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Schachmatt der Diplomatie: Warum wir auf der Schwelle zum Dritten Weltkrieg stehen

Ob Nahost oder Ukraine: Die Konflikte in der Welt spitzen sich zu. Sieht denn niemand die große Gefahr für die Menschheit, die auf uns zukommt?

von Scharjil Khalid, Berlin

*dieser Artikel wurde ursprünglich für die Berliner-Zeitung verfasst. Mit ihrer freundlichen Genehmigung wird er hier für die Leserinnen und Leser der Revue der Religionen nochmals veröffentlicht.

Die Welt ist ein Schachspiel, und wir sind die Figuren: In seinem Werk „The Grand Chessboard“ skizziert der ehemalige nationale Sicherheitsberater der Vereinigten Staaten, Zbigniew Brzezinski, die geopolitische Landschaft als eine komplexe Schachpartie, in der die Vormachtstellung eines Landes von seinem geografischen Standort und dem Besitz von Ressourcen abhängt.

Die von allen begehrten Ressourcen sind jedoch in der Welt ungleich verteilt, was dazu führt, dass einige Länder naturgemäß besser ausgestattet sind als andere. Eine Region der Welt ragt bei der geopolitischen Analyse von Brzezinski besonders heraus: der Schlüsselkontinent Eurasien. Auch andere bedeutende geopolitische Denker, wie beispielsweise Halford John Mackinder, betonen die zentrale Bedeutung dieses Gebiets und prägen für Eurasien Begriffe wie das „Heartland“, welches er als den geografischen Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschichte beschreibt.

Nicholas John Spykman, ein Schüler Mackinders, erweitert die Idee der „pivot area“ mit der Theorie des „Rimland“, die entscheidend ist, um Eurasien als „Heartland“ zu kontrollieren. Spykman ist überzeugt: „Wer das Rimland kontrolliert, regiert Eurasien, wer Eurasien regiert, kontrolliert die Geschicke der Welt.“ All diesen Theorien ist gemein, dass bestimmte Regionen der Welt aufgrund ihrer Lage und ihrer Ressourcen von außerordentlicher geostrategischer Bedeutung sind.
Weil die meisten Menschen eine innenpolitische Perspektive einnehmen, bemerken sie oft nicht, dass das eigentliche Schachspiel auf geopolitischer Ebene stattfindet. Fahrlässig wird es, wenn der Fokus selbst während Kriegen so stark auf Innenpolitisches gerichtet wird, dass die eigentlichen Herausforderungen und Gefahren aus den Augen verloren werden. Dann kann es ganz schnell »Schachmatt« heißen.

Auf der Weltbühne entfaltet sich eine äußerst brisante Drohkulisse

Schachmatt hat bei diesem Schachspiel indes gravierende Folgen, denn die Akteure beim „Grand Chessboard“ spielen nicht mit Holzfiguren. Ihr Schachbrett besteht nicht aus Bauern, Springern, Läufern, Türmen, Damen und Königen, sondern aus Armeen, Gewehren, Panzern, Raketen, Drohnen und – Atomwaffen. Ähnlich wie in »Die Schlafwandler« von Christopher Clark scheint uns nicht bewusst zu sein, welche verheerenden Konsequenzen die aktuellen Kriege – insbesondere der in Gaza – haben können. Während in Deutschland Woche für Woche Debatten über Integration, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus geführt werden, warnen geopolitische Experten verstärkt vor einem potenziellen Dritten Weltkrieg. Innenpolitische Themen wie Integration, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus sind zweifellos ernst zu nehmen, werden jedoch im Falle eines Dritten Weltkriegs, der wie ein Damoklesschwert über uns schwebt, null und nichtig. Bricht ein Dritter Weltkrieg aus, gibt es keinen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus. Wenn kaum noch Menschen existieren, gibt es auch niemanden mehr zu integrieren. Ein Dritter Weltkrieg würde alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen, und deshalb müssen wir über diese zunehmende Gefahr sprechen.

Während wir mit unseren innenpolitischen Debatten den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen, entfaltet sich auf der Weltbühne eine äußerst brisante Drohkulisse. Die geopolitische Gemengelage nach dem Kriegsbeginn in Gaza und den Kämpfen am Roten Meer ist so komplex, dass bereits ein einziger falscher Schritt nicht nur eine regionale Eskalation, sondern einen Weltkrieg entfachen könnte. „Die Spannungen im Nahen Osten sind auf dem Höhepunkt […] Wenn wir nicht aufpassen, steht der Dritte Weltkrieg bevor“, warnte der Journalist Kevin O’Sullivan bereits am 10. Januar 2024. In den Kriegen im Nahen Osten geht es um eine strategisch so wichtige Region, dass mehrere Länder jetzt schon von den Auswirkungen fundamental betroffen sind. Die Bedeutung des Roten Meeres für die Weltwirtschaft, insbesondere durch die Meerenge Bab al-Mandab und den Suezkanal, verdeutlicht, warum dieses „Heartland“ eines der geopolitischen Dreh- und Angelpunkte der Welt ist und Konflikte in dieser Region einen Weltkrieg verursachen können.

Die Gefahren für die Schifffahrt

Den Bab al-Mandab passieren etwa zehn Prozent des Welthandels, darunter Lieferungen fossiler Brennstoffe in die EU. 20 Prozent des Öl-Imports und 24 Prozent der Flüssigerdgas-Importe der EU kommen aus dem Persischen Golf über den Bab al-Mandab sowie den Suezkanal vom Mittelmeer aus nach Europa. Folglich handelt es sich um eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Seit den Angriffen der Huthi-Rebellen auf verschiedene Frachtschiffe im Roten Meer haben sechs der zehn größten Containerreedereien angekündigt, den Bab al-Mandab zu meiden. Immer mehr Schiffe wählen nun den Weg über das Kap der Guten Hoffnung um Afrika herum, was die Fahrzeit um 19 bis 31 Tage verlängert. Das zieht nicht nur längere Lieferzeiten nach sich, sondern auch deutlich höhere Kosten.

Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft ist die Zahl der Container, die täglich durch das Rote Meer transportiert werden, von rund 500.000 im November auf rund 200.000 im Dezember abgestürzt. Sie liege damit „66 Prozent unter dem eigentlich zu erwartenden Volumen“. Der Transport eines 40-Fuß-Standardcontainers zwischen China und Europa, der im November noch rund 1500 US-Dollar kostete, kostet mittlerweile etwa 4000 US-Dollar. Die deutschen Importe gingen um 1,8 Prozent, die Exporte um 1,9 Prozent zurück; die Importe der EU sanken um 3,1 Prozent, ihre Exporte um 2,0 Prozent. Vor allem für den Exportstaat Deutschland wiegt das schwer. Es wird erwartet, dass etwa 20 Prozent der gesamten globalen Handelsflotte die längeren Routen zwischen Europa und Asien befahren müssen. Dies führt zu weiteren Verzögerungen bei der Verschiffung und zu noch höheren Kosten in einer weltweiten Kaskade der Inflation für nahezu jedes Produkt. Je länger die Route über das Rote Meer geschlossen bleibt, desto gravierender werden diese Auswirkungen sein und umso wahrscheinlicher wird auch ein Dritter Weltkrieg.

Das Rote Meer ist entscheidend für die wirtschaftliche Stabilität vieler Länder

Nachdem Europa den russischen Öl- und Gasimport aufgegeben hat, ist Katar als das Land mit den zweitgrößten Erdgasreserven der Welt zu einem wichtigen Rohstofflieferanten für Europa aufgestiegen. Der schnellste und kostengünstigste Weg für Katars LNG-Gas verläuft über die Straße von Hormus, den Bab al-Mandab und den Suezkanal. Bereits im Jahr 2018, vor all diesen großen geopolitischen Verschiebungen, wurden schätzungsweise 6,2 Millionen Barrel Rohöl pro Tag durch die Bab-al-Mandab-Straße direkt nach Europa, Asien und Nordamerika befördert, was etwa neun Prozent des weltweit gehandelten Öls ausmachte. Europa bezieht aus der rohstoffreichen Heartland-Region von mehreren Ländern Öl und Gas, darunter Bahrain, Saudi-Arabien, Kuwait, UAE und Irak. Hinzu kommen zahlreiche Waren aus China, die in der Regel ebenfalls über das Rote Meer den Weg nach Europa finden. Diese wichtige Handelsroute beeinflusst aber nicht nur die ökonomische Lage Europas erheblich, auch die arabischen Länder sind auf einen reibungslosen Handelsverkehr im Roten Meer angewiesen.

Saudi-Arabien ist als größter Ölexporteur der Welt stark abhängig vom Roten Meer. Die Ölindustrie macht 40 Prozent seines BIP aus, und in den letzten zehn Jahren wurden 75 Prozent der jährlichen Einnahmen durch Ölexporte erzielt. Da fast alle Ölfelder des Landes im Osten Saudi-Arabiens am Persischen Golf liegen, bedeutet eine Blockade des Bab al-Mandab und eine gleichzeitige Schließung der Straße von Hormus durch den Iran, dass das arabische Öl einmal um ganz Afrika herum transportiert werden müsste, um China zu erreichen – eine Situation, die immense Kosten verursachen würde. Das rigorose Vorgehen der Saudis im Jemen ist daher maßgeblich von diesen geopolitischen Zwängen geprägt.

Auch aus chinesischer Perspektive ist die Meerenge Bab al-Mandab von eminenter Bedeutung, da sie den kürzesten maritimen Exportweg nach Europa darstellt. Chinas Wirtschaft stützt sich im Wesentlichen darauf, enorme Mengen an Energierohstoffen aus den Golfstaaten zu importieren, große Mengen an Industriegütern mit ihnen zu produzieren und diese dann in die größten Verbrauchermärkte der Welt in Nordamerika und Europa zu exportieren. Bei einer Blockade des Bab al-Mandab würden die alternativen Routen über Afrika oder den Pazifik zu erheblichen Preisanstiegen führen.

Das Rote Meer ist somit entscheidend für die wirtschaftliche Stabilität vieler Länder, was zeigt, wie gefährlich dieser Konflikt für die globale Sicherheit werden kann. In Zeiten hoher Inflation könnte eine zusätzliche Krise zu Kurzschlüssen und Überreaktionen führen, die in einem weltweiten Flächenbrand kulminieren könnten. Angesichts der drohenden massiven wirtschaftlichen Einbußen haben die USA die maritime Sicherheitsinitiative „Operation Prosperity“ ins Leben gerufen, an der 20 Nationen beteiligt sind. Wenn so viele Nationen in einem kleinen Meer operieren, liegt es auf der Hand, dass die Situation schnell eskalieren kann; zumal in unmittelbarer Nähe mehrere Weltmächte Militärstützpunkte aufgebaut haben. Im kleinen unscheinbaren Dschibuti unterhalten China, die USA, Frankreich, Japan, Italien, Deutschland, Saudi-Arabien und bald auch Indien und Russland militärische Einrichtungen.

Warum ausgerechnet dort? Viele haben vermutlich noch nicht einmal von diesem kleinen Land gehört. Alles ist Teil des Schachspiels: Dschibuti liegt gegenüber von Jemen auf der anderen Seit der Küste von Bab al-Mandab und ist somit ein geopolitisch äußerst wichtiger Standort. Die Tatsache, dass Dschibuti bei weitem die höchste Pro-Kopf-Konzentration von ausländischen Militärstützpunkten von allen Ländern der Welt hat, unterstreicht die geopolitische Bedeutung der Region. Gleichzeitig verdeutlicht es die akute Gefahr eines größeren Krieges, wenn hoch- und zum Teil sogar atomar gerüstete Länder in einem derart engen Gebiet operieren. Aus diesem Grund mahnte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zur Vorsicht, da der gesamte Nahe und Mittlere Osten „ein Boiler“ sei, der jederzeit „explodieren kann“.

Fast die Hälfte aller Israelis lebt zwischen dem Mittelmeer und der Westbank

Wie explosiv die Lage ist, wird durch einen Blick auf die weiteren Felder des geopolitischen Schachbretts deutlich, allen voran durch einen Blick auf die Länder um Israel herum. Die sogenannte »Achse des Widerstands« unter der Führung Irans spielt dabei eine Schlüsselrolle, da alle Länder im Umfeld von Israel Milizen im Land haben, die mit dem Iran eng verbündet sind. Die genannten Huthi-Rebellen im Jemen stellen dabei aus israelischer Sicht wegen der Entfernung eine vergleichsweise geringere Gefahr dar. In Syrien operieren schiitische Milizen wie die Fatemiyoun und Zainebiyoun direkt an der Grenze zu Israel, insbesondere auf den völkerrechtswidrig besetzten Golanhöhen. Die Hisbollah im Südlibanon ist jedoch die eigentliche Schaltzentrale für den Iran. Mit rund 100.000 Kämpfern und 150.000 Präzisionsraketen ist sie weit besser ausgerüstet als die Hamas. Die fortschrittlicheren Lenkraketen der Hisbollah könnten gezielt gegen die kritische Infrastruktur Israels eingesetzt werden.

Fast die Hälfte aller Israelis lebt zwischen dem Mittelmeer und dem Westjordanland. Das schmalste Gebiet Israels befindet sich im Norden von Tel Aviv, wo es nur neun Meilen Land zwischen dem Westjordanland und dem Mittelmeer gibt. Ein Angriff von dort aus auf dieses ökonomische und industrielle Zentrum hätte für das Land verheerende Auswirkungen. Aus diesem Grund hat Israel den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau im Westjordanland zugelassen und gefördert, der mittlerweile 700.000 Siedler umfasst. Aus geostrategischer Sicht ist es für Israel von entscheidender Bedeutung, dieses Gebiet zu sichern, da andernfalls die Konstellation auf dem Schachbrett zu seinen Ungunsten ausfallen würde.

Erdgas hat Israel neue Fähigkeiten und Kräfte verliehen

Um die Anspannung und das immense Gefahrenpotenzial dieses Krieges zu verstehen, ist es wichtig, einen genaueren Blick auf Israels Industrie zu werfen. Ein beträchtlicher Teil des Landes besteht aus Wüste und ist häufig Dürren ausgesetzt. Israel zählt insgesamt zu den wasserärmsten Ländern der Welt mit geringen Niederschlägen und sehr begrenzten natürlich vorkommenden Süßwasserquellen. Als Reaktion auf diese Herausforderung ist Israel seit langem einer der weltweit führenden Pioniere in der Entsalzungstechnologie, bei der Salzwasser in trinkbares Süßwasser umgewandelt wird. Heute verfügt Israel über fünf Entsalzungsanlagen an der Mittelmeerküste. Diese Anlagen sind einerseits ein technologisches Wunder, das den Israelis ermöglicht hat, ihren geografischen Nachteil zu kompensieren. Andererseits stellt der Einsatz von Entsalzungsanlagen das Land auch vor ein neues Problem. Wenn nämlich die Hisbollah beschließt, eine große Anzahl ihrer Lenkraketen genau auf diese fünf Entsalzungsanlagen zu konzentrieren, könnte dies die gesamte Trinkwasserversorgung Israels zerstören.

Was die Energiesicherheit betrifft, war Israel ebenfalls lange Zeit ein sehr anfälliges Land. Bis zum Jahr 2003 hatte Israel keine andere Wahl, als 96 Prozent seiner gesamten Energie zu importieren. Das Blatt begann sich jedoch in den späten 2000er-Jahren zu wenden, als eine Reihe großer Erdgasfunde im östlichen Mittelmeer direkt vor der israelischen Küste gemacht wurden. In den Jahren 2009 und 2010 entdeckte das kleine amerikanische Energieunternehmen „Noble Energy“ die riesigen Gasfelder Tamar und Leviathan in den israelischen Gewässern. In den darauf folgenden Jahren wurden weitere kleinere Gasfelder entdeckt, sodass Israel nun über Erdgasreserven im Ausmaß von fast 1100 Kubikkilometern verfügt, die zusammen unter die 25 größten Gasreserven der Welt fallen

In den letzten Jahren hat Israels Erdgas dem Land neue Fähigkeiten und Kräfte verliehen, die von der Hisbollah im Südlibanon aufmerksam beobachtet werden. Israel ist besorgt, dass Raketenangriffe auf seine Offshore-Gasplattformen in den Tamar- und Leviathan-Feldern erfolgen könnten. Wenn es der Hisbollah gelänge, die Gasplattformen zu zerstören, hätte dies schwerwiegende Konsequenzen für Israel. 70 Prozent der israelischen Stromversorgung würden sofort unterbrochen, und die Exportmöglichkeiten für Gas wären lahmgelegt.

Durch zusätzliche Raketenangriffe auf wichtige Häfen wie Ashdod, Ashkelon und Eilat könnte Israel zusätzlich blockiert werden. Israel importiert praktisch sein gesamtes Öl aus dem Ausland über Tanker, die auf dem Seeweg ankommen. Das Land verfügt nur über drei Ölimportterminals, über die es Lieferungen nach Haifa, Ashkelon und Eilat bringen kann. Aufgrund des Krieges in Gaza sind die Häfen Israels nun weltweit die drittteuersten für Seeversicherungen.

Möglichkeit einer Bodeninvasion israelischer Truppen im Libanon

Wenn die Hisbollah also vollständig in den Krieg eintritt und Israels Offshore-Gasplattformen sowie Israels Häfen mit Raketen bombardiert, würden Israels ohnehin schon hohen Seeversicherungen weiter in die Höhe schießen. Dies könnte viele Schifffahrtsunternehmen dazu veranlassen, sich zu weigern, weiterhin Geschäfte in israelischen Häfen zu tätigen, was zur Folge hätte, dass Israels Öl- und Lebensmittellieferungen erschwert würden, während gleichzeitig Israels Strom- und Erdgasexporte bedroht wären.

Das umfangreiche Raketenarsenal der Hisbollah gefährdet also Israels Trinkwasserversorgung, Stromversorgung, Ölimporte, Nahrungsmittellieferungen und Erdgasexporte. Zudem könnten sich mögliche zusätzliche Fronten auf den Golanhöhen, im Westjordanland und im Süden am Roten Meer auftun. Aufgrund dieser Gefahren haben die Vereinigten Staaten eine ganze Flugzeugträgerkampfgruppe vor der libanesischen Küste im östlichen Mittelmeer positioniert, um der Hisbollah direkt zu drohen und größere Angriffe zu verhindern.

Israel hat mehrmals gewarnt, dass es im Falle einer Ausweitung der Angriffe durch die Hisbollah im Norden des Libanons massive Vergeltungsmaßnahmen ergreifen und die Hisbollah zusammen mit der Hamas zerstören würde. Es wäre zu erwarten, dass israelische und wahrscheinlich auch amerikanische Kampfflugzeuge den Libanon mit Bomben und Raketen angreifen. Es besteht sogar die Möglichkeit einer erneuten Bodeninvasion israelischer Truppen im Libanon, wie sie bereits in der Vergangenheit stattgefunden hat. Ein solches Szenario könnte den Libanon wahrscheinlich zu einem failed state machen. So weit würde es der Iran aber nicht kommen lassen, da er kein weiteres Irak dulden würde. In einem solchen Szenario wäre ein Weltkrieg womöglich nicht mehr zu verhindern.

Die Wahrscheinlichkeit eines Dritten Weltkriegs

Die israelischen und amerikanischen Angriffe haben bereits alle Verbündeten des Irans unter Beschuss genommen, was die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs des Irans weiter erhöht. Die Situation wird noch brisanter durch weitere geostrategische Überlegungen im Hintergrund dieser Angriffe. Der ehemalige Oberste Alliierte Befehlshaber der Nato, James Stavridis, schlug am 22. November vor, dem Iran schmerzlich klarzumachen, dass, wenn er die Huthi-Piraterie in der Region weiterhin unterstützt, amerikanische Seeoperationen auch die kritischen iranischen Offshore-Öl- und Gasplattformen im Persischen Golf und die eigenen Schifffahrtswege durch die schmale Straße von Hormus bedrohen könnten. Aus diesem Grund wurde eine der amerikanischen Trägerkampfgruppen von der östlichen Mittelmeerküste in der Nähe Israels unmittelbar an die Straße von Hormus vor der südlichen Küste Irans verlegt.

Zum Verständnis: Die Straße von Hormus gilt als einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste choke point der Welt. Etwa ein Drittel der weltweiten Erdölproduktion konzentriert sich um den Persischen Golf. Zusätzlich entfällt ein Fünftel der Erdgasproduktion auf diese Region. Insgesamt stammen etwa 15 Prozent der globalen Energieversorgung aus der Region um den Persischen Golf, vorwiegend hinter der Straße von Hormus. Ergo ist die geostrategische Bedeutung dieser 30 Meilen Wasser immens, da ein beträchtlicher Teil der Energie, die die Menschheit derzeit kollektiv verbraucht, durch diese Meerenge gelangt.
Unter Experten der Geopolitik herrscht weitgehender Konsens darüber, dass ein Konflikt an dieser strategisch bedeutenden Straße eine erhebliche Gefahr birgt und die Wahrscheinlichkeit eines Dritten Weltkriegs eklatant erhöhen würde. Die Lage ist ohnehin schon angespannt, und dann an einem geostrategisch so bedeutenden Ort mit dem Feuer zu spielen, wäre ein fataler Schachzug, der unser aller Leben gefährden würde.

Blockbildungen haben seit jeher die Weichen für große Kriege gestellt

Das Spiel mit dem Feuer wird jedoch wegen der Wichtigkeit der Straße von Hormus auf dem „Grand Chessboard“ in Kauf genommen. Allein die USA betreiben in der Region Dutzende von Stützpunkten, darunter in Oman, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Saudi-Arabien, Bahrain, Kuwait und dem Irak – sieben der acht Länder rund um den Golf, abgesehen vom Iran, sind dabei. Dies umfasst unter anderem einen Luftwaffenstützpunkt in Katar sowie die Fifth Fleet der Vereinigten Staaten mit Hauptsitz in Bahrain. Die Fifth Fleet besteht in der Regel aus mehr als 15.000 Matrosen, zwei Flugzeugträgern, Dutzenden anderer Schiffe und zahlreichen Flugzeugen auf dem Luftwaffenstützpunkt – all dies soll sicherstellen, dass das Öl weiter fließt und dem Einfluss Irans entgegengewirkt wird.

Was bei diesem geopolitischen Schachspiel allerdings nicht sichergestellt wird, sind Friedensbemühungen, weil die Vereinigten Staaten und der Iran seit 40 Jahren keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mehr unterhalten. Statt sich anzunähern, verhärten sich die Fronten, und die Blockbildung schreitet unentwegt voran. Exemplarisch ist hierfür der Staatenbund BRICS plus, der sich offen als Gegengewicht zu den G7-Staaten versteht und anstrebt, den Dollar als globale Leitwährung abzulösen. Derzeit ist BRICS zwar primär ein wirtschaftliches Bündnis, aber es zeichnet sich zunehmend auch eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit ab. Das gemeinsame Seemanöver von China, Russland und Südafrika vor der Küste Südafrikas im Februar 2023 ist ein deutliches Signal dafür.

Solche Blockbildungen haben seit jeher die Weichen für große Kriege gestellt. Wir sollten daher die Zeichen erkennen, bevor es zu spät ist:

„Die gegenwärtigen Umstände der Welt deuten auf einen Weltkrieg hin, der nicht zwischen zwei Nationen geführt werden wird, sondern unter Bildung von Blöcken entsteht. Die Bedrohung des erneuten Ausbruchs eines Weltkriegs nimmt sehr ernsthafte Züge an. Sollte ein Krieg solchen Ausmaßes entstehen, würde dies eine Kettenreaktion der menschlichen Zerstörung auslösen. Die Nachwirkungen einer solchen Katastrophe werden sich bis in die künftigen Generationen auswirken, die entweder behindert oder verkrüppelt geboren werden, […] da in diesem Krieg zweifelsohne nukleare Waffen ihren Einsatz finden.“ (Hadhrat Mirza Masroor Ahamd (aba), Kalif und weltweites Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Jamaat)

Die Gefahr einer nuklearen Eskalation

Die Wissenschaftler des „Bulletin of the Atomic Scientists“ haben bereits 2020 eine eindringliche Warnung ausgesprochen. Erstmals wurde die Atomkriegsuhr auf weniger als zwei Minuten vor Mitternacht gestellt – sprich: Wir standen noch nie so knapp vor einer atomaren Katastrophe. Nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch unter Militärexperten und Politikern wird zunehmend öffentlich eingestanden, wie akut die Gefahr eines Weltkriegs ist. In seiner ersten großen Rede als britischer Verteidigungsminister erklärte Grant Shapps, dass Großbritannien sich in den nächsten fünf Jahren auf einen Krieg mit China, Russland, Iran und Nordkorea vorbereiten solle. Er betonte, dass wir uns „von einer Nachkriegs- in eine Vorkriegswelt“ bewegen würden. Der niederländische Admiral Rob Bauer, der aktuell dem NATO-Militärausschuss vorsteht, warnt, dass sich „die tektonischen Platten der Macht verschieben. Und das Ergebnis: Wir stehen vor der gefährlichsten Welt seit Jahrzehnten.“ Einige sehen dabei offensichtliche Parallelen zur geopolitischen Situation vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Für den ehemaligen Verteidigungsminister Großbritanniens, Tobias Ellwood, „fühlt sich die Welt gerade wie 1939 an“. Dr. David Wearing, Dozent für Internationale Beziehungen an der University of Sussex, geht noch weiter und stellt fest: „In gewisser Hinsicht ist die Situation heute viel gefährlicher als in den Jahren 1914 und 1939, weil alle Großmächte über Atomwaffen verfügen. Die Gefahr besteht nicht darin, dass eine Seite die absichtliche Entscheidung trifft, die Apokalypse auszulösen, sondern vielmehr, dass ein Konflikt oder eine Spannung bis zu einem Punkt eskaliert, an dem eine Partei einen Schritt macht, den eine andere Partei falsch interpretiert, und dann beginnt ein nuklearer Schlagabtausch, ohne dass dies beabsichtigt war.“

Wir scheinen nicht aus der Geschichte zu lernen

Denken wir zurück an die Kubakrise von 1962. Der sowjetische Offizier Wassili Archipow erhält den Befehl, Atombomben auf amerikanische Schiffe abzuwerfen. Obwohl Offiziere auf Gehorsam trainiert sind, verweigert Archipow den Befehl und rettet die Welt vor einer atomaren Katastrophe. Heute, 60 Jahre später, besitzen mehrere Länder noch weit mächtigere Atomwaffen. Dennoch scheinen viele zuversichtlich zu sein, dass wir niemals wieder den Einsatz von Atomwaffen in Betracht ziehen, wie es 1962 der Fall war. Es ist naiv anzunehmen, dass aktuelle Kriege unbeirrt fortgeführt werden können, in der Hoffnung, dass im letzten Moment jemand so besonnen wie Archipow handeln würde. Anstatt das Schicksal der Welt dem Zufall zu überlassen, sollten wir alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um eine Situation wie die im Jahr 1962 zu verhindern, als wir an der Schwelle zum Dritten Weltkrieg standen.

Aufgrund der anhaltenden Kriege ist die erste unausweichliche Maßnahme, entschieden für einen vollumfänglichen Waffenstillstand einzutreten und die weltweite Kriegsführung zu stoppen. „Es ist inzwischen weithin bekannt, dass zur Deeskalation erforderlich ist, dass die USA dem israelischen Angriff auf Gaza den Stecker ziehen. Die sinnlose und gefährliche Militäraktion gegen die Huthis ist ein Spiegelbild der Weigerung Washingtons, diese Realität zu akzeptieren“, resümiert Dr. Wearing.

Der Glaube, moderne Konflikte durch militärische Mittel lösen zu können, wird durch die Misserfolge vergangener Militäroperationen eigentlich widerlegt. Dennoch scheinen wir nicht aus der Geschichte zu lernen. Die Entstehung der Hamas nach Israels militärischer Auseinandersetzung mit der Fatah, die Bildung der Hisbollah nach Israels militärischer Intervention im Libanon und die Entstehung des IS nach der Militäraktion der USA im Irak sind nur einige Beispiele. Wenn Israel weiterhin rücksichtslos unschuldige Palästinenser tötet, könnte dies die Gefahr einer neuen und weitaus größeren Bedrohung heraufbeschwören. Frankreichs Präsident Macron hat es auf den Punkt gebracht: „Was ist die vollständige Zerstörung der Hamas, und glaubt irgendjemand, dass das möglich ist? Wenn ja, wird der Krieg zehn Jahre lang dauern.“

Man rühmt sich als Demokraten

Die arabischen Länder werden keineswegs zehn Jahre lang die Massenbombardierung durch die israelische Regierung hinnehmen, und der Iran noch viel weniger. Die geopolitischen und ökonomischen Spannungen sind jetzt schon so enorm, dass jederzeit ein Weltkrieg ausbrechen könnte. Ähnlich wie beim Ersten Weltkrieg, der durch die Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand ausgelöst wurde, könnte auch heute eine einzige falsche Aktion das Fass zum Überlaufen bringen.

Weltweit müssen Regierungen endlich erkennen, dass dieses Schachspiel nicht gewonnen werden kann. Geblendet von den Profiten der Waffenindustrie und dem Glauben an vermeintliche militärische Überlegenheit merken sie nicht, dass sie sich selbst ins eigene Schachmatt manövrieren. Einerseits wird Geld für humanitäre Hilfe nach Gaza geschickt, andererseits werden mehrere hundert Milliarden Dollar für Waffen an Israel bereitgestellt. Dieser Krieg zeugt von einer unübertroffenen Bigotterie: Wasser predigen und Wein trinken.

Man rühmt sich als Demokraten und Verteidiger der Menschenrechte, bricht jedoch gleichzeitig unentwegt das Völkerrecht, wie bei den aktuellen Angriffen der USA auf Syrien und den Irak. Solange Recht und Gesetz den Regierungen als Spielball dienen, wird es keinen Frieden geben. Das Vetorecht der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates widerspricht von Grund auf dem Gedanken der Gleichheit der Völker und der Demokratie. Sobald friedliche Einigungen in Sicht sind, wird durch das Veto jeder Erfolg zunichte gemacht. Recht und Gesetz werden derart instrumentalisiert, dass angesichts von Rückschlägen beim Internationalen Strafgerichtshof erwogen wird, eigene Rechtsstrukturen zu etablieren, wobei 40 westliche Staaten mit der Einrichtung eines Sondertribunals liebäugeln.

Wie lange wollen wir ohnmächtig diesem Spiel um Macht und Interessen zuschauen? Wie lange wollen wir uns als Schachfiguren untätig dieser Willkür aussetzen? Wir müssen dieses Schachspiel verstehen, uns davon befreien, die großen Gefahren thematisieren und uns für Frieden zusammenschließen. Der Appell von Hadhrat Mirza Masroor Ahmad (aba), dem weltweiten Oberhaupt und spirituellen Kalifen der Ahmadiyya Muslim Jamaat, weist den Weg und ist das Gebot der Stunde:

„Heute herrscht in der Welt die große Notwendigkeit, dass Menschen aller Religionen und auch diejenigen, die nicht an Religion glauben, zusammenkommen. Es ist dringend erforderlich, dass sich Menschen aller Herkünfte, Nationalitäten und Ethnien zu einem gemeinsamen Ziel vereinen, um die Welt vor der Zerstörung zu bewahren. Alle friedliebenden Menschen müssen sich zusammenschließen, um alle Formen von Gräueltaten, wo immer sie auftreten mögen, zu stoppen. Jeder sollte alle Feindseligkeiten, Hass und Bosheit aus seinem Herzen entfernen, sonst werden sich solche Feindgefühle entflammen und die Zerstörung dieser Welt verursachen. Die Zeichen eines Weltkrieges erscheinen immer deutlicher am Horizont, und es gibt nur einen Weg, um uns vor den verheerenden Folgen zu bewahren, nämlich den Einen Gott, der mitfühlend für Seine Schöpfung ist, um Seine Gnade zu bitten.“

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zum Autor:
Scharjil Khalid ist 29 Jahre alt und hat am ersten Imam-Institut Deutschlands – der Jamia Ahmadiyya – islamische Theologie studiert. Seit 2021 ist er als Imam in Berlin und in der Öffentlichkeitsarbeit der islamischen Reformgemeinde Ahmadiyya Muslim Jamaat tätig.

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