Am 22. Oktober 2019 gab es im Hotel Adlon in Berlin einen besonderen Empfang, bei dem Seine Heiligkeit Hadhrat Mirza Masroor AhmadABA, weltweites Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Jamaat und 5. Kalif, vor einem Publikum deutscher Würdenträger die Frage erörterte, ob der Islam mit den Werten Europas kompatibel ist. Die Revue der Religionen möchte im Folgenden eine kurze Zusammenfassung präsentieren.
Zu Beginn des Hauptvortrags Seiner Heiligkeit zitierte der Kalif die Definition des Wortes »Zivilisation«, wie sie seinerzeit vom Zweiten Kalifen der Ahmadiyya Muslim Jamaat erwähnt wurde. Diese bedeute den materiellen Fortschritt und die Entwicklung einer Gesellschaft, während Faktoren, die auf die Stärke einer Zivilisation hinweisen, den wirtschaftlichen Fortschritt, den Grad der technologischen Innovation, den Verkehr und den geistigen Fortschritt der Gesellschaft beinhalten. Weiters sind die Friedensförderung durch Gesetze und deren Vollzug sowie durch ein professionelles Militär auch ein Maß der Zivilisation.
Seine Heiligkeit erklärte dann, dass von der Zivilisation zu unterscheiden die Kultur sei, worin sich die Ansichten und Praktiken der Menschen und ihre Einstellungen zu sozialen Fragen manifestieren. Zudem sei die Kultur statt im materiellen Fortschritt in der Moral und den religiösen Werten einer Nation verwurzelt.
Ein Beispiel dafür aus der frühen Geschichte des Christentums sei das Römische Reich, das aufgrund seines Wohlstands, der Urbanisierung und der Art und Weise, wie es seine Territorien verwaltete, als immens zivilisiert und gebildet betrachtet wurde. Ihre Zivilisiertheit führte, wie auch immer, nicht zu einer höheren Moral. Es war viel eher das frühe Christentum, wodurch dem Volk ein auf Religion und Sittlichkeit basierendes Leitbild gegeben wurde, während die Römer weltliche Gesetze vorschrieben. So stellten die Römer die Zivilisation und das an Einfluss gewinnende Christentum die Kultur. Zusammengeschlossen ergab später ihr überragender Einfluss jene Werte und Traditionen, die bis heute im Westen vorherrschen, obwohl sich die Menschen des Westens jetzt von der Religion entfernen.
Was die Debatte über Einwanderung betrifft, so sagte Seine Heiligkeit, dass sich die demographische Entwicklung vieler westlicher Länder verändert habe. Es seien Einwanderer aus vielen Ländern gekommen, aber der Zustrom von Muslimen habe die größte Sorge und Beunruhigung ausgelöst. Viele Einheimische würden fürchten, dass eine Masseneinwanderung aus muslimischen Ländern ihre Zivilisation, Kultur und Werte gefährde.
Hinsichtlich der Zivilisation, die zuvor grob als Ausdruck des materiellen Fortschritts definiert wurde, sagte Seine Heiligkeit, dass diese vielmehr von der restlichen Welt nachgeahmt als bekämpft würde. Die Welt sei zu einem globalen Dorf herangewachsen, worin jetzt nichts mehr in der Welt verborgen bleibe. Menschen in wirtschaftlich benachteiligten Ländern könnten sehen, wie Menschen in wohlhabenden Nationen leben und streben nach selbigem. Also sei es vielmehr die westliche Welt, die anderen Erdteile und somit auch die muslimische Welt beeinflusse und die Behauptung, die westliche Zivilisation würde angegriffen werden, sei somit nicht haltbar.
Eine scheinbar vergleichsweise berechtigtere Befürchtung sei, so seine Heiligkeit, jene, dass die religiöse und sittliche Kultur des Westens bedroht ist, sollte sich der Islam im Westen ausbreiten. Um diese auszuräumen, zitierte der Kalif in westlichen Ländern durchgeführte Erhebungen, die zeigen, dass die Menschen immer weniger zur Religion und zum Glauben an Gott neigen. Er sagte, dass die rasante Zunahme des Atheismus eine weitaus größere Bedrohung für die westliche Kultur darstelle als der Islam und dass traditionelle westliche Werte und Normen, die ihre Wurzeln letztendlich in christlichen und jüdischen Traditionen hätten, von denen angegriffen würden, die sich allen Formen von Religion und Glauben entgegenstellten.
Seine Heiligkeit erklärte, dass er als muslimischer Anführer glaube, dass das deutsche Volk sein Erbe und seine Kultur schützen sollte, indem es den Niedergang der Religion stoppt und die Menschen wieder zurück zum Glauben und zur Religion bringt – sei es das Christentum, das Judentum oder eine andere Religion. Diese moralischen Werte sollten nicht im Namen des Fortschritts aufgegeben werden. Der Verfall der Religion im Westen sei der Hauptgrund, warum die Menschen den Islam fürchteten, da sie wüssten, dass die Muslime ihrem Glauben verbunden bleiben würden. In Wirklichkeit aber gebe es trotz dessen, was in den Medien zu hören ist, keinen wirklichen Grund, den Islam zu fürchten.
Seine Heiligkeit sagte, dass Muslime den Heiligen Qur’an für endgültige und vollkommene Lehre hielten, und dieser nachdrücklich lehre, dass Religion eine persönliche Sache des Herzens ist. Der Heilige Qur’an lehre, dass es keinen Zwang in der Religion gibt, weshalb es also keinen Grund zur Sorge gebe, dass Muslime versuchen würden, ihren Glauben diesem Teil der Welt aufzuzwingen. Er sagte, dass die hasserfüllte Ideologie einer extremistischen Minderheit keinen Zusammenhang mit den Lehren des Heiligen Qur’ans habe und wiederholte, dass Regierungen und Behörden sehr entschieden gegen Extremisten vorgehen sollten – seien es Muslime oder Nicht-Muslime.
Seine Heiligkeit betonte abermals, dass der Islam keinerlei Gewalt erlaube, den eigenen Glauben zu verbreiten, und stellte die Frage in den Raum, warum die Menschen also denken, dass ihre Kultur in Gefahr sei?
Der Kalif präsentierte danach einige der Grundlehren der islamischen Religion und die von ihr eingeführten Menschenrechte. Weiters erklärte er, dass es viele Mythen über den Gründer des Islam, den Heiligen Propheten MuhammadSAW gebe.
Seine Heiligkeit zitierte Kapitel 4, Vers 37 des Heiligen Qur’ans, wo es heißt:
»Verehrt Allah und setzet Ihm nichts zur Seite, und (erweiset) Güte den Eltern, den Verwandten, den Waisen … «
Seine Heiligkeit sagte, dass hier Muslime angewiesen seien, den Einigen Gott anzubeten und Eltern mit Liebe und Zuneigung zu behandeln. Wie kann eine solche Lehre mit einer Kultur oder Religion in Konflikt geraten? Muslime müssten auch ihre Nachbarn und Lieben mit Freundlichkeit behandeln. Sie müssten sich um die Schwächsten kümmern. Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Unterstützung der Armen sei die Bildung. Durch Bildung eröffneten sich den Armen Chancen und sie würden zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft, anstatt ein Leben in Kriminalität und Bandenkultur zu führen. Deshalb lege die Ahmadiyya Muslim Jamaat großen Wert auf Bildung.
Seine Heiligkeit ermutigte in seiner Rede abermals die reichen Länder, schwächeren Ländern dabei zu helfen, ein solides Fundament aufzubauen. Wenn Länder dauerhaft stabil würden, dann werde natürlich die gesamte Region davon profitieren.
Der Gründer des Islam habe auch gelehrt, dass eine Person, die anderen Menschen nicht dankbar ist, dem Allmächtigen Gott auch nicht dankbar sein kann. Daher müsse ein Muslim auch die Rechte seiner Mitmenschen erfüllen. Wie könne solch eine Lehre eine Bedrohung für die westliche Gesellschaft darstellen?
Seine Heiligkeit resümierte , dass es falsch sei zu behaupten, der Islam wäre mit den westlichen Ländern nicht vereinbar.
Seine Heiligkeit setzte dann fort, dass einige glaubten, dass der Islam den Dschihad fördere und eine gewaltsame Gesetzgebung erlasse. Das sei ein klares Missverständnis darüber, was Dschihad wirklich sei. Der Islam sei keine blutrünstige und gewalttätige Religion. Zum Beispiel hatte eine Person den Heiligen ProphetenSAW gebeten, sich der muslimischen Armee anschließen zu dürfen, um am Dschihad teilzunehmen. Der ProphetSAW hatte zu ihm gesagt, er solle sich eher um seine Eltern kümmern, da sie sich in einem gebrechlichen Zustand befänden, und dies wäre sein wahrer Dschihad.
Seine Heiligkeit sagte, dass es richtig sei, dass muslimische Armeen in einigen Religionskriegen verwickelt waren, aber der Zweck nie gewesen sei, Menschen zu überwältigen, zu unterdrücken oder zu zwingen, den Islam anzunehmen, sondern sie seien durchgeführt worden, um die Religion an sich zu schützen.
Wären die Aggressoren nicht aufgehalten worden, so wären schlussendlich alle Kirchen, Synagogen und Tempel bedroht. Die Ungläubigen von Mekka hätten alle anderen Religionen vernichten wollen, aber der Islam habe sich dem entgegengestellt, um alle Religionen zu verteidigen.
Muslimen werde gelehrt, ihre Kinder nicht zu töten. Sie sollten sie mit Liebe und Zuneigung erziehen, damit sie zu kompetenten und moralischen Individuen in ihren Ländern heranwachsen würden.
Den Muslimen werde gelehrt, die Schwachen wie Waisenkinder zu schützen.
Seine Heiligkeit ging dann auf die Anschuldigung ein, dass Muslime ihre Frauen nicht respektieren würden und erklärte, dass der Islam zum ersten Mal Frauen das Recht auf Erbschaft, Scheidung und viele andere Rechte eingeräumt hatte und vor allem die Bildung von Mädchen betont werde. Der Heilige ProphetSAW habe gelehrt, dass das Paradies unter den Füßen der eigenen Mutter liegt. Frauen spielten daher eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Mütter seien diejenigen, die die Energie und Durchsetzungskraft besitzen, um ihre Nation in ein Paradies auf Erden zu verwandeln.
Seine Heiligkeit betonte weiter, dass verschiedene aktuelle Studien und Berichte bewiesen, dass häusliche Gewalt nicht mit irgendeiner Religion zusammenhänge und dass das Gleiche für Deutschland gelte. Es sei also schlichtwegs ungerecht, den Islam als frauenfeindliche Religion abzustempeln.
Der Islam lehre, Menschen anderer Religionen zu respektieren. Der Vertrag von Medina sei ein Beweis dafür gewesen, denn die Thora sei von den Muslimen als Gesetz respektiert worden. Der Islam lehre auch, dass selbst im Kriegszustand keine Ungerechtigkeit gegenüber den Feind ausgeübt werden darf. Einzelne sowie Länder würden heutzutage routinemäßig ihre Feinde missachten und versuchen sich bei jeder Gelegenheit zu rächen.
Wie auch immer, der Heilige Qur’an lehre, dass die Muslime den Prinzipien der Gerechtigkeit unter allen Umständen treu bleiben müssten. Nach seiner siegreichen Rückkehr nach Mekka habe der Heilige ProphetSAW den vorherigen Unterdrückern gesagt, dass keine Rache an ihnen genommen werden würde und ihnen sei den qur’anischen Lehren entsprechend sofort vergeben worden, unabhängig davon, ob sie sich entschieden hätten, den Islam zu akzeptieren oder nicht.
Seine Heiligkeit wandte sich dann der Frage der Sklaverei zu und sagte, dass die Sklaverei vor dem Islam allgegenwärtig und ein gewöhnlicher Teil der Gesellschaft gewesen sei, doch der Heilige Qur’an hatte gelehrt, dass Sklaven die Möglichkeit und das Recht hatten, ihre Freiheit zu erlangen.
In der heutigen Welt gebe es keine physische Sklaverei mehr, so der Kalif, jedoch sei sie durch wirtschaftliche Abhängigkeit ersetzt worden. Die meisten mächtigen Nationen pflegten eine Beziehung zu schwächeren Ländern, wie die zwischen einem Herrn und einem Sklaven, so dass letztere keine andere Wahl hätten, als die einseitigen Bedingungen zu akzeptieren, und dieserart kurzfristiger Darlehen endeten immer in langfristigem Elend. Seine Heiligkeit erklärte, dass solch eine Art der Sklaverei zutiefst unmoralisch sei.
Der Islam halte auch die Rechte der Nicht-Muslime hoch, um Frieden und Einheit in der Gesellschaft zu bewahren. Muslimen würde im Heiligen Qur’an gelehrt, nicht einmal über deren Götzen zu spotten, da dies sie dazu provozieren könnte, ihrerseits gegen Gott den Allmächtigen zu lästern.
Seine Heiligkeit bekräftigte und versicherte, dass der Islam keine Bedrohung für die westliche Zivilisation und Kultur darstelle. Wenn einige Muslime dem entgegenwirkten, würden sie gegen die islamischen Lehren verstoßen, oder sie seien sich der wahren Lehren des Islam gar nicht bewusst.
Seine Heiligkeit brachte seine Befürchtung zum Ausdruck, dass die prekäre Situation der Welt jederzeit eskalieren könnte. Er sagte, dass Worte weitreichende Folgen haben könnten. Die Menschen sollten davon absehen, religiöse Lehren anderer anzugreifen. Anstatt Einschränkungen im Glauben vorzunehmen, sollte die Welt erkennen, dass die Menschen alle Teil einer Familie seien.
Seine Heiligkeit sagte, dass man derzeit leider genau das Gegenteil sehe und muslimische wie nicht-muslimische Länder ihre Eigeninteressen in den Vordergrund stellten. Es bildeten sich rivalisierende Blöcke. Eine Vielzahl von Ländern hätte Atombomben erworben und wenn diese jemals verwendet würden, würden nicht nur die jetzigen Menschen die Folgen davon tragen, sondern auch ihre Kinder und zukünftigen Generationen würden mit geistigen und körperlichen Behinderungen geboren und schuldlos wegen der Sünden ihrer Vorfahren leiden. Seine Heiligkeit fragte, ob dies das Vermächtnis sei, das man denjenigen hinterlassen wolle, die uns folgen. Sicherlich nicht.
Abschließend ermahnte Seine Heiligkeit dazu, dass alle die Warnzeichen erkennen und ihre Verhaltensweisen ändern und dass sie sich trotz ihrer Unterschiede mit gegenseitigem Wohlwollen und Respekt zusammenschließen, um den Weltfrieden willen und um echte Glaubensfreiheit zu etablieren. Der Kalif dankte noch einmal allen Gästen für ihre Teilnahme an der Veranstaltung.
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