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Jerusalem: Eine frühere Stadt der Harmonie

Wahre Muslime werden immer auf der Seite der Gerechtigkeit stehen.
joiseyshowaa/flickr

von Tariq Mahmood

»Wer die Zukunft voraussehen will, muss in die Vergangenheit blicken, denn die Ereignisse der Menschheit ähneln immer denen der Vergangenheit.« (Machiavelli)1

Der Konflikt zwischen Israel und Hamas wirft viele Fragen auf: Können Israel und Palästina friedlich koexistieren? Gibt es eine Kluft zwischen Islam und Judentum, und ist das die Ursache für diesen anhaltenden Krieg?

Die Geschichte beantwortet uns diese Fragen

Als die Muslime im 7. Jahrhundert in Jerusalem die Byzantiner belagerten, war es Hadhrat Umar (ra), der zweite Kalif des Islam, selbst, der auf Ersuchen der byzantinischen Armee und des Oberpriesters von Jerusalem einen Vertrag unterzeichnete. Die Byzantiner weigerten sich, ihre Stadt einem anderen als dem Oberhaupt der Muslime zu überlassen. So reiste Umar (ra) nach Jerusalem und unterzeichnete einen Vertrag mit den Christen. Aber wo waren damals die Juden?

Die Juden Palästinas hatten den Persern einige Jahre zuvor gegen die Byzantiner geholfen, letztere verraten und so die Verwaltung Jerusalems erlangt. Dieser Zustand dauerte jedoch nur etwa drei Jahre an, und später eroberten die Byzantiner Jerusalem zurück, woraufhin sie jeden einzelnen Juden in Jerusalem entweder töteten oder verbannten .2 

Es gab keine Juden mehr in der Stadt

Das Misstrauen gegenüber den Juden in Jerusalem blieb bestehen. Vielleicht ist dies der Grund, warum Hadhrat Umar (ra) einigen Quellen zufolge den Juden unmittelbar nach der Unterzeichnung des Vertrags auch nicht erlaubte, Jerusalem zu betreten.

Dieses zeitweilige Verbot mag einen grausamen Anschein erwecken, aber wenn diese Überlieferungen stimmen, war es eingangs zweifellos ein weiser Schritt, um den Frieden in der Stadt zu gewährleisten. 

Man stelle sich vor, dieselben Verräter, die vor kurzem ins Exil gegangen waren, dürften zurückkehren, gleich nachdem man seine Souveränität verloren hatte. Man würde einerseits seine neue Führung dafür hassen und andererseits die Verräter immer noch verachten für das, was sie vor weniger als einer Generation getan hatten.

Vor diesem Hintergrund legte Hadhrat Umar (ra) die ersten Vertragsbedingungen mit großem Fingerspitzengefühl dar. In Kürze:

1. Die Christen, ihr Besitz, ihre Kreuze und ihre Kirchen erhielten Sicherheitsgarantien. Keine Kirche durfte beschlagnahmt oder zerstört werden, auch nicht ihre Besitztümer.
2. Ihnen dürfen weder der (islamische) Glaube aufgezwungen noch sonstige Schwierigkeiten bereitet werden. 
3. Sie müssen die Dschizya zahlen (eine Steuer für Nicht-Muslime, die oft niedriger war als die muslimische Steuer und die die Nicht-Muslime auch von der Wehrpflicht ausnahm).
4. Die byzantinische Armee sollte ausgewiesen und ihnen Sicherheit für Leben und Besitz garantiert werden, bis sie einen sicheren Ort erreicht hatten.
5. Keine Juden sollten in Jerusalem leben.3

In einigen Zeugnissen wie diesem Vertrag heißt es zwar, dass die Juden anfangs aufgrund von Spannungen nicht einwandern durften; jüdische Historiker geben jedoch selbst zu, dass die jüdische Einwanderung bald nach der muslimischen Eroberung Jerusalems begann. In seinem Buch A Brief History of Israel schreibt beispielsweise der jüdische Historiker Bernard Reich:

 »Zu Beginn der islamischen Herrschaft wurde die jüdische Besiedlung Jerusalems wieder aufgenommen, und die jüdische Gemeinde erhielt die Erlaubnis, “unter Schutz” zu leben, dem üblichen Status von Nicht-Muslimen unter islamischer Herrschaft, wodurch ihr Leben, Besitz und ihre Religionsfreiheit im Gegenzug für die Zahlung spezieller Abgaben und Grundsteuern gesichert war.«4

Hadhrat Umar (ra) liebte Jerusalem und behandelte die heilige Stätte der Juden mit großer Liebe und Sorgfalt

Während seines Aufenthalts in Jerusalem ging Hadhrat Umar (ra) zum Tempelberg, um dort am Ort der heutigen Al-Aqsa Moschee zu beten, fand den Ort aber sehr schmutzig vor, wie Imam Ibn Taymiyyah (rh) erklärt: 

»Als Umar ibn Al-Khattab Jerusalem eroberte, befand sich auf dem Felsen eine riesige Müllhalde, denn die Christen pflegten den Ort absichtlich respektlos zu behandeln, um die Juden zu ärgern, die in diese Richtung zu beten pflegten.«

Als er dies sah, begann Hadhrat Umar (ra), den Müll selbst aufzuräumen:

»Dieser Felsen, von dem Umar den Schmutz und Unrat mit seinen eigenen Händen entfernte und ihn in seinem Mantel forttrug, um ihn sauber zu machen, war die Qiblah (Gebetsrichtung) der Juden und jener Felsen, der von ihnen verehrt wurde, weil es nach ihrem Glauben der Ort war, an dem Gott zu Jakob gesprochen hatte.«5

Die Geschichte zeigt, dass die Muslime den Juden in Jerusalem und Palästina sehr wohlgesonnen waren 

In einem apokryphen jüdisch-arabischen Text heißt es, dass Hadhrat Umar (ra) Jerusalem für die Juden wieder zugänglich machte:

»Mit jedem Muslim, der in die Stadt oder ins Tal kam, war eine Gruppe von Juden. Dann ordnete er (Umar) an, die heilige Stätte (die Tempelanlage) zu fegen und zu reinigen … Danach schickten die Juden eine Nachricht an alle übrigen Juden in Palästina, um sie über die Vereinbarung zu informieren, die Umar mit ihnen getroffen hatte … Dann fragte Umar: ›Wo in der Stadt möchtet ihr wohnen?‹ ›Im südlichen Teil‹, antworteten sie. Und das ist nun der Markt der Juden. Ihr Wunsch war es, in der Nähe des Tempelbergs und seiner Tore zu wohnen und auch in der Nähe des Silwan-Gewässers zum rituellen Baden. Der Anführer der Gläubigen gewährte ihnen dies.«6

Was für ein erstaunliches Mitgefühl. Dieselben Juden, die zuvor hingerichtet oder verbannt worden waren und deren heiligste Stätte zu einer Müllhalde gemacht worden war, konnten in Jerusalem friedlich leben.

Es findet sich ein weiteres herzerwärmendes Zeugnis. Ein Brief der Jerusalemer Rabbinerakademie aus dem 11. Jahrhundert bezeugt, dass die Behandlung der Juden seitens der Muslime noch Hunderte von Jahren nach dem Vertrag von Umar (ra) von Generation zu Generation durch Erzählungen weitergegeben wurde. Der Rabbiner schreibt:

»Dank Gott, der das Erbarmen der ismaelitischen Herrschaft auf uns lenkte, indem diese ihre Hand ausstreckten und das Heilige Land von den Edomitern einnahmen und nach Jerusalem kamen. Mit den Ismaeliten waren Juden, die ihnen die Stätte des Tempels zeigten und von da an bis zum heutigen Tag bei ihnen [in Jerusalem] blieben.«7

Es ist wiederholt überliefert worden, dass Hadhrat Umar (ra) die wahre islamische Haltung gegenüber dem Judentum verkörperte und so aktiv zeigte, dass Muslime und Juden friedlich koexistieren können. 

In einem Land, das jetzt in einen geopolitischen Krieg verwickelt ist, versuchen einige den Konflikt als einen religiösen Konflikt darzustellen und behaupten, der Islam habe einen inhärenten Hass auf Juden. Nichts liegt jedoch ferner der Wahrheit.

Wahre Muslime werden immer auf der Seite der Gerechten stehen

Die Muslime hoffen, dass die dem Judentum innewohnende Frömmigkeit wieder aufblüht, wie es dazu im Heiligen Qur’an heißt:

»Unter dem Volke der Schrift ist eine Gemeinde, die fest (zu ihrem Vertrag) steht; sie sprechen Allahs Wort in den Stunden der Nacht und werfen sich (vor Ihm) nieder.«8

Solange im Nahen Osten keine Gerechtigkeit herrscht, liegt diese friedliche Koexistenz zwischen Muslimen und Juden wie zur Zeit von Hadhrat Umar (ra) in unserer Vergangenheit. Wird sie vielleicht auch zu unserer Zukunft? Zeit und Gebete werden darüber entscheiden.

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Über den Autor: Tariq Mahmood ist Absolvent des Ahmadiyya Instituts für Sprachen und Theologie in Kanada und dient als Sekretär von The Existence Project bei The Review of Religions.

1. Niccolo Machiavelli. The Prince. (Race Point Publishing, 2017), 220.
2. Bernard Reich, A Brief History of Israel (New York: Checkmark Books, 2008), 8–10.
3. Muhammad Ibn Jarir al-Tabari, Tarikh al-Tabari, Bd. 2 [Beirut, Lebanon: Dar al-Kutub al-Ilmiyyah, 2012], S. 449, entnommen von https://313companions.org/topics/1387c333-0451-4d44-878f-027b1f58a539/jerusalem 
4. Bernard Reich, A Brief History of Israel (New York: Checkmark Books, 2008), 8–10.
5. Dr. Ali Muhammad As-Sallabi, ‘Umar Ibn Al-Khattab: His Life & Times, trans. Nasiruddin al-Khattab, Bd. 2 (Riyadh: International Islamic Publishing House, 2007), 302–305.
6. Phillip Lieberman, The Cambridge History of Judaism: Volume 5, Jews in the Medieval Islamic World (Cambridge, UK: Cambridge University Press, 2021), 78–79.
7. Ibid.
8. Der Heilige Qur’an 3:114

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