Fasten ist eine der fünf Säulen des Islam. Es ist eine der fünf Handlungen, die für alle Muslime verpflichtend sind. Aus dem Heiligen Qur’an geht hervor, dass das Fasten auch anderen Religionen vorgeschrieben wurde. Das islamische Fasten hat sowohl auf den Geist als auch auf den menschlichen Körper eine Wirkung.
Danyyal Azher Tariq von Die Revue der Religionen sprach mit Wajahat Waraich über die gesundheitlichen Aspekte des Fastens. Er ist zur Zeit als Assistenzarzt in der Kardiologie in Bad Nauheim tätig. Zudem ist er ehrenamtlich als Vice Chairman Humanity First aktiv.
Danyyal A. Tariq: Vorab eine grundsätzliche Frage, ob die Religion mit der Wissenschaft überhaupt vereinbar ist?
Wajahat Waraich: Es ist tatsächlich interessant, dass das Fasten nicht nur im Islam verankert ist, sondern auch in anderen Religionen vorkommt. Das Fasten ist im Heiligen Qur’an vorgeschrieben und die Frage ist, ob die Religion generell mit der Wissenschaft vereinbar ist oder nicht. Hierzu muss ich Ihnen sagen, meine Recherche und die von vielen anderen hat ergeben, dass der Qur’an eine Fülle wissenschaftlicher Erkenntnisse aufweist. Ich möchte einige Beispiele nennen: Als Mediziner interessiert es uns am meisten über die Entwicklungsstadien des menschlichen Lebens zu erfahren. Diese sind im Heiligen Qur’an ganz genau beschrieben und das zu einer Zeit, wo man kein Mikroskop hatte, wo man nicht mit Ultraschall und anderen Techniken sich das genauer anschauen konnte. Genauso wird die Big Bang Theorie im Heiligen Qur’an erwähnt. Wasser als Grundlage des Lebens ist darin beschrieben und es gibt viele weitere Beispiele. Das im Heiligen Qur’an erwähnte Fasten hat auch eine wissenschaftliche Basis. Das Fasten bringt neben spirituellen Vorteilen auch viele gesundheitliche Vorteile mit sich.
Danyyal A. Tariq: Gibt es medizinische Studien zum Fasten?
Wajahat Waraich: Ja, ich habe mir einige Studien angeschaut und werde auch einige Studienergebnisse präsentieren. In der Medizin bzw. in der Wissenschaft ist es generell so, dass man sich die Studienlage zu etwas heranzieht, um zu schauen, ob es evidenzbasiert ist oder nicht. Tatsächlich habe ich eine Studie gefunden, die sich mit den Effekten von intermittierenden Fasten beschäftigt hat und welche Auswirkungen es auf Gesundheit, Alter und Erkrankungen hat. Die Studie wurde in einem hochrangigen Journal – New England Journal of Medicine – veröffentlicht, bei dem es sich um ein anerkanntes Journal handelt, was medizinische Erkenntnisse betrifft. Man hat sich tatsächlich angeschaut, wie es denn ist, wenn man sechs Stunden nur isst und 18 Stunden fastet. Zudem hat man geschaut, welche Auswirkungen das Fasten auf das metabolische System etc. hat. Dabei hat man festgestellt, das mehr Ketone als Energielieferant verbraucht werden, weil Glucose entsprechend verbraucht wird. Man hat gesehen, dass der Körper stressresistenter wird, man hat in den Ergebnissen gesehen, dass man länger lebt, wenn man intermittierend fastet. Man hat gesehen, dass die Häufigkeit von verschiedenen Erkrankungen auch abnimmt, z. B. Krebs, Fettleibigkeit und andere Erkrankungen.
Andere Studien, die ich mir angeschaut habe, sind Tierstudien. Dort hat man gesehen, dass das Fasten auch chronische Krankheiten generell vorbeugt, dazu zählt Diabetes, die Herz-Kreislauf-Krankheiten, neurologische Erkrankungen und auch Krebs. Diese treten generell weniger häufig auf und teilweise können diese auch vermieden werden. Das Fasten hat letztendlich eine protektive oder prophylaktische Wirkung. Eine erstaunliche Erkenntnis, die ich auch teilen würde, ist, dass man sagt, dass man sich beim Fasten nicht so gut konzentrieren könnte oder man keine Energie für irgendetwas hat. Erstaunlicherweise hat man gesehen, dass das Fasten positive Effekte auf die Gehirnfunktion hat. Ich würde sagen, dass man sich viel besser konzentrieren kann. Wie ist es bei Ihnen? Können Sie sich mit einem vollen Magen konzentrieren oder geht es besser, wenn der Magen leer ist?
Danyyal A. Tariq: Meine Erfahrung zeigt, dass man sich besser konzentrieren kann, wenn der Magen leer ist.
Wajahat Waraich: In der Medizin spricht man von einer postprandialen Müdigkeit nach dem Essen. In den Studien wird auch das Prinzip der Autophagie aufgeführt, wofür ein japanischer Wissenschaftler 2016 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Autophagie heißt letztendlich, dass der Körper selbst Zellen oder Zellbestandteile wieder abbaut, um daraus wieder neue aufzubauen. Man hat festgestellt, dass Zellen, die dem Körper schaden können, entsprechend abgebaut werden. Das wirkt sich positiv aus, dass bestimmte Krankheiten nicht entwickelt werden, dass auch Krebszellen eingedämmt werden. Dieser Autophagie Prozess wird gesteigert durch das Fasten. Dieser Prozess tritt unter anderem nach einer bestimmten Zeit nach dem Fasten auf, nachdem man mehrere Stunden gefastet hat. Somit bringt das Fasten einen zusätzlichen Effekt mit sich. In anderen Studien hat man festgestellt, dass das Fasten bei Gelenkerkrankungen, Rheuma-Erkrankungen und Entzündungen eine positive Wirkung hatte. Hierbei spielt wiederum diese Autophagie eine Rolle.
Danyyal A. Tariq: Zusammenfassend kann man sagen, dass Fasten viele Vorteile hat und dass gewisse Krankheiten, wie Krebs vorgebeugt werden können. Zudem kann man sich besser konzentrieren, wenn man sich in einer Lernphase befindet. Diese Erfahrung habe ich tatsächlich bei meiner Bachelorarbeit-Phase gemacht und versucht auch zwischenzeitlich zu fasten und da habe ich mich tatsächlich besser konzentrieren können. Welche Ernährungstipps können Sie uns für das Fasten geben und worauf sollte man denn achten?
Wajahat Waraich: Ich denke, dass das Fasten schon eine Challenge ist. Es gibt ja verschiedene Formen des Fastens. Allerdings zeichnet sich das islamische Fasten darin aus, dass man auch nichts trinkt. Es ist tatsächlich ganz wichtig, dass man darauf achtet nicht nur Nahrung zu sich zu nehmen, sondern essentiell ist es auch, dass man auch darauf achtet, genug Wasser zu trinken. Vor allem als Flüssigkeit sollte man Wasser trinken, andere Getränke haben entsprechend Nachteile, die wiederum auch Durst auslösen können. Bei richtigem Durst hilft eigentlich nur Wasser. Da können wir nicht sagen, dass durch Cola der Durst längerfristig weg wäre. Es wäre schon wichtig, dass man am Morgen, bevor man fastet und am Abend, wenn man das Fasten bricht, entsprechend 1-1,5 Liter zu sich nimmt, sodass man seine 2-3 Liter am Tag wieder schafft. Beim Essen sollte man ganz normal, wie wenn man auch nicht fastet, auf eine ausgewogene Ernährung achten – dazu gehören Kohlenhydrate, Proteine, Ballaststoffe. Ein Stichwort, was es gut verdeutlicht, ist eat colours, d.h, dass alles mit Farbe, wie Gemüse, Obst etc. sollte man natürlich auch zu sich nehmen. Man wird auch mit sportlicher Aktivität konfrontiert. Sie fasten ja auch und haben heute Sport gemacht. Vielleicht können Sie davon berichten.
Danyyal A. Tariq: Ich hatte heute ein Fußballspiel gehabt. Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass es heute anstrengend war. Es waren einschließlich Nachspielzeit ca. 96 Min. Vielleicht können Sie das aus ärztlicher Sicht beurteilen.
Wajahat Waraich: Natürlich ist es anstrengend im Monat Ramadan Sport zu treiben. Daher sollte man sportliche Aktivitäten entweder nach Fastenbeginn oder vor dem Fastenbrechen verlegen. Wenn man kurz vor dem Fastenbrechen Sport treibt, dann weiß man, dass man gleich etwas trinken und essen kann, weil der Körper auch Nährstoffe braucht und vor allem auch Flüssigkeit nach einer langen Bewegungszeit. Man ist angehalten darauf Acht zu nehmen, denn wenn man das nicht gewohnt ist, dann kann es schon sehr anstrengend sein. Es sollte aber nicht so sein, dass man nicht aktiv ist, wenn man fastet. Man sollte ganz normal arbeiten und Sport treiben, denn der Körper ist sehr anpassungsfähig. Man macht selbst die Erfahrung, dass die ersten Fastentage für einem anstrengend sein können. Aber der Körper passt sich mit der Zeit diesen Umständen an und kann sich entsprechend besser vorbereiten auf solche Situationen. Wenn man regelmäßig Sport treibt und dabei nicht so sehr übertreibt, dann ist das überhaupt kein Problem. Es kann aber hin und wieder – wie Sie berichtet haben – etwas anstrengend sein.
Danyyal A. Tariq: Hat es auch einen psychologischen Aspekt, wenn man z.B. beim Mannschaftssport alle anderen Wasser trinken sieht und man selbst nicht trinken kann und sich dabei schwer tut.
Wajahat Waraich: Ich denke, man muss ehrlich zu sich selbst sein. Natürlich hat man Durst und es ist ein Kampf mit sich selbst. Ein Natürliches Verlangen zu unterlassen und vor allem, wenn andere trinken oder vielleicht auch etwas essen, ist immer etwas schwieriger, auch wenn wir sagen, meistens macht es mir nichts aus. Häufig sieht man auch Kollegen, die während der Arbeit essen oder trinken gehen. In der Zeit macht es vielleicht weniger aus, aber ich denke, beim Sport kann es schon schwieriger sein, wie Sie das sagten. Der Kopf spielt dabei eine Rolle und wir kennen das, dass schon die Gedanken oder Bilder bestimmte Hormone freisetzen. Beispielsweise sagt man, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft. Das ist tatsächlich so, wenn man etwas sieht oder an etwas denkt, dass bestimmte Hormone aktiv werden und auch mehr Speichel produziert wird, weil sich der Körper auf die Verdauung vorbereitet. Diese hat verschiedene Stufen und es fängt schon im Mund an, wo mit dem Speichel etwas vorverdaut wird. Insofern hat die Psyche definitiv einen Effekt.
Danyyal A. Tariq: Kann das freiwillige Fasten einem verhelfen, sich auf den Monat Ramadan besser vorzubereiten? In unserer Gemeinde wird auch empfohlen, jeden Donnerstag das freiwillige Fasten durchzuführen.
Wajahat Waraich: Das freiwillige Fasten ist auch eine Sunna (Praxis) des Heiligen ProphetenSAW gewesen. Er pflegte montags und donnerstags zu fasten und diese Tage werden in den Überlieferungen genannt. Manchmal hat er auch an anderen Tagen gefastet. Das Fasten war immer eine sehr intensive Zeit für den Heiligen Propheten MuhammadSAW. Alle, die regelmäßig freiwillig fasten, trainieren den Körper. Wir haben über den Prozess der Autophagie gesprochen. Sie profitieren von diesen Vorteilen über das ganze Jahr über. Ein genereller Aspekt wäre, dass die spirituelle Entwicklung, die durch das Fasten erzielt wurde, sich nicht nur auf einen Monat beschränken sollte, sondern das ganze Jahr umfassen sollte. Wenn wir nach dem Monat Ramadan das freiwillige Fasten fortführen, so können wir auch von den körperlichen Vorteilen über das ganze Jahr über profitieren. Das ist durchaus auch eine Empfehlung.
Danyyal A. Tariq: Möchten Sie noch etwas sagen?
Wajahat Waraich: Zusammenfassend würde ich sagen, es gibt verschiedene körperliche und seelische Vorteile des Fastens. Es gibt Studien zum intermittierenden Fasten oder Intervallfasten. Es gab einige Studien mit Tierversuchen, aber auch Studien mit Menschen, allerdings mit einer geringen Probandenanzahl. Aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet wäre mein Fazit, dass wir in Zukunft versuchen sollten, noch mehr größere und randomisiert kontrollierte Studien durchzuführen, um mehr Erkenntnisse daraus gewinnen zu können. Wir haben aber definitiv gesehen, dass das Fasten schon viele Vorteile hat. Klar muss man einige Sachen hinsichtlich der Ernährung oder des Sports beachten. Ich bin aber der Überzeugung, dass die göttlichen Gebote im Heiligen Qur’an eine wissenschaftliche Basis haben. Oft ist es so, dass wir diese noch nicht herausgefunden haben und dass wir uns mehr anstrengen müssen. Daher der Hinweis auf die Studien, dass wir diese größer auflegen sollten und dann werden wir viele weitere Aspekte herausfinden, die uns aufzeigen, welche Vorteile das Fasten für uns hat. Ich freue mich schon mehr darüber zu erfahren.
Danyyal A. Tariq: Vielen Dank, dass sie uns tiefe Einblicke in die gesundheitlichen Aspekte des Fastens gegeben haben.
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