. Wir müssen mehr Menschen erreichen.
Nach der Pandemie haben wir die Problematik, dass wir viele Kontakte verloren haben, die wir erneut zurückgewinnen müssen. Wir müssen ihnen wieder die Gewohnheit vermitteln, den täglichen Weg in die Moschee zu machen und dass man da daraus profitieren kann. Da gibt es ganz viel zu tun, aber ich sehe das als eine ständige Herausforderung. Vorher habe ich im Gespräch gesagt, der Fokus muss mehr jetzt auf Tarbiyyat (Erziehung) gelegt werden. Da müssen die besten Leute reingesteckt werden. Da müssen die meisten Leute arbeiten. Da müssen auch die finanziellen Möglichkeiten dafür bereitgestellt werden.
In den Ferien müssen wir unseren Jugendlichen, unseren Kindern viel mehr anbieten. Ich sehe das jedes Mal, wenn ich auf einer (Ausflugs-)Fahrt dabei bin, da kommen dann so Jungs – ich kriege das ja nur bei den Jungs mit, Sie werden das bei den Mädchen vielleicht ähnlich erleben – die sind 15, 16 Jahre, die kommen völlig desinteressiert da an. Nase hoch und gerümpft und sehr wahrscheinlich sind sie von den Eltern gezwungen worden, da hinzugehen. Spätestens wenn wir dann in Valencia sind und sie mitkriegen, dass andere Jungs in der gleichen Situation sind, kommen die ins Gespräch, man redet miteinander. Und dann hat unsere Jugendorganisation zudem ein Programm umgesetzt, darin gibt es immer Mentoren, junge Missionare, manche auch Jamia Studenten, die dann für zehn solche Jugendliche zuständig sind. Und dann wird gemeinsam geredet, abends hockt man zusammen. Nach zwei, drei Tagen ist die Atmosphäre eine ganz andere. Das sind Schlüsselerlebnisse für solche Jugendliche.
Ich weiß noch, die ersten Reisen, die wir damals gemacht haben mit den Jugendlichen, da sind wir in die Berge gegangen, da reden die heute noch davon. Sie erzählen ihren Kindern, dass damals, nach einer Stunde Laufen, waren wir plötzlich allein und es gab keine Zivilisation mehr – und wir waren da mit einer Plastiktüte in der Hand und haben gemerkt, wir sind da völlig deplatziert! Also diese Erlebnisse müssen wir den Leuten schaffen. Beim Fahrradfahren sage ich immer; ab jetzt duzen wir uns nur noch. Während dem Fahrradfahren wird sich nur noch geduzt, danach machen wir wieder mit Sie weiter. Man kann ja unterwegs nicht sagen: Bitte können Sie da vorne mal ein bisschen nach rechts ranfahren, das hört sich einfach blöd an. Wenn ein direkter Bezug da ist, dann ist ein gemeinsames Erlebnis da.
Fragen Sie die 40 Leute, die dabei waren. Das war für die ein Wahnsinnserlebnis, obwohl es da manchmal harte Sachen zu bewältigen gab. Dasselbe bei den Bergsteigererlebnissen.
Aber auch eine normale lokale Gemeinde geht zum Beispiel in so ein Ferienheim, wo sie eben ihre Zeit mit den Jugendlichen verbringen. Die Frauen machen das genauso, die gehen auch mit den Mädchen und besuchen Survival Camps – bestimmt dieses Jahr auch. Diese Camp-Geschichten, da müsste man noch viel mehr machen, das muss halt ein bisschen gepusht werden. Die Kinder und die Jugendlichen brauchen eine Alternative, wo sie ihre persönlichen Erfahrungen machen können mit anderen.
KMH: Ja, da würde ich zustimmen. Das waren auch für mich meine prägendsten Erfahrungen, die Reisen, die wir gemacht haben. Wir waren sehr, sehr viel unterwegs immer mit den Lajna Imaillah Jugendgruppen, haben ganz viele europäische Länder, skandinavische Länder bereist und dann auch die internationale Jalsa Salana in England, zum Beispiel, dort das Tahajjud-Gebet miterlebt.
Das sind eigentlich die prägendsten Erlebnisse für einen jungen Menschen, die das Denken schon sehr nachhaltig verändern können. Und darauf folgt dann auch eine Auseinandersetzungen mit der Lehre.
Wir kommen damit zum Ende. Wir haben gehört, es gab wunderbare, großartige Meilensteine, die in der 100-jährigen Geschichte der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland erreicht worden sind.
Und gleichzeitig stehen wir vor großen Herausforderungen für das zweite Jahrhundert.
MSR: Und Neuanfängen.
KMH: Inscha’Allah, auch Neuanfängen.
Die Frustration, die manche vielleicht haben, wenn sie dem Beschriebenen folgen und merken, sie sind kein Teil davon gewesen oder sie haben noch Baustellen, sind mit manchen Dingen unzufrieden; das muss in einen Schmerz umgewandelt werden und dieser Schmerz muss vor Allah vorgetragen werden, um sich in eine spirituelle Kraft verwandeln zu können.
Und das gilt auch für die Dankbarkeit, die man vielleicht verspürt, für all das, was man in der Jamaat gefunden hat, was man mitnehmen konnte für sich, all die Werte, all die Schönheit, all die Weisheit, die wir ja auch tagtäglich, allein in den Freitagsansprachen, allein in den Schriften des Verheißenen Messias, als Nahrung bekommen, in all dem haben wir einen großen Schatz. Und die Dankbarkeit, der Schmerz, beides, muss sich in einer Hinwendung zu Allah kanalisieren. Das ist eigentlich der einzige Weg und wenn wir das erreichen, dann, Inscha’Allah, haben wir auch eine glorreiche Zukunft vor uns. Dafür beten wir.
Es gibt großartige Prophezeiungen für die Entwicklung der Jamaat hier in Deutschland, aber es gibt auch erschreckende Aspekte darin – wir befinden uns in einer Kriegssituation im Moment. Wir brauchen also alle Gebete aller Zuhörerinnen und Zuhörer für die gesamte Menschheit und für die Ahmadiyya Muslim Jamaat. Wir bedanken uns, Amir Sahib!
AW: Ich bedanke mich und wünsche Ihnen und bete dafür, dass Sie weiter viel Erfolg haben mit der Sendung, viele erreichen. Viele, die vielleicht jetzt noch nicht so eine beruhigte Situation haben, dass deren Situation sich zum Guten entwickelt. Und dass wir diese spirituelle Stärke in uns entwickeln und sie weitergeben können, die uns letztendlich alle verbindet. Und dass wir uns auf die Aufgaben vorbereiten, die Allah für uns noch vorsieht. Insha’Allah.
Assalamu alaikum wa Rahmatullahi wa Barakatuh.
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