Aktuelle und soziale Themen

Einblicke in den Corona-Alltag von Ahmadi-Muslimen

von Muhammad Baraq Mushtaq

»Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.«1 Diese Worte der Bundeskanzlerin lassen schon vermuten, dass wir aktuell eine außergewöhnliche Zeit durchleben.

Die rasche Ausbreitung des Coronavirus hat unser Leben in beispielloser Art verändert. Weite Teile der Welt wurden durch die rasante Ausbreitung der Corona-Pandemie und entsprechend drastischen Gegenmaßnahmen getroffen: Von Hygienemaßnahmen über Social-Distancing bis hin zum Lockdown. Maßnahmen, die unseren Lebensalltag auf den Kopf stellen.

Wir haben unsere Leserschaft zu Eindrücken und Erfahrungen inmitten der Corona-Pandemie befragt. In einer Kurzinterviewreihe stellen wir Perspektiven unterschiedlicher Leser dar. Lesen Sie unter Anderem wie der Lebensalltag eines jungen Imam und eines Schullehrers in Zeiten von Corona und Ausgangsbeschränkungen aussieht.

In unserem ersten Kurzinterview hören wir von Herrn Shaheen, der innerhalb der Gemeinde eine Vielzahl an Aufgaben wahrnimmt und dabei das Gemeindeleben entscheidend mitprägt.

Herr Shaheen, können Sie sich unseren Lesern kurz vorstellen?
Mein Name ist Imtiaz Ahmad Shaheen. Ich bin in Hamburg geboren und aufgewachsen. Nach meinem Abitur habe ich ein siebenjähriges Studium in der Jamia Ahmadiyya, dem Institut für »Moderne Sprachen und Theologie«, in Großbritannien absolviert. Nach einigen Praxiswochen in Spanien und Pakistan bin ich von der Gemeinde als Imam und islamischer Theologe in Deutschland eingesetzt worden. Zunächst war ich für 2,5 Jahre für die Region Baden zuständig und mittlerweile lebe ich seit 2,5 Jahren in Frankfurt am Main und diene dort als Imam.

Wie erleben Sie die momentane Situation und wie gehen Sie mit ihr um?
Meine Aufgabenbereiche lassen sich in zwei teilen. Zum einen bin ich für meine Moscheegemeinde zuständig, leite die Gebete und halte die Predigten, bin als Seelsorger und Ansprechperson für die Gemeindemitglieder zuständig, halte Klassen und Treffen religiöser Bildung und Erziehung für die Gemeindemitglieder ab. Es ist momentan eine ganz neue und ungewohnte Situation, die Moschee so leer zu sehen, die Gemeindemitglieder nicht mehr zu den täglichen Gebeten zu treffen und die Familien nicht besuchen zu können. 

Der andere Aufgabenbereich bezieht sich auf die interreligiösen Veranstaltungen und Treffen, die ebenfalls momentan nicht möglich sind. Erst vor wenigen Wochen, also vor all diesen Beschränkungen, hatte ich die Initiative „Kaffee & Islam“ gestartet und mehrere solcher Treffen mit nichtmuslimischen Menschen und Gruppen gehabt. Zuletzt hatte ich 30 Nachbarn für eine Moscheebesichtigung und zum Gespräch bei Kaffee und Kuchen in die Nuur-Moschee eingeladen.

Inwieweit hat sich ihr Lebensalltag als Imam verändert, was machen Sie zurzeit anders?
Ich erachte die neuen Technologien als einen großen Segen Gottes. Trotz der Umstände ist es mir möglich, den Kontakt zu allen Gemeindemitgliedern aufrechtzuerhalten, sich mit ihnen auszutauschen, die Klassen und Treffen mit den Jugendlichen in die digitale Welt zu verlegen. Nach wie vor bin ich als Imam für alle Gemeindemitglieder erreichbar. Es wird nach wie vor fünf mal täglich der Gebetsruf in der Moschee ausgerufen, wobei alle Gemeindemitglieder ihre Gebete jeweils zuhause mit ihren Familien verrichten. 

Ebenso versuche ich die Arbeit des interreligiösen Dialogs digital fortzusetzen und die Gelegenheit zu nutzen, um Nachbarschaftshilfe, was eine Selbstverständlichkeit im Islam ist, zu leisten. So habe ich sowohl persönlich, als auch als Moscheegemeinde über verschiedene Plattformen Nachbarschaftshilfe angeboten, die mit großer Dankbarkeit angenommen wird. 

Am Freitag, den 27. März 2020 hielt das geistige Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Jamaat, Hadhrat Mirza Masroor AhmadABA eine historische Ansprache an die Mitglieder seiner Gemeinde. Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen infolge des Coronavirus hielt Seine Heiligkeit an diesem Tag nicht die Freitagsansprache und leitete auch nicht das Freitagsgebet. Seine Heiligkeit wandte sich jedoch mit einer Live-Botschaft von seinem Büro in Islamabad in Tilford, Großbritannien, an die Gemeindemitglieder weltweit. 

Können Sie Ihre Eindrücke zu dieser historischen Ansprache Seiner HeiligkeitABA teilen?
Es ist immer wieder ein großer Anlass der Dankbarkeit gegenüber Gott, zu wissen, dass wir mit dem Khalifen ein spirituelles Oberhaupt haben, das uns in jeder Situation rechtleitet und alle Gemeindemitglieder weltweit sich stets geborgen und in Sicherheit fühlen. Seine Heiligkeit machte uns gemäß den islamischen Lehren darauf aufmerksam, dass wir uns an die Anweisungen und Maßnahmen der jeweiligen Regierung halten sollten. Damit wird in Praxis die Liebe und Loyalität zum Heimatland gezeigt und gestärkt. Ebenso wies Seine Heiligkeit uns an, für unsere Mitmenschen da zu sein und zu helfen, wo wir nur können. Das wurde umgehend von den Jugendlichen unserer Gemeinde umgesetzt und eine weitläufige Nachbarschaftshilfe organisiert. Zudem erinnerte Seine Heiligkeit uns wieder daran, dass die stärkste Waffe gegen all diese Schwierigkeiten das Gebet an den allmächtigen Gott ist, der die Macht über alles hat und der wahre Helfer und Heiler ist.

Möchten Sie der Leserschaft der Revue noch etwas mitteilen?
Wir sollten alle versuchen, aus diesen Zeiten von Schwierigkeit und Herausforderung als bessere Menschen herauszukommen. Nur dann haben wir aus dieser Situation etwas gelernt. Dazu gehört zum einen, dass wir über unser Dasein nachdenken und uns die Frage stellen, warum Gott uns eigentlich erschaffen hat. Soll unsere Existenz nur darin begründet liegen, unseren körperlichen Bedürfnissen nachzugehen und irgendwann dahinzuscheiden? Wir sollten nicht vergessen, dass wir für eine kurze Zeit in dieser Welt leben und danach wieder zu unserem Schöpfer zurückkehren werden. Ich wünsche mir, dass wir alle in der Bindung zu unserem Schöpfer, sowie in der Erfüllung der Menschenrechte und der zwischenmenschlichen Liebe stärker aus dieser Zeit herauskommen und vor allem diese wertvollen Erkenntnisse lebenslang beibehalten.

Weitere Beiträge zu dieser Reihe folgen in den kommenden Tagen. Verpassen Sie keine Inhalte und Beiträge und folgen Sie uns über unsere Social Media Kanäle bei Twitter, Facebook & Instagram: @revuereligionen

Haben auch Sie Eindrücke und Erfahrungen in dieser herausfordernden Zeit, dann teilen Sie diese gerne mit unseren Lesern. Schicken Sie uns Ihre Eindrücke oder auch gerne Feedback an: redaktion@revuederreligionen.de

1 https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/ansprache-der-kanzlerin-1732108

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