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Zerstört vom Zyklon – Ein Interview über den Einsatz von ›Humanity First‹ auf Mayotte

Interview mit einem Mitglied des Humanity First-Einsatzteams nach dem verheerenden Zyklon in Mayotte.
Zerstörtes Wohngebiet auf Mayotte

Im Dezember 2024 wütete der Zyklon Chido über die Insel Mayotte. Tausende von Menschen waren von den Auswirkungen des Sturms betroffen. Das spirituelle Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Gemeinde, Seine Heiligkeit Hadhrat Mirza Masroor Ahmad (aba), erwähnte die Situation in Mayotte und rief seine Gemeinde zu Gebeten auf. Er sagte:

»Heutzutage treten auch weltweit viele Stürme auf. Vor einigen Tagen wütete auch in Mayotte ein Sturm. Dort leben auch Ahmadis, die sich dank der Gnade Allahs in Sicherheit befinden. Die Gemeinde leistet dort ebenfalls Hilfe, was von der dortigen Regierung lobend anerkannt wurde. Während einige Leute dort Nahrungsmittel zu überhöhten Preisen verkaufen, wodurch die Hungernden nichts zu Essen bekommen, leistet die Gemeinde durch Allahs Gnade Hilfe und verteilt Essen. Dennoch sollten wir beten, dass Allah diese Inseln vor Naturkatastrophen bewahrt.«[1]

Auf Initiative Seiner Heiligkeit (aba) wurde ein Einsatzteam von Humanity First, der Hilfsorganisation der weltweiten Ahmadiyya Muslim Gemeinde, nach Mayotte entsandt. In diesem Interview berichtet Jazeb Asif, der Teil des Einsatzteams von Humanity First Deutschland war, von seinen Erfahrungen und Eindrücken während der Hilfsmission in Mayotte.

RdR: Können Sie sich zunächst kurz vorstellen und uns schildern, wo und warum Sie im Einsatz waren?

Herr Asif: Mein Name ist Jazeb Asif, und ich hatte die Ehre, vom 03. – 18. Januar 2025 für 15 Tage humanitäre Hilfe auf Mayotte im Rahmen eines Einsatzes von Humanity First Deutschland zu leisten.

Ich habe selbst Geschichte und Politikwissenschaften studiert. Viele kennen Mayotte wahrscheinlich nicht – es ist eine Insel in der Nähe von Madagaskar und Mauritius und gehört als Überseegebiet zu Frankreich.

Warum waren wir dort? Wie es der Name unserer NGO – Humanity First – schon beschreibt: um humanitäre Hilfe zu leisten. Am 14. Dezember 2024 traf der Zyklon Chido auf Mayotte und hinterließ eine Spur der Verwüstung. Die Infrastruktur wurde schwer beschädigt, und das Leid der Menschen war groß. Schon vor der Katastrophe lebten viele dort unter schwierigen Bedingungen – oft in einfachen Behausungen und Baracken aus Plastik und Wellblech, die selbst relativ leichteren Stürmen kaum standhalten. Man kann sich vorstellen, welche Schäden ein Zyklon mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 210 km/h anrichtet.

Die Situation war so ernst, dass das spirituelle Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Gemeinde in seiner Freitagsansprache am 20. Dezember auf das Unglück aufmerksam machte und zu Gebeten für die Menschen auf Mayotte aufrief. Die Grundversorgung war zusammengebrochen; Die Menschen hatten über zwei Wochen lang keinen Zugang zu sauberem Wasser und keine Elektrizität. Ihre grundlegendsten Bedürfnisse waren nicht erfüllt.

von links nach rechts: Jazeb Asif, Mohsan Ali, Dr. Usama Ahmad, Usama Joya (lokaler Iman & Theologe der AMJ Mayotte), Waqas Ahmad

RdR: Welche Hilfe hat Humanity First dort konkret geleistet?

Herr Asif: Man muss sich zunächst vor Augen führen, dass Humanity First bereits vor dem Zyklon in Mayotte aktiv war. Durch die Gnade Allahs betreiben wir dort eine Schule und sind somit seit längerem vor Ort vertreten.

Nach der Katastrophe reiste das Einsatzteam nach Mayotte, um die Lage besser einschätzen und gezielt Hilfe leisten zu können. Unser Team bestand unter anderem aus einem Arzt, sodass wir auch medizinische Versorgung anbieten konnten. Darüber hinaus verteilten wir Lebensmittel, unterstützten bei Renovierungsarbeiten und gingen direkt in die betroffenen Gebiete, um die Menschen vor Ort individuell zu erreichen.

Unser Hauptziel war es, die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken – insbesondere die Versorgung mit Nahrung. Während unseres Aufenthalts konnten wir über 40.000 Mahlzeiten verteilen, und diese Hilfe läuft weiterhin. Jeden Tag wird Essen zubereitet, wir kaufen Lebensmittel ein und verteilen sie an Bedürftige. Gemeinsam mit unserem Team gingen wir täglich von Tür zu Tür, um die Menschen direkt zu unterstützen und ihre Bedürfnisse zu ermitteln.

Zusätzlich haben wir versucht, Strukturen für nachhaltige Hilfe zu schaffen. Wir führten Gespräche mit lokalen Behörden, einschließlich der Regierung und zuständigen Ämtern, um unsere Arbeit noch effektiver zu gestalten. Dabei wurde eine noch engere Zusammenarbeit mit World Central Kitchen initiiert. Ebenso fand ein Austausch mit dem Sous-Préfet von Mayotte statt, um eine Grundlage für langfristige humanitäre Unterstützung zu schaffen.

Lebensmittel werden verteilt
Renovierungsarbeiten

RdR: Wie wurde die Hilfe von den Menschen vor Ort aufgenommen?

Herr Asif: Die Menschen waren sehr erfreut über unsere Unterstützung, aber mann muss sagen, dass sie gleichzeitig auch überrascht waren. Es war für viele ungewohnt, dass ein Team aus Deutschland anreist, um ihnen Hilfe zu leisten. Man muss sich vorstellen, dass die Menschen dort es generell nicht gewohnt sind, externe Unterstützung zu erhalten. Wenn dann plötzlich Hilfe von außen kommt, kann das zunächst zu Zurückhaltung oder Schüchternheit führen.

Allerdings hat Humanity First wie gesagt bereits seit Längerem eine Präsenz auf Mayotte und leistet dort wertvolle Arbeit – insbesondere durch die Schule im Bildungsbereich. Dadurch haben die Menschen unsere Hilfe sehr gut angenommen. Besonders die medizinische Versorgung wurde äußerst dankbar aufgenommen, denn ein großes Problem auf Mayotte ist der Zugang zu medizinischer Versorgung. Bei einer Bevölkerung von über 300.000 Menschen gab es nur ein einziges Krankenhaus im Land, das nach der Zerstörung noch aktiv war. Denn nach dem Zyklon war die Situation sehr schlimm, da es Todesopfer und zahlreiche Verletzte gab, weshalb die medizinischen Kapazitäten völlig überlastet waren. In dieser Notlage war es für die Menschen eine enorme Erleichterung, dass wir vor Ort medizinische Hilfe leisten konnten.

Einkauf von Medikamenten für bedürftige Menschen auf Mayotte
Medizinische Untersuchung

RdR: Gab es besondere Schwierigkeiten und vielleicht auch außergewöhnliche bzw. wundersame Erlebnisse während des Einsatzes?

Herr Asif: Es gibt wohl keinen Einsatz ohne Herausforderungen. Doch durch den Segen Gottes und die Gebete des Kalifen der Gemeinde konnten wir alle Schwierigkeiten gut bewältigen. Ich persönlich möchte nicht unbedingt das Wort Wunder verwenden; ich würde es eher so ausdrücken, dass Gottes Wille dafür sorgt, dass bestimmte Ereignisse stattfinden, die uns als ein Team von Humanity First weiterhelfen, denn schließlich begleiten uns die Gebete des Kalifen, und das haben wir in den gesamten 15 Tagen unseres Einsatzes immer wieder gespürt.

Ein Beispiel dafür war ein Erlebnis im Norden von Mayotte. Dort besuchten wir einen Ahmadi, der als Einziger [Vertreter unserer Gemeinde] in dieser Region lebt. Wir wollten uns ein Bild von der Lage machen, insbesondere von den Zerstörungen und den Bedürfnissen und Problemen der Menschen, um gezielt Unterstützung leisten zu können. Während wir mit ihm am Straßenrand standen und unsere HF-Westen trugen, fuhr ein Auto langsam an uns vorbei, hielt an und beobachtete uns für einige Minuten – was wir zunächst gar nicht so richtig bemerkt hatten, da wir tief in unser Gespräch vertieft waren.

Nach einer Weile stiegen die Personen aus dem Auto und sprachen uns an. Unser lokaler Gemeinde-Imam in Mayotte stellte uns vor und erklärte, dass wir ein Team aus Deutschland seien. Dabei stellte sich heraus, dass es sich um [Vertreter] eines Büros handelte, das der lokale Imam seit über drei Jahren vergeblich zu kontaktieren versucht hatte, um Humanity First und die humanitäre Arbeit vorzustellen. Doch an diesem Tag waren wir durch Gottes Willen zu genau dieser Zeit an diesem Ort – und nicht wir mussten sie suchen, sondern sie kamen direkt auf uns zu und zeigten Interesse an unserer Arbeit. Sie äußerten, dass sie mit uns in Kontakt bleiben und eine Zusammenarbeit ermöglichen möchten.

Treffen mit dem Sous-Préfet und seinem Team, um neue Projekte für humanitäre Arbeit zu entwickeln

RdR: Sehr schön. Die Ahmadiyya Muslim Gemeinde auf Mayotte ist noch relativ jung. Inwiefern waren die Gemeindemitglieder von der Katastrophe betroffen? Können Sie vielleicht eine besondere Begebenheit mit der lokalen Gemeinde schildern?

Herr Asif: Für mich persönlich war es das erste Mal, dass ich nach Afrika gereist bin. Natürlich hatte ich zuvor viele Berichte gehört oder Erzählungen gelesen, wie stark die Menschen dort in ihrem Glauben sind. Aber es ist etwas völlig anderes, es selbst zu erleben und zu fühlen. Aller Preis gebührt Allah, ich hatte die Möglichkeit und die Ehre, das hautnah zu erfahren.

Es war wirklich einzigartig zu sehen, wie tief die Liebe und Verbundenheit der Menschen zu Seiner Heiligkeit, dem Kalifen ist – obwohl die meisten ihn noch nie persönlich gesehen haben. Doch sobald sie seinen Namen aussprechen, stehen ihnen Tränen in den Augen. Ihr Glaube ist unglaublich stark.

Ein bewegender Moment war zum Beispiel, als der lokale Imam eine Sitzung mit dem Gemeinderat und uns einberief, um verschiedene Themen mit uns zu besprechen. Genau jener Ahmadi aus dem Norden – er hieß Yunus – sagte dabei etwas, das uns alle sehr berührt hat. Er meinte, dass sie sich ganz bewusst seien, dass der Kalif sie liebe und für sie bete. Doch unser Besuch habe ihnen und ihren Kindern noch einmal die Bestätigung gegeben, wie groß seine Fürsorge tatsächlich sei. Er betonte, dass es nirgendwo auf der Welt einen Menschen gebe, der einfach ein Team losschickt, das 12.000 Kilometer weit reist, nur um nach seinen Gemeindemitgliedern zu fragen. Doch genau das habe ihr Kalif getan, indem er dieses Team geschickt hat, um ihm zu berichten, wie es ihnen geht und was sie brauchen. Diese Worte waren schon sehr emotional.

Seine Heiligkeit der Kalif :
das spirituelle Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Gemeinde

RdR: Sie haben berichtet, dass es Ihr erster Einsatz auf dem afrikanischen Kontinent war. Rückblickend, wie würden Sie das bewerten?

Herr Asif: Es war eine sehr prägende Erfahrung für mich. Ich würde sagen, dass ich nur Positives mitnehmen konnte und durfte, und es wird mich in meinem Leben begleiten. Eine der wichtigsten Erkenntnisse für mich war, dass man viel mehr Dankbarkeit gegenüber Allah zeigen sollte, wenn man sieht, wie gut es uns hier geht und wie schwierig die Situation für die Menschen dort ist – und trotzdem sind sie unglaublich dankbar.

Als ich die Ahmadis dort sah, strahlten sie trotz der schweren Situation Geduld aus. Viele meinten, dass es zwar eine sehr schwierige Zeit sei und eine Prüfung für sie, aber dass sie diese Prüfung mit Geduld annehmen würden. Wenn wir hier bei kleinen Problemen oft schon überfordert sind, kann man sich nur schwer vorstellen, wie sie über zwei Wochen lang ohne sauberes Wasser und ohne richtige Mahlzeiten leben mussten – und dennoch waren sie dankbar.

Durch Allahs Segen und die Gebete des Kalifen haben wir jedoch dafür gesorgt, dass die, die vom Zyklon betroffen waren, täglich eine Mahlzeit und Trinkwasser erhielten. Diese Versorgung wird auch weiterhin aufrechterhalten. Besonders hilfreich war, dass wir in der Schule von Humanity First im Vorfeld einen halben Container mit Wasserpaketen vorrätig hatten. Dadurch konnten wir auch direkt den Bewohnern von Mayotte in dieser schwierigen Zeit mit Trinkwasser helfen. Das war wirklich ein Segen.

Ausmaß der Zerstörung
Helfer verteilen Lebensmittel

RdR: Vielleicht können Sie noch etwas zur Rolle des dortigen Imams und seines Wirkens vor Ort sagen?

Herr Asif: Der dortige Imam und Missionar, Herr Usama Joya, spielt eine sehr wichtige Rolle. Er repräsentiert als lokaler Imam nicht nur die Ahmadiyya Gemeinde, sondern erfüllt auch die Funktion, Humanity First auf Mayotte zu vertreten. Ein großer Vorteil ist, dass er die französische Sprache sehr gut beherrscht, was die Kommunikation und die Arbeit vor Ort erheblich erleichtert.

Man hatte den Eindruck, dass er sich wirklich gut in die Gesellschaft integriert hat – fast so, als wäre er ein Mayot geworden. Das hat man auch an der Interaktion mit den Gemeindemitgliedern und den anderen Einheimischen gemerkt. Man konnte deutlich erkennen, dass die Menschen ihm gegenüber respektvoll sind.Wenn wir durch die Straßen fuhren, grüßten uns die Leute oft mit erfreuten Blicken und verbanden ihn direkt mit der Hilfe, die sie erhalten hatten. Sie erinnerten sich daran, dass er derjenige war, der ihnen Wasser oder Milch etc. zur Verfügung gestellt hatte. Es war für mich sehr erfreulich zu sehen, dass die Hilfe von Humanity First und seine Unterstützung so direkt mit positiven Ergebnissen in Verbindung gebracht wurden. Es war wirklich schön, diesen direkten Einfluss der Arbeit zu sehen und zu erleben, wie unser Vertreter vor Ort wahrgenommen wurde.

RdR: Vielen Dank für die wertvollen Einblicke.

[1] Freitagsansprache vom 20. Dezember 2024

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