Islam

Hadsch – Pilgerfahrt zum Haus Gottes

Religiöse Pilgerreisen gibt es schon seit Anbeginn der Menschheit, aber keine Pilgerfahrt kommt dem Ausmaß und der Vielseitigkeit des Hadsch nahe. Die fünfte Säule des Islam, der Hadsch, ist eine obligatorische Wallfahrt nach Mekka, Saudi-Arabien, die jeder gesunde Muslim mit entsprechenden Mitteln mindestens einmal in seinem Leben machen muss. Sie wird an festen Tagen des islamischen Kalenders ausgeführt und beginnt am 8. Dhu l-Hiddscha, im letzten Monat des Mondkalenders und endet zum 12. oder 13. des gleichen Monats. Mit seiner raffinierten Mischung aus tief symbolischen Ritualen ist der Hadsch die ultimative Quelle der spirituellen Wiedergeburt für muslimische Pilger. Millionen von Muslimen unternehmen diese bedeutende Reise aus allen Ecken der Erdkugel, um sich an der Kaaba zu versammeln und die niederen Wünsche abzulegen, um einen spirituellen Zustand der absoluten Liebe und Dankbarkeit für den allmächtigen Allah zu erlangen.

Iḥrām – der Weihezustand
Bevor der Hadsch beginnt, treten die Pilger in einen spirituellen Zustand der Reinheit ein, der Iḥrām genannt wird. Sie sprechen ein Gebet, um die innere Überzeugung zu bekräftigen, nämlich dass sie beabsichtigen, Hadsch nur um Allahs Willen durchzuführen: »Hier bin ich, zu Deinen Diensten, o Gott. Aller Preis gebührt Dir, jegliche Güte kommt von Dir. Dein ist das Königreich; Du hast keinen Partner.« Dieses Gebet, auch talbiya genannt, wird häufig im gesamten ersten Abschnitt des Hadsch gesprochen.

Pilger müssen diesen inneren Zustand der Reinheit auch physisch zum Ausdruck bringen, indem sie eine Waschung durchführen oder ein Bad nehmen und ihren Körper mit einem Gewand umhüllen, das aus zwei weißen Tüchern besteht, von denen jedes jeweils den Ober- und Unterkörper bedeckt. Diese leinentuchähnlichen, ungenähten Tücher symbolisieren das Ablegen weltlicher Wünsche, während die einheitliche Kleiderordnung die Gleichheit der Menschen in den Augen Gottes widerspiegeln soll. Im Iḥrām-Zustand ist es den Pilgern verboten, sich die Haare zu rasieren oder zu trimmen, die Nägel zu schneiden, Parfüm aufzutragen, zu jagen und eheliche Beziehungen zu haben usw. Somit beginnt ihre Reise mit der reinen Absicht, Allahs Wohlgefallen zu erlangen.

Die Pilger müssen im Iḥrām-Zustand sein, bevor sie das sogenannte Haram-Gebiet erreichen, ein heiliges Gebiet, das sich über die Grenzen Mekkas hinaus erstreckt. Nach islamischer Lehre darf niemand in diesem Gebiet einer Gefahr ausgesetzt sein; auch das Jagen sowie das Fällen von Bäumen ist dort verboten. Die Idee hinter Haram ist, eine friedliche Umgebung zu gewährleisten, damit Pilger in Frieden und ohne Angst in Mekka einreisen können.

Ṭawāf-e qudūm – die Umrundung beim Eintreffen
In Mekka angekommen führen die Pilger ein sogenanntes ṭawāf oder die Umrundung der Kaaba durch, ein quaderförmiges Gebäude im Herzen der Moschee Al-Haram, die heiligste Moschee, nach der sich die Muslime auf der ganzen Welt bei der Verrichtung des ṣalāt oder des formalen Gebets richten. Die Pilger beginnen das sogenannte ṭawāf-e qudūm an der Position des Schwarzen Steins, einem ungeformten Stein, der in der südöstlichen Ecke der Kaaba angebracht ist. Historisch gesehen existiert die Kaaba schon vor der Zeit AbrahamsAS, der ihre Grundmauern mit seinem Sohn IsmaelAS wieder aufrichtete. Der Schwarze Stein ist der einzige erhaltene Stein vom ursprünglichen Kaaba-Gebäude. Zu Zeiten der Götzenverehrung galten ungeformte Steine als Symbole der Einheit Gottes, weil Steine meist zu Götzenfiguren geschnitzt wurden. Muslime verbinden keine übernatürlichen Kräfte mit dem Schwarzen Stein, sondern nehmen ihn als Symbol der Einheit Gottes wahr. Sie betrachten es als ein großes Privileg, den Stein zu küssen, um ihre Liebe zum einzig wahren Schöpfer, Allah, auszudrücken.



Ṭawāf besteht aus sieben Umrundungen der Kaaba. Hier sind Pilger vor dem Tor der Kaaba zu sehen, während sie ṭawāf vollziehen.


Omar Chatriwala | Al Jazeera English | Released under CC BY-SA 2.0

Zu Beginn jeder Runde des ṭawāf blicken die Pilger zuerst auf den Stein und rezitieren folgendes: »Im Namen Allahs, Allah ist der größte. Aller Preis gebührt Allah«, und mit der Kaaba zu ihrer Linken gehen sie gegen den Uhrzeigersinn um die Kaaba herum und umrunden das Gebäude siebenmal. Die Kaaba befindet sich auf der linken Seite der Pilger, um die Funktion hinter dem Gebäude zu symbolisieren: die Anbetung. Gemäß der islamischen Lehre ist es so, wenn es zwei Betende gibt, die in Gemeinschaft beten, steht der Imam oder der Leiter des Gebetes immer links. So rezitieren die Pilger weiterhin talbiya und verherrlichen Gott und bitten Ihn um Vergebung. Die Schrittgeschwindigkeit ist in den ersten drei Runden höher und erreicht in den letzten vier Runden wieder eine normale Geschwindigkeit.

Hinter der Wahl der sieben Umrundungen birgt sich eine tiefe Bedeutung. Im Arabischen steht die Zahl sieben für Vollendung. Laut dem Heiligen Qur’an gibt es im ganzen Universum sieben Himmel.1 Das erste Kapitel des Heiligen Qur’an gilt als die vollständige Quintessenz der gesamten islamischen Lehre und enthält auch sieben Verse. Es gibt sieben Tage in der Woche. Außerdem gibt es sieben Tore zur Hölle. Durch die Umrundung mit reiner Absicht schließen die Pilger symbolisch die Tore der Hölle nacheinander zu und meiden alle Formen des Bösen. Die sieben Tore der Hölle können auch als die sieben Sinne betrachtet werden, durch die ein Mensch weltliche Eindrücke wahrnimmt: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Schmerz und Temperatur.

Maqām-e ibrāhīm und Sa’ī
Nach Abschluss des ṭawāf gehen die Pilger zum Maqām-e ibrāhīm, dem sogenannten Platz AbrahamsAS im östlichen Teil der Kaaba, wo sie zwei Gebetseinheiten oder rakʿāt verrichten und Wasser aus der Quelle Zamzam trinken. Dann laufen sie zwischen den beiden Hügeln von Safa und Marwa, die sich in der Nähe der Kaaba befinden. Dieser Hadsch-Ritus wird Sa’ī genannt. Vor Jahrhunderten lief Hadhrat HajraAS (Hagar), die Frau AbrahamsAS, verzweifelt zwischen diesen beiden Hügeln hin und her, um Wasser für ihren durstigen Sohn IsmaelAS zu finden, was zu dem plötzlichen Wassersprudel aus der neu erschlossenen Zamzam-Quelle nahe dem weinenden Kind führte. Daher ahmen die Pilger Hadhrat HajrasAS hektisches Hin- und Herlaufen zwischen den beiden Hügeln nach, bis die siebte Runde in Marwa abgeschlossen ist. Während dieses Rituals konzentrieren sich die Pilger darauf, Allah zu verherrlichen und um sein Wohlgefallen zu bitten.

Erster Tag des Hadsch
Am 8. Dhu l-Hiddscha, noch im Iḥrām-Zustand, fahren die Pilger nach Mina, etwa sieben Kilometer von der Kaaba entfernt. Sie verrichten alle fünf Gebete in Mina und zelten dort über Nacht. Die meiste Zeit der Nacht verbringen sie damit, weiter zu beten und Allah anzuflehen.



Ein Blick auf die Zelte, die in Mina für die Übernachtung der Pilger aufgeschlagen werden.


© Fadi El Binni | Al Jazeera English | Released under CC BY-SA 2.0

Zweiter Tag des Hadsch
Am 9. Dhu l-Hiddscha nach dem Fadschr, dem Gebet vor dem Morgengrauen, brechen die Pilger von Mina nach ʿArafāt auf, einem Ort südöstlich von Mekka, etwa 22 Kilometer entfernt. In ʿArafāt gibt es einen berühmten Hügel Dschabal ar-Rahma (Berg der Barmherzigkeit), wo der Heilige ProphetSAW seine allerletzte Predigt hielt. So hält der Imam des Hadsch seine Predigt an der gleichen Stelle. Dieser Tag wird als Yaumu l-Hadsch oder Pilgertag bezeichnet und die Pilger müssen an diesem Tag dieses Gebiet erreichen, damit ihr Hadsch gültig wird. Das Wort ʿArafāt bedeutet wörtlich »Bewusstsein« und die Pilger spüren dort die enorme Gegenwart des allmächtigen Gottes. Sie beschäftigen sich mit sich selbst, suchen Vergebung für ihre Sünden und beten zu Allah.

Dritter Tag des Hadsch
Am 10. Dhu l-Hiddscha brechen die Pilger nach dem Faǧr-Gebet nach Mina auf. Geschichtlichen Überlieferungen zufolge, als AbrahamAS kurz davor war, seinen erstgeborenen Sohn IsmaelAS zu opfern, verleitete ihn Satan in Mina, seine Absichten aufzugeben, aber AbrahamAS blieb standhaft und wies ihn zurück. Satan versuchte erneut, ihn zweimal zu verführen, sein Kind nicht zu opfern, scheiterte aber miserabel. Diese drei Stellen sind durch Säulen auf einer einzigen Straße gekennzeichnet. Der Abstand zwischen der ersten und letzten Säule beträgt etwa 400 Meter. Die Pilger werfen auf diese Säulen, auch Dschamarat genannt, Steine, die sie in der Nacht zuvor in Muzdalifa gesammelt haben, um die Niederlage Satans trotz seiner Versuche, AbrahamAS zu beeinflussen, zu markieren. Die Pilger müssen mindestens 49 Kieselsteine sammeln und sie für dieses Ritual nach Mina tragen. An diesem Tag werfen sie jedoch nur sieben Steine auf den größten der drei Säulen, die als Dschamarat al-Aqaba bezeichnet wird.



Die Pilger brechen von ʿArafāt nach Muzdalifa bei Sonnenuntergang auf.


Omar Chatriwala | Al Jazeera English | Released under CC BY-SA 2.0

Die drei Säulen stellen Satans allmähliche Zunahme der Intensität dar, um die Menschen zu verleiten, Sünden zu begehen. Wenn er es nicht schafft, sie in einem kleinen ersten Versuch zu beeinflussen, kommt er stärker zurück und greift mit viel mehr Härte an, um ihre Standfestigkeit weiter zu testen. Das Bewerfen der größten Säule symbolisiert also die Ablehnung der stärksten Verführungsformen Satans.

Nachdem sie die große Säule beworfen haben, schlachten die Pilger ein Opfertier. Danach werden die Haare geschnitten oder rasiert und alle Einschränkungen, außer der ehelichen Beziehung, werden aufgehoben. Die Pilger nehmen dann eine Dusche und ziehen ihre normale Kleidung wieder an. An dieser Stelle endet die Rezitation des talbiya. Die Pilger gehen noch am selben Tag zur Kaaba und führen sieben Umrundungen durch, auch ṭawāf-e ziyārat oder die Besuchsumrundung genannt, so wie sie es beim ṭawāf-e qudūm getan hatten. Sie kehren nach Mina zurück und verbringen ihre Zeit damit, Allah um Vergebung zu bitten.

Vierter Tag des Hadsch
Am 11. Dhu l-Hiddscha wird das Ritual der Steinigung erneut durchgeführt, aber diesmal zielen die Pilger auf alle drei Säulen. Die Dschamarat werden in einer bestimmten Reihenfolge beworfen. Die Pilger beginnen mit der ersten Säule, gehen dann zur mittleren und erreichen schließlich die letzte Säule.

Fünfter Tag des Hadsch
Am 12. Dhu l-Hiddscha gehen die Pilger nach Mekka und führen ṭawāf-e widāʿ oder ṭawāf-e ifāda, die Abschiedsumrundung der Kaaba durch. Diese Umrundung markiert den Abschluss des Hadsch und die restlichen Einschränkungen werden aufgehoben. Nun können die Pilger nach Medina reisen und zu ihren Häusern aufbrechen. Sie können sich aber auch am 13. Dhu l-Hiddscha in Mina aufhalten, um das Ritual der Steinigung auf die gleiche Weise fortzusetzen und anschließend nach Mekka für die Abschiedsumrundung zu fahren.



Eine Luftaufnahme von Pilgern, die den abschließenden ṭawāf der Kaaba durchführen, die den Abschluss des Hadsch markiert.


© Fadi El Binni | Al Jazeera English | Released under CC BY-SA 2.0

Referenz
1. Der Heilige Qur’an 2:30

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