Das Magazin The Review of Religions führte ein Interview mit Dr. Faheem Younus, dem Qualitätsbeauftragten und Direktor für Infektionskrankheiten an der University of Maryland UCH, über die aktuelle Covid-19-Krise. Das Interview wurde von Sarah Waseem und Farhat Mahmood geführt.
S: Dr. Faheem, as-salāmu ʿalaikum (Begrüßung: Friede sei mit Ihnen.)
F: wa-ʿalaikumu s-salām (Friede sei mit Ihnen ebenso.)
S: Wir hatten schon viele Pandemien wie SARS und die Schweinegrippe, aber keine von ihnen schien zu der Art von globalen Eindämmungsmaßnahmen geführt zu haben, die wir jetzt sehen – Geschäfte werden geschlossen, der Transport ist betroffen. Was ist an Covid-19 so anders?
F: Das ist eine sehr gute Frage. Zunächst einmal glaube ich, dass die einfache Antwort die Folgen (des Virus) sind. Wenn man bedenkt, dass die Leute zwischen Januar und Februar nur sagten: »Das ist eine andere Art von Grippe, sie verursacht nur 2 % Sterblichkeit.« Diese 2 % waren sehr irreführend. Wenn Sie auf SARS zurückblicken, das 2003 aufgetreten ist, hatte es eine Sterblichkeit von 8 %. Aber wenn man sich die Gesamtzahl der Menschen ansieht, die weltweit an SARS gestorben sind, dann waren es weniger als 900 Menschen. Mit Covid-19 liegt die Zahl der Todesfälle derzeit bei über 26.000. Was also Covid-19 in drei Monaten angerichtet hat, konnte SARS nicht in 2 Jahren tun. Die Frage ist also, warum? Wie kommt es, dass dieses Virus so tödlich ist?
In den letzten 17 Jahren hat sich in der Welt so viel verändert, z.B. der weltweite Reiseverkehr. Wenn man das Jahr 2003 betrachtet, so waren jährlich etwa 1,5 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt unterwegs. Jetzt sind es über 4 Milliarden. Sie können sehen, wie sich dieses Virus überall auf der Welt verbreitet hat. Ein anderer Messwert ist die Ausreisesperre in Wuhan, China. Das Virus brach wahrscheinlich irgendwo im November oder Dezember aus, wir kennen den genauen Zeitpunkt nicht, aber sagen wir, es war im Dezember. Man geht zurück und schaut sich an, wann die Reisebeschränkungen eingeführt wurden, und das war erst am 21. Januar. Bis zum 21. Januar, als wir in Wuhan eine Ausgangssperre verhängten, waren zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als 7 Millionen Menschen aus Wuhan ausgereist. Wenn man diese Zahlen zusammenzählt und dann diese 2 % Sterblichkeit betrachtet und sie mit der normalen Grippe vergleicht (ich weiß nicht, wie es in Großbritannien aussieht, aber in den USA sterben jedes Jahr durchschnittlich 35.000 Menschen an der Grippe), dann ist die Sterblichkeit durch das Coronavirus 10-20 Mal höher. Das bedeutet, dass wir potenziell mit einer halben Million Toten in den USA rechnen müssen.
Das größere Problem ist die dadurch verursachte Begleiterkrankung. Etwa 10-15 % der Menschen müssen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Wenn sich nur 10 % der US-Bevölkerung mit dem Virus infizieren würden (was unwahrscheinlich ist, typischerweise ist diese Zahl viel höher), würde das 6 Millionen Krankenhausaufenthalte bedeuten. Wir haben 5000 Krankenhäuser im ganzen Land, denken Sie also darüber nach: 1000 zusätzliche Patienten für jedes Krankenhaus. Das sind also die Gründe, warum dies eine so große Herausforderung ist.
Was hier vor sich geht, ist eine Vielzahl kleiner Faktoren, die soeben in einer Art und Weise zusammengekommen sind, dass sie an Dynamik gewonnen haben. Zuerst hat man also einen neuartigen Erreger – ein neues Virus, das aus einem Tierreich stammt und Menschen infiziert und die Menschen haben es noch nie gesehen, so dass unser Immunsystem unvorbereitet ist, wir haben keine Immunität dagegen. Zweitens geschieht es an einem besonders bevölkerungsreichen Ort. Wäre es auf den Malediven, einer Insel, passiert, dann wäre es wahrscheinlich nie irgendwo auf der Welt aufgetreten. Wuhan ist eine Stadt, die größer ist als New York City – New York City hat 8 Millionen Einwohner, Wuhan dagegen 11 Millionen. Drittens passiert es um Neujahr, der Hauptreisezeit und dann gibt es das chinesische Neujahr und viertens wird es 7 oder 8 Wochen lang nicht entdeckt.
Ich kritisiere die Chinesen nicht – ich denke, es ist äußerst schwierig, einen neuen Erreger zu entdecken -, dennoch denke ich, dass sie eine phänomenale Arbeit geleistet haben und dann kommt noch die Mortalität, die Krankheitsanfälligkeit und die Effizienz dieses Virus hinzu. Jede Person, die mit Grippe infiziert ist, wird sie wahrscheinlich an 1-2 Personen weitergeben. Den Coronavirus werden wir an 2-3 Personen weitergeben. Das mag zwar ein kleiner Unterschied sein, aber wenn man es auf Bevölkerungen projiziert und den dritten, vierten, fünften Zyklus des Virus durchläuft, sind das Hunderttausende von Menschen. Es gibt also mehrere Faktoren, die alle zusammenhängen und deshalb sieht man auch diese Auswirkungen, die man beobachtet.
S: Das ist sehr hilfreich. In den sozialen Medien haben Sie in Ihrem Twitter-Account viel über einige der Mythen gesprochen, die es über den Virus zu zerstreuen gilt. Sie sind sehr detailliert darauf eingegangen. Könnten Sie uns sagen, was Ihrer Meinung nach der wichtigste davon ist?
F: Weiß Gott, ich habe keine Ahnung! Ich werde Ihnen sagen, warum ich das tue, bevor ich Ihnen sagen kann, welches das Wichtigste ist! Ich konnte mit den Textnachrichten und den Whatsapps und den Anrufen, die ich bekam – Freunde und Familie und Mitglieder der Ahmadiyya-Muslim Gemeinde und von der Arbeit – nicht Schritt halten, weil alle besorgt waren. Ich konnte mit den Fragen, die ich bekam, nicht mithalten, viele davon waren nur Mythen. Schließlich sagte meine Tochter: »Dad, du solltest darüber twittern, denn viele der Leute sind auf Twitter.« Deshalb habe ich angefangen, über diese Mythen zu tweeten und erhielt Antworten aus der ganzen Welt. Dadurch wurde mir irgendwie klar, dass dies ein Dienst (an die Menschen) ist. Ich glaube, es gibt viele Menschen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Vor zwei oder drei Wochen sprachen alle Medien über die Sommermonate – dass der Virus dann verschwinden würde. Das war also damals der populärste Mythos. Und ich dachte, wenn man mich vor 2-3 Wochen gefragt hätte, dann hätte ich gesagt, dass das der Mythos Nummer 1 ist. Aber dann, eine Woche später, begann die ganze Ibuprofen-Geschichte von Frankreich aus. Und dann wiederum sprach ein britischer Arzt, ich glaube, ihre HNO-Gesellschaft, über den Geruchsverlust – wenn man einen Geruchsverlust hat, hat man Covid. Ernsthaft?! Ich habe Familienmitglieder, die seit Jahren einen Geruchsverlust haben! Ich will nicht, dass sie an dieser Panik sterben. Das hängt, glaube ich, mit der Dynamik der Medien zusammen.
S: Als Ahmadi-Muslim stehen Sie offensichtlich an vorderster Front – wie hat Ihnen Ihr Glaube dabei geholfen, in dieser schwierigen Zeit angemessen zu reagieren?
F: Ja, ich bin froh, dass Sie das fragen, denn einer meiner Partner hat sich neulich an mich gewandt, er ist auch ein Facharzt für Infektionskrankheiten und ein außerordentlich kluger Mann. Und er sagte: Ich werde dir eine Frage stellen, wobei ich die Antwort schon kenne, aber ich werde trotzdem fragen. Ich hatte keine Ahnung, was er dachte. Er fragte: »Hast du denn keine Angst?« Ich musste herzhaft lachen und sagte: »Du hast mir gesagt, dass du meine Antwort schon kennst. Sag mir, wie lautet denn die Antwort?« Er sagte: »Ich weiß, dass du ›Nein!‹ sagen wirst.« Und ich sagte: »Das ist die richtige Antwort.« Also fragte er mich, warum? Und ich sagte ihm: »Schau mal, als eine gläubige Person denke ich sehr viel über meinen Tod nach, sogar regelmäßig.« Nun wollte ich ihn auch nicht irgendwie im im Fachjargon ersticken… aber wissen Sie, ich glaube, das ist es, was unsere Khulafa (Kalifen) uns gelehrt haben. Das ist es, was die Kernlehre des Verheißenen MessiasAS ist. Was bedeutet Taqwah? Es ist die Furcht vor Gott. Meiner Meinung nach ist es das Bewusstsein über Gott und Achtsamkeit über Gott. Ich denke, wenn es keinen Glauben gäbe, würde es keinen Spaß machen. Ich glaube wirklich, dass dies ein inspirierender Moment ist. Ich habe keine Angst davor, an der Front zu stehen, ich bin sogar begeistert. Ich habe in meinem Beruf mehr Sinn gefunden. Es gab Tage, Wochen und Monate, in denen ich mich wie ein Roboter gefühlt habe, der jeden Tag die gleichen Patienten sieht, obwohl man eigentlich arbeitet um Menschen zu helfen. Aber das Maß an Hilfe, das wir heutzutage anbieten können, das Maß an Trost, das wir den Menschen bieten können, hängt meiner Meinung nach direkt mit dem Glauben zusammen. Das ist also ein sehr großes Thema, wie der Glaube ein Teil davon wird, aber ich würde doch eher sagen, dass es rechts, links und inmitten ist.
S: Wenn ich hier mit Ärzten, wo ich arbeite, oder mit Mitarbeitern des Gesundheitswesens gesprochen habe, und auch in den Medien hören wir viele Ärzte darüber sprechen, wie frustriert sie darüber sind, was vor sich geht und wie verzweifelt sie sind und wie traumatisiert sie durch die Anzahl der Todesfälle sind, die sie sehen. Und ich frage mich, was Sie denen sagen würden, die diesen Glaubenshintergrund nicht haben?
F: Sehen Sie, ich bin nicht durch Tod und Leid traumatisiert, denn wenn ich jedes Leiden verhindern könnte, wäre ich in der Lage gewesen, den Tod meiner eigenen Eltern zu verhindern. Die Realität ist, dass wir alle irgendwann gehen werden. Ich empfinde Frustration. Ich habe meine Angst, aber meine Angst kommt aufgrund des Mangels an Ressourcen. Als Arzt kann ich nicht genug Tests anbieten, um meinen Patienten zu helfen. Obwohl ich hier in der Hochburg der Wissenschaft und Wirtschaft in den USA lebe, haben wir nicht genug Gesichtsmasken, wir haben nicht genug N-95-Masken, wir haben nicht genug Schutzausrüstung für mein eigenes Team. Das ist, was mich frustriert. Wir sind wie Krieger in einer Schlacht mit Scheren und Messern in der Hand, während die Gegenseite F-16 und Panzer besitzt. Daher rührt meine Frustration, dass ich meinen Patienten nicht helfen kann, und an der vordersten Front habe ich keine Behandlung und keinen Impfstoff. So sieht man, wie eingeschränkt man ist. Als Ärzte sind wir darauf ausgelegt, in diesem Umfeld mit einer sehr starken Infrastruktur zu operieren, wo alles, was Sie in diesen Fernsehdramen sehen, innerhalb von Minuten in einer Notaufnahme Tests durchführen, CAT-Scans machen und jemandem die Hand in die Brust stecken und sein Herz drücken, bis der Unfallchirurg eintrifft. Wenn diese Menschen also durch einen Mangel an Ressourcen gefesselt sind, dann denke ich, dass damit eine gewisse Frustration verbunden ist. Aber was den Tod und das Sterben und das Leid betrifft, so denke ich, dass es unsere Aufgabe ist, unser Bestes zu geben. Der Rest liegt in Allahs Händen und ich behandle meine Patienten gern, als wären sie meine Familie und deshalb habe ich das Beispiel angeführt, dass meine beiden Eltern vor meinen Augen gestorben sind und ich nicht viel tun konnte und diese Sichtweise möchte ich beibehalten. Wir sind hier, um Menschen zu helfen, aber als Ärzte sterben wir, unsere eigenen Familienmitglieder sterben, das ist Teil des Lebens.
S: Danke. Wie kommt es, dass wir mit dieser Pandemie nicht gerechnet haben? Wie kommt es, dass wir auf der ganzen Welt damit nicht gerechnet haben und wie können wir eine neue Pandemie verhindern?
F: Das ist eine spannende Frage und wieder, ich weiß nicht. Wie gebe ich Ihnen eine sanfte Antwort? Wissen Sie, wir sind wirklich die Fußsoldaten, die Ärzte und Krankenschwestern, wir sind keine Pandemieplaner, ich kontrolliere keine Milliarden von Dollar. Das war die Aufgabe von Führungskräften, oder? Wenn man sich den Ted Talk anschaut, der heutzutage überall im Umlauf ist, so hat Bill Gates dies vor fünf Jahren vorhergesagt. Wenn man heute zurückblickt, dann war es absolut genial. Aber ich glaube, die Realität liegt zwischen Geld, Macht und engstirniges Eigeninteresse; so geht manchmal der Sinn verloren, und das ist alles, was ich sagen kann. Ich glaube, zwischen unseren engstirnigen Eigeninteressen, dem Ruhm, dem Geld, der Macht und am meisten dem Ego, das vielleicht über allem. Wenn Rezessionen von diesen Beweggründen getrieben werden, ist es sehr schwer, etwas zu planen, das wirklich zusammengehörig ist. Sehen Sie sich an, wie vereint dieser Virus gegen die Menschheit ist. Der Virus stellt nicht die Fragen, die Sie geschrieben haben. Sind sie Brite, Amerikaner, Ahmadi oder Schiit? Sind sie schwarz oder weiß? Sind seie ein Mann, eine Frau? Sind sie reich oder arm? Das Virus ist ein so ethischer Virus, dass ich sagen würde, es stellt einfach eine einfache Frage: Sind sie ein Mensch? Das wars. Und hier sind wir als Menschheit – wir sind gespalten, wobei die Pandemieplanung einheitliches Denken erfordert. Wo ist die einheitliche Plattform? Auf welcher Plattform treffen wir globale Entscheidungen? Das sagt Hadhrat Mirza Masroor AhmadABA, das weltweite Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Gemeinde schon seit mindestens zwölf Jahren. Ich erinnere mich, dass er über diese Dinge gesprochen hat, dass die UNO sozusagen handlungsunfähig ist, andere nationalistische Regierungen ziehen auf. Ich denke daher leider, dass genau darin die Last liegt. Aber wenn Sie mich fragen, waren die Warnzeichen da? Ja, sie waren da. Wurde die Welt vor dieser Bedrohung gewarnt? Ja, die Welt wurde gewarnt. Gab es den politischen Willen, etwas zu tun? Ich weiß es nicht.
S: Danke. Eine der anderen Realitäten, mit denen wir möglicherweise konfrontiert sind, ist, dass die Selbstisolierung vielleicht keine Lösung ist, für sechs Monate, ein Jahr. Wir hören auch von der Tatsache, dass die Selbstisolierung funktionieren könnte, aber dann könnte der Virus wieder zurückkommen. Ich frage mich, was Sie darüber denken und gibt es irgendwelche Strategien für die Zukunft?
F: Auf jeden Fall. Man sagt, wie isst man einen Elefanten? Isst man ihn Biss für Biss? Hier haben wir einen Elefanten, den wir schlucken müssen. Ich würde es nicht; ich glaube, wer behauptet, dass Selbstisolierung oder soziale Distanz die einzige Lösung ist, das wäre eine zu starke Vereinfachung.
Wir müssen also den Rückwärtsgang einlegen. Wie weit sind wir von einer Behandlung oder einem Impfstoff entfernt? Wahrscheinlich eineinhalb, zwei Jahre zurück. Die Wahrscheinlichkeit eines Impfstoffs oder einer Behandlung liegt also achtzehn bis vierundzwanzig Monate zurück. Die nächste Frage ist also, ob wir eine Strategie brauchen, um die Menschheit durch die nächsten achtzehn bis vierundzwanzig Monate zu bringen, um sie mit dem geringsten Schaden durch diese Zeitspanne zu bringen. Wenn das die Strategie ist, wie kann man eine Brücke zwischen jetzt und vierundzwanzig Monaten schlagen? Das erste wird die Selbstisolierung sein oder das, was ich als soziale Distanz für drei Wochen bezeichnen würde. Lassen Sie mich einfach das Szenario durchspielen, denn das sind die Dinge, über die ich die ganze Zeit sehr intensiv nachdenke.
Es gibt drei Schichten, die für jede Gesellschaft typisch sind: Es gibt eine obere Schicht, Leute, die viel Geld haben, einen mittleren Teil, der einfach drei Wochen durchhalten kann und dann gibt es noch eine dritte. Das untere Drittel, das wirklich kämpfen wird, sollte also von der Regierung unterstützt werden, die reichen Leute sollten ihnen aushelfen. Sie sollten eine soziale Struktur schaffen, in der sie sich nicht gezwungen fühlen, aus ihren Häusern zu kommen, weil sie an Hunger sterben werden. Während dieser drei Wochen, in denen die Menschen zu Hause sind, arbeiten wir intensiv daran, Tests zugänglich zu machen. Wir stellen Millionen und Abermillionen von Kittel und Handschuhen her und beauftragen jede Nike-Fabrik, jede GAP-Fabrik, Under Armor usw. damit, einfach nur Personenschutzkleidung herzustellen. Dies ist eine von der Menschheit getriebene Initiative. Als dies in Singapur, einem Land mit etwa 5,5 Millionen Einwohnern, begann, hatte Singapur innerhalb weniger Wochen 900 Teststationen eingerichtet. Wenn sie das tun können, warum nicht auch in London oder New York? Wenn diese drei Wochen vorbei sind, sollten wir also über eine Testkapazität verfügen, die es uns ermöglicht, Tests zu Hause durchzuführen. Die Menschen sollten in der Lage sein, in Einkaufszentren und an allen öffentlichen Orten getestet zu werden, an denen sie sich testen lassen können. Jetzt testet man 10 bis 20 % der Bevölkerung und fängt an, all jene auszuwählen, die wir als »asymptomatische Träger« bezeichnen oder die nicht übermäßig krank, aber infiziert sind und sie zu isolieren. Man lässt den gesellschaftlichen Alltag weiterlaufen. Wenn ich ein asymptomatischer Überträger und Busfahrer bin oder wenn ich ein asymptomatischer Überträger bin und eine Kindertagesstätte betreibe, dann ist es sehr wichtig, diese Person zu identifizieren. Dann gehen sie mit einer gezielten Strategie vor. Sie isolieren einfach die Menschen, die asymptomatische Träger sind und lassen das gesellschaftliche Leben weitergehen. Und man würde gezielt isolieren, testen, isolieren, testen, aber in einer gezielten Herangehensweise. Man würde das 14 oder 16 Monate lang tun, bis man einen Impfstoff oder eine Behandlung hat. Es ist also keine soziale Distanz, sondern ein dreigliedriger Ansatz – soziale Distanz, dann Tests, dann Quarantäne und dann eine Behandlung.
Auf dem Weg dorthin gibt es viele andere Besonderheiten. Hoffentlich erhalten wir in ein oder zwei Monaten serologische Tests, die uns helfen werden, herauszufinden, wer immun ist. Das sagt uns also nur aus, wer diesem Virus ausgesetzt war, ob sie todkrank oder asymptomatisch waren und wenn wir erst einmal Hunderttausende dieser Menschen gefunden haben, von denen ich glaube, dass es sie gibt, dann können wir ihr Serum nehmen und daraus Medikamente herstellen, die eine Art passive Immunität darstellen, so dass wir diese Antikörper Menschen, die auf der Intensivstation wirklich krank sind, zuführen können. So können wir gleich dort damit beginnen, Leben zu retten, indem wir Menschen identifizieren, die bereits genesen sind.
Auf dem Weg dorthin müssen wir auf jeden Fall die Kommunikationskanäle nutzen, die den Menschen Hoffnung geben. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen verstehen, dass die Menschheit auch nach dieser Herausforderung noch existieren wird. Und natürlich glauben wir als Ahmadis an diese Zusicherung, denn Hadhrat Mirza Ghulam AhmadAS, der Verheißene Messias, hat bereits über die Zukunft der Ahmadiyya Muslim Gemeinde in dreihundert Jahren gesprochen. Ich mache mir also keine Sorgen um die Menschheit. Aber natürlich müssen wir sie auf eine Weise informieren, die verständlich ist.
S: Danke. Wie wichtig ist es, bei dieser Krankheit ein gesundes Immunsystem zu haben?
F: Ja, also zu Beginn haben wir die gleiche Ausgangslage. Niemand hat Antikörper gegen dieses Virus. Es ist ein neuartiger Typ. Nun ist die nächste Frage, um auf die Analogie mit dem Hausbrand zurückzukommen, dass jedes Haus gleich für Feuer anfällig ist. Ein starkes Immunsystem wäre vergleichbar mit einem Haus, das weniger Holz und mehr Stahl hat, sodass dieses Haus besser vor dem Feuer geschützt ist und das gilt für Menschen, die gesund sind, die für ihr Wohlbefinden gesorgt haben, die sich bewegen und die nicht an fünf anderen Krankheiten leiden, die gut schlafen und ich würde sogar so weit gehen zu sagen, auch für diejenigen, die eine positive Einstellung haben. Ich denke, all diese Dinge werden helfen. In ein oder zwei Jahren werden wir eine Analyse durchführen, um zu sehen, wie sich die Krankheit in verschiedenen Teilen der Welt ausgewirkt hat. Wenn ich mir frühere Pandemien anschaue, sehe ich manchmal kein unterschiedliches Muster – normalerweise ist es überall ähnlich, aber wir werden sehen, was dieses Mal passiert.
S: Man spricht auch, hierzulande zumindest, über die Auswirkungen dieser Pandemie auf die psychische Gesundheit. Sie haben von der Notwendigkeit einer positiven Einstellung gesprochen. Aber viele werden wahrscheinlich ein Trauma und Trauer erleiden, die Menschen werden Verwandte verlieren. In Bezug auf die Frontarbeiter und das Trauma, das sie durchgemacht haben werden. Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, wie sich das entwickeln wird?
F: Das ist eine sehr schwierige Frage, denn ich glaube, dass der Mensch eine sehr komplexe Maschine ist. Wir haben unsere eigene Weltsicht, und in diesem Stadium wird jeder so leiden, wie er sein Leben gelebt hat und er wird so heilen, wie er an die Zukunft glaubt, an welche auch immer man glauben mag. So wie man über die Natur sagt, es gibt weder Belohnungen noch Strafen, es gibt einfach nur Konsequenzen. Ich habe also leider das Gefühl, dass es viele Konsequenzen für uns als Menschheit geben wird, was bedeutet, dass, wenn ich von Anfang an eine psychische Krankheit hatte, diese wahrscheinlich noch verschlimmert wird und wenn ich ein Zehntel der Probleme im Leben hatte, die ich bereits bewältigt habe und dies noch dazu kommt, wird es mir wahrscheinlich schwer fallen. Wenn ich in einem Land oder einer Gesellschaft lebe, die sehr individualistisch ist, werde ich eine ganz andere Erfahrung machen als in einer Gesellschaft, die eher gemeinschaftlich geprägt ist. Für mich ist die Ahmadiyya Gemeinde wie ein Mutterschoß. Für uns, die das Kalifat haben, die irgendwo hingehören, denke ich, dass unsere Widerstandskraft ganz anders sein wird. Wir haben jetzt die Gelegenheit, etwas zurückzugeben, jetzt, wo die Menschheit leidet. Wir wissen, dass die Menschen leiden und wie das Virus, das nicht darin unterscheidet, wen es angreift, können wir ohne jegliche Diskriminierung helfen. Ich denke, es gibt eine schöne Gelegenheit in dieser Krise, besonders für Menschen wie uns, die mit dieser Art von geistiger Immunität gesegnet sind. Ich würde sagen, dass dies eine geistige Immunität ist, die Allah uns eine ganz andere Grundlage in dieser Welt gegeben hat. Vielleicht sollten wir das also tun, aber es wird viel Leid, viel Depression, Isolation und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) geben und ich hoffe, dass wir uns in diese Situation einfühlen können und sie nicht einfach abtun.
S: Nur als abschließende Überlegung: Ich glaube nicht, dass die Welt jemals wieder dieselbe sein wird. Ich frage mich, was sie dazu sagen würden.
F: Das ist sehr schwer zu beantworten. Es macht mir Angst, vorherzusagen, wie die Welt sein wird. Auch hier denke ich, dass es auf meine Sichtweise ankommt. Kluge Menschen schauen nach innen und ziehen Lehren und lernen daraus und die nicht so klugen Menschen enden damit, dass sie anderen die Schuld geben, ihr Verhalten nicht ändern und für sie geht das Leben weiter. Ich glaube fest daran, dies als eine Chance zu betrachten. Darum geht es bei der ganzen Vorstellung von Leid. Hadhrat Mirza Tahir AhmadRH, viertes weltweites Oberhaupt der Ahmadiyya Muslim Gemeinde, hat in seinem Buch »Offenbarung, Vernunft, Wissen & Wahrheit« erklärt, dass Leid so viele Möglichkeiten bietet. Die Frage ist also, wer diese Gelegenheit nutzt und daraus Nutzen zieht und wer sie nicht so gut nutzt. Ich glaube also, es wird ein Spektrum geben. Einige werden daraus etwas lernen und ihr Leben wird sich für immer verändern. Ich denke, das wird etwas Gutes sein. Ich wünsche mir eigentlich, dass die Welt ein anderer Ort ist, der sich weiterentwickelt. Aber ich habe in meinem Leben so viel Leid gesehen und meine Erfahrung zeigt, dass sich manche Dinge leider nie ändern, aber wir haben die Kontrolle über den Wandel. Das gilt für mich, für Sie, für unsere Gemeinde. Seine Heiligkeit Hadhrat Mirza Masroor AhmadABA leitet uns jede Woche, was wir tun sollten und was gut für uns ist und ob wir es mögen oder akzeptieren oder auch nicht, wir alle reagieren auf einer unterschiedlichen Weise darauf; es gibt ein Spektrum. Und auf der einen Seite stehen diejenigen, die sich absolut dementsprechend ausrichten werden und auf der anderen Seite sind Menschen, die einfach weitermachen. Als Gemeinde würde ich mir wirklich wünschen und hoffen, dass, wenn wir alle als Gemeinde uns ein wenig mehr auf die Botschaft Seiner Heiligkeit zubewegen würden – vielleicht ist es ein Zentimeter für den einen und ein Kilometer für den anderen. Ich denke immer wieder an die Frage-und-Antwort-Sitzung Seiner Heiligkeit, in der er seine größte Sorge äußerte – wenn dieser Durchbruch (die Menschen werden auf der Suche nach Gott sein) geschieht, werden wir dann bereit sein? Vielleicht weckt uns das auf und wir werden ein bisschen mehr bereit dafür sein. Das ist alles, was ich sagen werde.
S: JazakAllah. Ich glaube nicht, dass ich etwas hinzuzufügen habe. Ich finde Ihre Antworten unglaublich nachdenklich. Im Namen des Magazins The Review of Religions möchte ich mich bei Ihnen bedanken. Wir haben so viel Respekt vor Ihnen allen an der Front, die ohne ausreichende Ausrüstung arbeiten, und sie haben Familien, die sich sicher Sorgen um sie machen. Deshalb beten wir, so Gott will, für Sie und danken Ihnen für Ihre Zeit.
F: Kein Problem, es ist mir ein Vergnügen. JazakAllah.
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