»O die ihr glaubt! Fasten ist euch vorgeschrieben, wie es denen vor euch vorgeschrieben war, auf dass ihr gottesfürchtig werdet.« (Der Heilige Qur’an 2:184)
In vielen Weltreligionen gibt es das Fasten in der einen oder anderen Form. Die Revue der Religionen präsentiert eine Interviewreihe über das Fasten in verschiedenen Religionen. Die in diesen Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Ansichten entsprechen denen der befragten Personen. Wir sind ihnen für die wertvollen Erkenntnisse sehr dankbar.
Malvika Acharya ist eine britische Hindu, die in London geboren und hauptsächlich in Lancashire aufgewachsen ist. Sie unterrichtet seit über 20 Jahren an verschiedenen Schulen und Colleges. Ihr Spezialgebiet ist der dharmische Glaube, aber sie hat eine Leidenschaft für alles, was mit Religionsunterricht und Philosophie zu tun hat.
Können Sie einen Überblick über den Hindu-Glauben geben?
Der Hindu-Dharma ist eine komplexe und vielschichtige Religion. Sie umfasst ein breites Spektrum an Praktiken, kulturellen Lebensstilen und Glaubensvorstellungen. Im Wesentlichen handelt es sich um eine pluralistische Glaubenstradition, die oft missverstanden und fälschlicherweise als polytheistische Religion dargestellt worden ist. Das Heimatland der hinduistischen Religion ist Indien und es ist zum Teil der großen geografischen Vielfalt Indiens zu verdanken, dass wir diese Vielfalt an religiösen und kulturellen Traditionen vorfinden. Während es viele hinduistische Feste und religiöse Bräuche gibt, die landesweit verbreitet sind, wie z. B. das Diwali-Fest, gibt es einige Praktiken, die auf Nord- oder Südindien beschränkt sind, wie z. B. die Tradition des Fastens und das Zelebrieren bestimmter Feste.
Diese Unterschiede lassen sich zunächst am äußeren Stil der Mandirs (Tempel) erkennen. Die zentralen architektonischen Merkmale sind universell und beruhen auf den Überlieferungen des Ayurveda (der alten indischen »Wissenschaft vom Leben«). Wer in den Norden Indiens reist, wird mit einer erstaunlichen Anzahl von turmartigen Strukturen konfrontiert, die als Sikharas bekannt sind und aus Marmor oder goldenem Stein gehauen werden, die einfach oder kompliziert geschnitzt sein können. Im Süden werden diese Strukturen als Vimanas bezeichnet und sind mit einer Vielzahl von farbenfrohen Schnitzereien mit einer Reihe von schillernden Bildern bedeckt.
Wird das Fasten in Ihrer Religion praktiziert und hat es einen bestimmten Namen?
Das Fasten, bekannt als Vrata, nimmt aufgrund der komplexen Vielschichtigkeit des hinduistischen Dharma viele Formen an. Vrata ist ein Sanskrit-Wort und bedeutet »Gelübde, Entschluss, Hingabe«.
Welchen Ursprung hat das Fasten in Ihrem Glauben?
Das dem Fasten zugrunde liegende Prinzip ist im Ayurveda zu finden. Dieses alte indische Medizinsystem sieht die Hauptursache vieler Krankheiten in der Ansammlung von Giftstoffen im Verdauungssystem. Eine regelmäßige Reinigung von Giftstoffen hält den Menschen gesund. Beim Fasten kommen die Verdauungsorgane zur Ruhe und alle Körperfunktionen werden gereinigt und optimiert. Ein vollständiges Fasten ist gut für die Gesundheit und die gelegentliche Einnahme von warmem Zitronensaft während der Fastenzeit verhindert Blähungen.
Gibt es irgendwelche Regeln für das Fasten?
Fasten ist ein fester Bestandteil der Hindu-Religion. Es gibt verschiedene Arten des Fastens, die sich nach dem persönlichen Glauben und den örtlichen Bräuchen richten. Einige Beispiele dafür wären:
– Einige Hindus fasten an bestimmten Tagen im Monat wie Ekadasi (11. Mondtag des Monats) oder Purnima (Vollmondtag).
– Auch bestimmte Wochentage werden je nach Glaubensrichtung und Lieblingsgottheit für das Fasten genutzt. Zum Beispiel der Montag zu Ehren der Gottheit Shiva, der Dienstag zu Ehren der Gottheit Hanuman, der Mittwoch zu Ehren der Gottheit Krishna, der Donnerstag zu Ehren der Gottheit Vishnu und der Freitag zu Ehren der Muttergöttin, der Samstag zu Ehren der Gottheit Shani und der Sonntag zu Ehren der Gottheit Surya. An diesen Tagen nehmen die Gläubigen nur eine einfache Mahlzeit zu sich und zwar am Ende des Fastens. Viele Fastende beschränken sich an diesen Tagen auf den Verzehr bestimmter Dinge, wie z. B. Eier, Zwiebeln und Knoblauch.
– Das Fasten am Donnerstag ist bei den Hindus in Nordindien sehr verbreitet.
– Fasten während religiöser Feste ist ebenfalls sehr verbreitet. Gängige Beispiele sind Maha Shivaratri oder die neun Tage von Navratri (das nach dem hinduistischen Kalender zweimal im Jahr in den Monaten April und Oktober/November während Vijayadashami kurz vor Diwali stattfindet). Karwa Chauth ist eine Form des Fastens, die es nur im nördlichen Teil Indiens gibt und bei der verheiratete Frauen für das Wohlergehen und die Gesundheit ihrer Ehemänner fasten. Das Fasten wird gebrochen, nachdem die Frau den Mond gesehen hat.
Auch die Methoden des Fastens sind sehr unterschiedlich und decken ein breites Spektrum ab. Bei strikter Befolgung nimmt der Fastende vom Sonnenuntergang des Vortages bis 48 Minuten nach Sonnenaufgang des folgenden Tages keine Nahrung oder Wasser zu sich. Fasten kann auch bedeuten, sich auf eine Mahlzeit am Tag zu beschränken und/oder auf bestimmte Nahrungsmittel zu verzichten und/oder nur bestimmte Nahrungsmittel zu konsumieren. In jedem Fall darf der fastende Hindu, auch wenn er kein Vegetarier ist, an einem Fastentag keine tierischen Produkte (d. h. Fleisch, Eier) essen oder auch nur berühren.
Fasten ist eine Frage des persönlichen Glaubens und es gibt keine Vorschrift, welche die Gläubigen zum Fasten verpflichtet. Es gibt Ausnahmen vom Fasten, z. B. für Menschen, die an bestimmten Krankheiten leiden, z. B. Diabetes oder Krebs, für jüngere oder ältere Menschen und für Schwangere.
Warum fasten Sie?
Ich faste nur während Karwa Chauth – für die Lebenskraft meines Mannes. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens habe ich Diabetes und zweitens glaube ich nicht, dass man fasten muss, um seinen Glauben an ein göttliches Wesen zu beweisen. Ich persönlich bin der Meinung, dass man auf seine Handlungen im Laufe der Zeit achten sollte.
Karwa Chauth wird vor allem in Nordindien gefeiert und das Fasten kann erst gebrochen werden, wenn der Mond gesichtet wurde und die traditionellen Puja- (Anbetungs-) Opfergaben dargebracht wurden.
Einer der Hauptgründe für dieses Fest ist mit dem Brauch der arrangierten Heirat verbunden. Traditionell verließen frisch verheiratete Bräute ihr Elternhaus, um bei ihrem Ehemann und den Schwiegereltern zu wohnen. Ein paar Tage vor diesem Fastentag reisten die Bräute zurück in ihr Elternhaus, um die Zeit mit ihren Eltern zu verbringen und für den Segen ihrer Ehemänner zu beten.
Einige Tage vor Karwa Chauth kauften die verheirateten Frauen neue Karwas (kugelförmige Tontöpfe) mit einem Durchmesser von 7 bis 9″ und einem Fassungsvermögen von 2 bis 3 Litern und bemalten sie von außen mit schönen Mustern. In das Innere legten sie Armreifen und Bänder, selbstgemachte Süßigkeiten, Schminkutensilien und kleine Kleidungsstücke. Am Tag von Karwa Chauth besuchen sich die Frauen dann gegenseitig und tauschen diese Karwas aus.
Am Fastentag gehen viele Frauen zu ihrem örtlichen Mandir oder sie nehmen an den folgenden Aktivitäten zu Hause teil:
Die Frauen kleiden sich mit ihrer schönen Kleidung, ihrem Schmuck und Henna. Dabei kann es sich um ihr Hochzeitskleid oder um andere farbenfrohe Kleidung wie Rot, Gold oder Orange handeln, da helle Farben verheißungsvoll gelten. Die Fastenden sitzen mit ihren puja thalis (Gebetsteller) im Kreis. Je nach Region und Gemeinde wird eine Version der Geschichte von Karwa Chauth erzählt, mit regelmäßigen Pausen. Die Erzählerin ist meist eine ältere Frau. Das Karwa-Chauth-Puja-Lied wird gemeinsam gesungen, die Sängerinnen und Sänger führen feris aus (sie reichen ihre thalis im Kreis herum).
Eine übliche erzählte Geschichte ist das Märchen von Veervati. Eine schöne Königin namens Veervati war die einzige Schwester von sieben liebenden Brüdern. Sie verbrachte ihr erstes Karwa Chauth als verheiratete Frau im Haus ihrer Eltern. Nach Sonnenaufgang begann sie ein strenges Fasten, aber am Abend wartete sie verzweifelt auf den Mondaufgang, da sie großen Durst und Hunger hatte. Ihre sieben Brüder konnten es nicht ertragen, ihre Schwester in solcher Not zu sehen und bastelten in einem Pipal-Baum einen Spiegel, der es so aussehen ließ, als sei der Mond aufgegangen. Die Schwester verwechselte ihn mit dem Mond und brach ihr Fasten. Kaum hatte sie den ersten Bissen zu sich genommen, musste sie niesen. In ihrem zweiten Bissen fand sie Haare. Nach dem dritten Bissen erfuhr sie, dass ihr Mann, der König, tot war. Mit gebrochenem Herzen weinte sie die ganze Nacht hindurch, bis ihre Shakti eine Göttin dazu zwang, zu erscheinen und sie zu fragen, warum sie weinte. Als die Königin ihren Kummer schilderte, enthüllte die Göttin, wie sie von ihren Brüdern getäuscht worden war und wies sie an, das Karwa Chauth-Fasten mit voller Hingabe zu wiederholen. Als Veervati das Fasten wiederholte, war Yama gezwungen, ihren Mann wieder zum Leben zu erwecken.
Danach bringen die Fastenden den Gottheiten baayna (eine Mischung aus frisch gekochten Leckereien) dar und übergeben sie dann ihrer Schwiegermutter oder Schwägerin.
Nach Abschluss der Fera-Zeremonie warten die Frauen auf den Mondaufgang. Sobald der Mond sichtbar ist, ist es je nach Region und Gemeinde üblich, dass die fastende Frau den Mond betrachtet. Dem Mond (Chandra, der Mondgottheit) wird Wasser dargeboten (arka), um sich seinen Segen zu sichern. In einigen Regionen spricht die Frau ein kurzes Gebet, in dem sie um das Leben ihres Mannes bittet. Man glaubt, dass die Frau in diesem Moment, geistig gestärkt durch ihr Fasten, dem Tod (personifiziert durch Yama) erfolgreich entgegentreten und ihn besiegen kann. Der Ehemann nimmt dann das Wasser aus dem thali und bietet es seiner Frau an; mit dem ersten Schluck Wasser am Tag ist das Fasten nun gebrochen und die Frau kann eine vollständige Mahlzeit zu sich nehmen.
Wann fasten Sie?
Einmal im Jahr, normalerweise im Oktober/November – der hinduistische Kalender basiert auf den Mondphasen, daher ändern sich die Daten der Feste jedes Jahr.
Was sind die Vorteile des Fastens und welche Herausforderungen gibt es?
Die Vorteile des Fastens liegen in der Selbstbeherrschung und darin, dass man sich in die Nöte anderer hineinversetzen kann, mit denen sie oft konfrontiert sind. Außerdem kann man sich so auf seinen Geist konzentrieren. Die Herausforderung besteht darin, dass es sich auf den Blutzuckerspiegel auswirken kann und ich daher in verschiedenen Abständen eine Pause einlegen muss.
Gibt es noch andere Aspekte des Fastens, die Sie unbedingt erwähnen möchten?
Es ist wichtig, daran zu denken, dass die hinduistische Religion sehr facettenreich ist und dass die Gläubigen das Fasten auf unterschiedliche Weise durchführen und an verschiedenen Tagen fasten oder auch nicht.
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