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Was sagt der Islam über Kriegsgefangene?

Eine historische Perspektive, wie Kriegsgefangene im Islam behandelt wurden

Zafir Malik, Vereinigtes Königreich

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Das englische Sprichwort »All is fair in love and war (In Liebe und Krieg ist alles erlaubt)« ist Ihnen möglicherweise bekannt. Dieser Spruch scheint nahezulegen, dass man sich in Zeiten des Krieges nach Belieben verhalten kann, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der Islam hingegen widerspricht dieser Auffassung vehement. Selbst in Kriegszeiten soll der Mensch auf sein Verhalten bedacht sein, und es existieren strikte Kriegsregeln, die eine muslimische Armee einzuhalten hat.

Ein unausweichliches Ergebnis von Kriegen ist das Nehmen von Kriegsgefangenen. Doch was sagt die Religion darüber? Zunächst einmal ist zu beachten, dass der Heilige Qur’an die Gefangennahme feindlicher Soldaten entschieden ablehnt, es sei denn, es liegt ein Kriegszustand vor.

»Einem Propheten geziemt es nicht, Gefangene zu machen, ehe er sich auf kriegerischen Kampf im Land einlassen muss.«[1]

Falls heute die Hamas vorgibt, dem Islam zu folgen, gibt es also keinerlei Rechtfertigung für das, was am 7. Oktober geschah. Der obige Vers ist eindeutig darin, dass keine Kriegsgefangenen genommen werden dürfen, es sei denn, zwei Parteien sind bereits in Kampfhandlungen verwickelt – ganz zu schweigen von einem Angriff auf Zivilisten, was der Islam strengstens untersagt. Die Hamas hielt sich also sicherlich nicht an die Lehren im Qur’an. Wie sieht dazu die Praxis des Heiligen Propheten Muhammad (saw) aus?

Vor der Entstehung des Islam pflegten in Arabien Stämme Menschen auch zu Friedenszeiten gefangen zu nehmen und dauerhaft zu Sklaven zu machen. Die Gefangenen wurden mitunter gefoltert, unter unwürdigen Bedingungen gefangen gehalten oder oft schlichtweg exekutiert. Ebenso ist die Behandlung von Kriegsgefangenen in unserer heutigen modernen Welt durch einige Länder nichts, worauf man stolz sein könnte. Doch das, was der Heilige Prophet (saw) und der Islam anordneten, stellt eine beispiellose Errungenschaft in der Menschheitsgeschichte dar, ein Beispiel, das jenes sämtlicher Armeen und Nationen der Vergangenheit Gegenwart überstrahlt.

Das erste Mal in der Geschichte des Islam wurden nach dem ersten Krieg zwischen den Muslimen und den Mekkanern, bekannt als die Schlacht von Badr, Kriegsgefangene genommen. 70 Gefangene gerieten in die Gewalt der Muslime. Da es zu dieser Zeit in Arabien kein Gefängnissystem gab, teilte der Heilige Prophet (saw) die Gefangenen unter seinen Gefährten auf, gab jedoch gleichzeitig strenge Anweisungen, sie freundlich zu behandeln und sicherzustellen, dass sie gut versorgt wurden.

Einer dieser 70 Gefangenen war Abu Aziz bin Umair. In seinen eigenen Worten schildert er die Behandlung, die er in der Obhut der Muslime erfuhr, wie folgt:

»Gemäß den Anweisungen des Heiligen Propheten (saw) verabreichten mir die Ansar [die aus Medina stammenden Muslime] gebackenes Brot, während sie selbst nur Datteln und dergleichen aßen. Es kam oft genug vor, dass sie selbst nur eine kleine Ration Brot erhielten, es mir gaben und nicht selbst aßen. Wenn ich es ihnen aus Verlegenheit zurückgeben wollte, bestanden sie darauf, dass ich es behielt.«[2]

Sogar Sir William Muir, ein Orientalist und erklärter Kritiker des Islam, der ansonsten keine Gelegenheit ausließ, Anschuldigungen gegen den Islam zu erheben, konnte nicht umhin, die Handlungen dieser Muslime zu loben. In seiner Biografie »Das Leben von Mohammed [sic]« berichtet er über die Behandlung der Gefangenen von Badr:

»Gemäß Mohammeds Anweisungen empfingen die Bürger von Medina und die Auswanderer [aus Mekka], die eigene Häuser besaßen, die Gefangenen mit Freundlichkeit und Rücksichtnahme. ›Gesegnet seien die Männer von Medina!‹ sagte später einer von ihnen: ›Sie ließen uns reiten, während sie selbst zu Fuß gingen; sie gaben uns Weizenbrot zu essen, als davon nur wenig vorhanden war, und begnügten sich selbst mit Datteln.‹ Es ist daher nicht überraschend, dass einige der Gefangenen aufgrund dieser Umstände sich als Gläubige deklarierten, und diesen wurde umgehend die Freiheit gewährt. Die anderen wurden gehalten, solange kein Lösegeld bezahlt wurde. Aber es dauerte lange, bis die Koreish [sic] sich dazu überwinden konnten, zu diesem Zweck nach Medina zu reisen. Die freundliche Behandlung wurde daher verlängert und hinterließ sogar bei denen, die nicht sofort zum Islam übertraten, einen positiven Eindruck … Die Gefangenen wurden entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten freigelassen. Einige zahlten tausend, andere auch bis zu viertausend Stück. Diejenigen, die nichts zu geben hatten, wurden ohne Bezahlung freigelassen … Jedem von ihnen wurden zehn Jungen zugeteilt, um ihnen die Kunst des Schreibens beizubringen, und der Unterricht wurde als Lösegeld akzeptiert.«[3]

Lassen Sie uns einen Moment innehalten und überlegen, was Muir gerade erwähnt hat. Die Muslime, die in der Schlacht von Badr siegreich waren, legten die etwa 128 km nach Medina zu Fuß zurück, während die in der Schlacht besiegten Gefangenen auf ihren Reittieren saßen. Es gab nicht genug Brot für die Muslime, sodass sie den Gefangenen den Vorrang gaben und sich stattdessen von Datteln ernährten. Kann jemand ein vergleichbares Beispiel in der gesamten bekannten Kriegsgeschichte nennen?

Nach ihrer Ankunft in Medina wurden die Gefangenen vorerst an den Säulen in der Moschee des Propheten in Medina gefesselt. Zu den Gefangenen gehörten einige, die sehr eng mit dem Heiligen Propheten (saw) verwandt waren, wie sein Onkel Abbas, sein Neffe Aqil und sein Schwiegersohn Abul ‘Aas. Es wird berichtet, dass der Heilige Prophet (saw) eine Nacht nicht schlafen konnte, da Abbas (ra) aufgrund der Seile, mit denen er gefesselt war, stöhnte. Als die Gefährten von diesem Umstand erfuhren, lösten sie die Stricke des Onkels, woraufhin er aufhörte zu stöhnen. Der Heilige Prophet (saw) kam sofort heraus, um zu sehen, was geschehen war, während er das Schlimmste befürchtete. Als er erfuhr, was die Gefährten getan hatten, ordnete er an: »Wenn ihr seine Fesseln lösen möchtet, dann tut dies auch für alle anderen. Es sollte keine bevorzugte Behandlung für Abbas geben.«[4]

Dies war derselbe Abbas, der nicht nur der Onkel und Freund des Heiligen Propheten (saw) war, sondern der auch die Muslime während des gefährlichen gesellschaftlichen Boykotts gegen sie in Mekka heimlich mit Nahrung und Wasser unterstützt hatte. Er war nur auf Druck der Stammesführer der Quraisch mit der mekkanischen Armee ausgezogen. Wenn also jemand würdig war, ohne Lösegeld oder Verzögerung freigelassen zu werden, dann war es Abbas! Die Gefährten selbst baten sogar den Propheten (saw), Abbas ohne Lösegeld freizulassen, doch der Prophet (saw) lehnte ab.[5] Dies liegt daran, dass der Heilige Prophet Muhammad (saw) das Gesetz des Islam predigte und befolgte, um absolute Gerechtigkeit, ein Eckpfeiler für die Schaffung von Frieden in der Welt, zu etablieren.

Abgesehen von den Geboten darüber, wie man sich im Krieg verhalten soll, verbietet der Islam ausdrücklich, Kriege zu beginnen. Die Muslime mussten in der Schlacht von Badr kämpfen, weil die mekkanische Armee auszog, um die Muslime zu vernichten.[6] Indes sind die Konsequenzen eines Krieges sowohl kurz- als auch langfristig katastrophal. In beiden bisherigen Weltkriegen starben unzählige Zivilisten, ohne eigenes Verschulden. Angesichts der verheerenden Kriegstechnologie von heute ist die potentielle Todesrate exponentiell angestiegen. Daher verbietet der Islam Kriege zu initiieren von vornherein und betont, dass die internationale Gemeinschaft zusammenarbeiten muss, um den Aggressor, wer immer es auch sein mag, zu stoppen. Da sich der Islam als eine universelle Religion versteht, sollen seine Lehren nicht nur den Muslimen zugute kommen, sondern der gesamten Menschheit die Grundsätze für die Schaffung eines dauerhaften Friedens aufzeigen. Angesichts der Tatsache, dass die Großmächte ihre eigenen Methoden zur Schaffung von Frieden erprobt haben und letztlich daran gescheitert sind, sollten sie vielleicht einmal einen Blick darauf werfen, was der Islam anzubieten hat – vorausgesetzt, sie sind ernsthaft an einem Weltfrieden interessiert.

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Über den Autor: Zafir Malik ist der stellvertretende Redakteur von The Review of Religions. Er hat seinen Abschluss an der Jamia Ahmadiyya UK, dem Institut für moderne Sprachen und Theologie, gemacht. Er ist außerdem Imam der Ahmadiyya Muslim Jamaat und tritt regelmäßig als Experte bei MTA International und dem Radiosender Voice of Islam auf und beantwortet Fragen zum Islam. 

[1] Der Heilige Qur’an, 8:68
[2] Abu Ja’far Muhammad bin Jarir Al-Tabari, Tarikh al-Rusul wa al-Muluk, Bd. 3 (Beirut, Libanon: Dar al-Fikr, 2002) S. 40
[3] Sir William Muir: Life of Mohammad (Edinburgh, Vereinigtes Königreich: Oliver und Boyd, 1923) S. 233–234
[4] Hadhrat Mirza Bashir Ahmad (ra): Das Leben & Charakter des Siegels der Propheten, Bd. 2 (Tilford, Vereinigtes Königreich: Islam International Publications Ltd, 2013), S. 161
[5] Ṣaḥīḥu l-buḫārī, kitābu l-ǧihād, wa-s-siyar, Hadith Nr. 3048
[6] Der Heilige Qur’an, 22:40–41 – Erlaubnis (sich zu verteidigen) ist denen gegeben, die bekämpft werden, weil ihnen Unrecht geschah – und Allah hat fürwahr die Macht, ihnen zu helfen –, jenen, die schuldlos aus ihren Häusern vertrieben wurden, nur weil sie sprachen: »Unser Herr ist Allah.« Und würde Allah nicht die einen Menschen durch die anderen im Zaum halten, so wären gewiss Klöster und Kirchen und Synagogen und Moscheen niedergerissen worden, worin der Name Allahs oft genannt wird. Allah wird sicherlich dem beistehen, der Ihm beisteht. Allah ist fürwahr allmächtig, gewaltig.

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