Westliche Gesellschaften profilieren sich als Bastionen der Gleichberechtigung der Frau und grenzen sich betont von orientalischen Gesellschaften ab, in denen Frauen ihrer Ansicht nach unterdrückt und benachteiligt werden. Doch jüngst gab es vielfach veröffentlichte Skandale um die sexuelle Belästigung von Frauen in Hollywood und im britischen Parlament zu Beginn des vergangenen Jahres. Diese Skandale deuten auf etwas anderes hin als Gleichberechtigung und haben eine hitzige Debatte zur Sicherheit von Frauen in der Gesellschaft ausgelöst. Wie können Frauen unerwünschte Aufmerksamkeit vermeiden und dennoch gleichberechtigt mit Männern interagieren?
Der von Alyssa Milano gestartete Hashtag »me too« brachte persönliche Erlebnisse von Frauen aus allen Wirtschaftszweigen der Welt hervor. Millionen Frauen nutzten Twitter, Facebook und Instagram, um Belästigung und Missbrauch offenzulegen, denen sie in ihrem eigenen Leben ausgesetzt waren. Die Berichte über den Missbrauch von Frauen sind nicht auf ein Land oder gar einen Kontinent beschränkt, sondern kommen aus der ganzen Welt.
Der Anti-Islam-Autor Peter Hitchens sprang in die Debatte und argumentierte: Die Gesellschaft habe ihre Regeln und Vorschriften verloren, die »Teil eines ausgefeilten Kodexes für Liebeswerben und Respekt waren, der exemplarisch in der verheirateten Familie vermittelt wurde und nun völlig verschwunden ist«. Er fragte sich: »Warum sollten wir in einer ehelosen, alles-ist-erlaubt Gesellschaft erwarten, dass sich die beiden Geschlechter zurückhalten werden? … Es war dieser alte Kodex, der es uns im Gegensatz zur islamischen Welt ermöglichte, die glückliche Mischung von Männern und Frauen zu ermöglichen, ohne schwarze Umhänge, Schleier und Regeln zur ›Berührungsfreiheit‹, die so streng sind, dass sie sogar einen Mann-Frau-Handschlag ausschließen …«1
Hitchens hat in einem Punkt recht. Die Ehe wurde als Institution zum Schutz von Familie und Gesellschaft angelegt. Die Rechte der Ehepaare sind gesetzlich verankert, obwohl dies zunehmend unter Beschuss gerät, da sich Paare stattdessen für eine Lebensgemeinschaft entscheiden. Mit der Einführung der Homo-Ehe in vielen Ländern verschwimmen die Grenzen immer mehr. Aber glaubt Hitchens wirklich, dass Frauen unter dem »alten Kodex« nicht auch missbraucht wurden? Warum erleben wir dann einen Anstieg der Berichte über Fälle von vergangenem sexuellem Missbrauch nicht nur durch Prominente und Personen in politischen Führungspositionen?
Mayim Bialik, eine US-Schauspielerin, machte einige interessante Beobachtungen, für die sie in den Medien scharf kritisiert wurde. Über ihre Erfahrungen als Kinderschauspielerin in Hollywood sagt sie: »Als 41-jährige Schauspielerin treffe ich immer noch jeden Tag Entscheidungen, die ich für beschützend und weise halte. Ich habe beschlossen, dass meine Weiblichkeit am besten privaten Situationen vorbehalten ist, wenn ich von meinen engsten Vertrauten umgeben bin. Ich kleide mich bescheiden. Ich flirte aus Prinzip nicht mit Männern. In einer perfekten Welt sollten Frauen die Freiheit haben, sich zu geben, wie sie wollen. Aber unsere Welt ist nicht perfekt. Nichts – absolut nichts – entschuldigt Männer Frauen anzugreifen oder zu misshandeln. Aber wir sollten nicht naiv sein, in welcher Kultur wir leben.«2
Hitchens hat Recht, dass »schreckliche, oft tragische Dinge passieren, wenn Männer und Frauen die alten Regeln der Treue und Beständigkeit aufgeben und sich zu Unrecht vorstellen, dass völlige Freiheit zu völligem Glück führe«. Doch wie Bialik betont, leben wir nicht in einer perfekten Welt. Wir haben eine Verantwortung im Umgang mit uns selbst – und diese Verantwortung gilt für Männer und Frauen gleichermaßen.
Als Gesellschaft müssen wir uns fragen, wie wir die Rechte der Frauen auf ein normales Leben und freie Bewegung in der Gesellschaft gewährleisten können und ebenso die Rechte der Männer, damit sie dasselbe tun können, ohne Angst vor Misstrauen oder Vorwürfen haben zu müssen. Keine Frau oder Mann sollte jemals irgendeinen Missbrauch erleiden. Männer und Frauen müssen sich daher gegenseitig und auch selbst respektieren. Aber wie erreichen wir das, ohne klare Grenzen, was akzeptables und inakzeptables Sozialverhalten ist?
Die Frage des Schutzes von Frauen beschränkt sich nicht nur auf heimliche Affären. Frauen werden täglich von Männern provoziert. Studien deuten darauf hin, dass 32% der Frauen sagen, dass sie im Londoner Verkehrsnetz verbal belästigt wurden, wobei 19% Opfer von direktem körperlichem Missbrauch wurden, so eine gemeinsame Umfrage von Thompson Reuters und YouGov.3 In Frankreich wurden zwischen 2014 und 2015 mehr als 220.000 Frauen im öffentlichen Personennahverkehr sexuell belästigt, was die nationale Kriminalstatistikbehörde als eine »konservative Schätzung« bezeichnete.4 In Deutschland wurden 2017 2.978 Fälle von sexueller Nötigung polizeilich erfasst.5
Städte haben versucht, diese Probleme auf verschiedene Weise anzugehen. In Rio de Janeiro, Moskau, Kairo und Japan wurden Waggons nur für Frauen eingeführt. Italien hat gerade einen exklusiven Frauenstrand eingerichtet. In den USA ist das Hamilton Crowne Plaza eines der kleinen, aber wachsenden Anzahl an Hotels, das eine Etage nur für weibliche Reisende anbietet. Die Silvesterfeierlichkeiten 2017 in Berlin umfassten Sicherheitszonen, die nur für Frauen bestimmt waren, nachdem vor zwei Jahren an Silvester in Köln Dutzende Frauen sexuell belästigt und ausgeraubt worden waren.
Es scheint also, als ob es mehr als nur die physische Trennung von Männern und Frauen erfordert, damit sich Frauen respektiert und sicher fühlen. Es bedarf eines Sittenmodells, das Grenzen für akzeptables Verhalten von Männern und Frauen aufzeigt.
Hat der Islam also etwas Besseres zu bieten? Erstens sollten wir uns im Klaren sein: Echte islamische Geschlechtertrennung ist nicht die kulturelle Praxis, Frauen und Mädchen von Kopf bis Fuß zu verhüllen, so dass sie Schwierigkeiten haben ordentlich zu sehen, wenn sie sich bewegen wollen. Sie hindert Frauen nicht daran, Bildung und Arbeit nachzugehen, wenn sie sich mit Männern vermischen müssen. Es geht nicht darum, Frauen daran zu hindern, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln.
Das Konzept der islamischen Geschlechtertrennung basiert auf einem Modell der Keuschheit, das sowohl Männer als auch Frauen einschließt und das sowohl die Grenzen des Anstandes als auch des Respekts untereinander aufrechterhalten soll. In einigen Fällen sind dies physische Grenzen, z.B. separate Gebetsbereiche oder Begegnungsräume. In allen Fällen geht es um die Aufrechterhaltung von Anstand und Ehrsamkeit im Umgang zwischen Männern und Frauen.
Der Verheißene MessiasAS erinnert uns in seinem Buch »Die Philosophie der Lehren des Islam« daran, dass Moral notwendig ist, um uns vom Bösen zu befreien. Iḥṣan oder Keuschheit ist dann die aktive Vermeidung von Situationen, die zu Unmoral führen können – das ist eine Verantwortung sowohl von Männern als auch von Frauen. In diesem Vers des Heiligen Qur’an6 werden die Männer angewiesen, Frauen nicht so offen anzusehen, dass sie dadurch sexuell gereizt werden könnten. Dazu gehört auch, ihre Sinne so zu schützen, dass sie von Frauen nicht angezogen werden. Das gilt auch für Frauen; und sie werden angewiesen, sich so zu kleiden, dass sie zusätzlichen Schutz genießen – also eine Kopfbedeckung und Kleidung zu tragen, die die Aufmerksamkeit nicht auf ihre Figur lenkt.
Der Heilige Qur’an weist auch an: »Und nahet nicht dem Ehebruch.«7 Also eine Anweisung, jede Situation aktiv zu vermeiden, die zu diesem Weg führen könnte. Männer und Frauen, die miteinander nicht verwandt sind, werden daher darauf hingewiesen, sich nicht in Situationen zu begeben, die zu einem späteren Zeitpunkt zu Vorwürfen durch den anderen führen könnten, wegen unangemessenem Verhalten.
Der Verheißene MessiasAS schreibt weiter:
»Das Buch Gottes bezweckt mit dieser Vorschrift nicht das Einschließen der Frauen wie in einem Gefängnis. Dies kann nur die Meinung Unwissender sein, die die islamische Lebensweise nicht kennen. Der Zweck dieser Vorschrift ist, Männer und Frauen davon abzuhalten, ihre Blicke frei herumschweifen zu lassen und ihre Reize und Schönheit zur Schau zu stellen. In dieser Regel liegt das Gute für beide Geschlechter.«8
Wie der Verheißene MessiasAS erklärt, geht es bei diesen Maßnahmen nicht darum, die Bewegungsfreiheit der Frauen in der Gesellschaft einzuschränken – muslimische Frauen arbeiten in vielen Bereichen -, sondern es geht darum, Grenzen und Schutzvorkehrungen festzulegen, die beide Geschlechter vor Anschuldigungen schützen, die zu einer Rufschädigung führen können und tatsächlich auch führen. Diese Grenzen sind nicht nur physisch, sondern auch geistig – und um das Wohlgefallen Allahs zu gewinnen, stellen muslimische Männer und Frauen sicher, dass sie die Grenzen einer akzeptablen sozialen Interaktion nicht überschreiten. Auf diese Weise werden beide Geschlechter befreit, ein normales Leben zu führen, ohne Angst in körperliche Gefahr zu geraten und ohne Angst eines inakzeptablen Verhaltens beschuldigt zu werden.
Im Zuge eines dreisten Angriffs gegen den Islam hebt Hitchens ironischerweise auch die Notwendigkeit solcher Schutzmaßnahmen hervor:
»Die Weisen Männer in Westminster werden in Zukunft mit Begleitpersonen herumlaufen, alle Gespräche mit dem anderen Geschlecht aufnehmen und filmen, von den Frauen verlangen, dass sie Einwilligungserklärungen unterschreiben, bevor sie sie treffen, und anschließend ein Zertifikat über gutes Verhalten ausstellen. Nichts anderes wird sie vor Behauptungen schützen, dass sie kurz »eine flüchtige Hand« auf das Knie einer Person gelegt hatten. Oder es gibt ja immer noch die andere Lösung, den Niqab, die Burka und die Geschlechtertrennung.«
Hitchens wird überrascht sein zu erfahren, dass das wahre islamische Modell der Morallehre in der Ahmadiyya Muslim Jamaat tatsächlich funktioniert:
»Geschlechtertrennung ist völlig missverstanden, wenn man meint, muslimische Frauen unterlägen einem Ausschluss oder einer Beschränkung, an allen Bereichen menschlichen Tuns in vollem Umfang teilzuhaben. Das ist nicht wahr. Das islamische Verständnis von Geschlechtertrennung ist einzig und allein im Zusammenhang mit Maßnahmen zu betrachten, die die Heiligkeit der weiblichen Keuschheit sowie die Ehre der Frauen innerhalb der Gesellschaft schützen, so dass die Gefahr diese Ziele zu verletzen so gering wie möglich ist. Das freie Miteinander beider Geschlechter und verstohlene Liebesverhältnisse zwischen Männern und Frauen werden strengstens missbilligt.«9
Muslimische Ahmadi-Frauen in Burkas, Hijabs und Niqabs arbeiten sowohl gemeinsam mit Männern als auch getrennt von Männern, betreiben erfolgreich Krankenhäuser und Schulen und organisieren das ganze Jahr über Veranstaltungen, von internationalen Versammlungen über Buchmessen bis hin zu lokalen Veranstaltungen. Das Ausmaß dieser Tätigkeiten kann enorm sein. Die Jahresversammlung der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland zog im vergangenen Jahr über 39.700 Menschen an. Männer und Frauen planten, organisierten und führten gemeinsam die getrennte Veranstaltung durch. Am renommierten Tahir Heart Institute in Rabwah, Pakistan, betreuen Ärztinnen und Krankenschwestern Patienten mit Hijab oder Niqab. Bei Humanity First, einer Wohltätigkeitsorganisation der Ahmadiyya Muslim Jamaat, engagieren sich regelmäßig Ahmadi-Frauen in so unterschiedlichen Bereichen wie Spendensammlungen, Leistung medizinischer Hilfe und Malerei in Unterrichtsräumen. All dies geschieht und dennoch gibt es keine angezeigten Belästigungsfälle von Frauen.
Hadhrat Mirza Masroor AhmadABA, der fünfte Nachfolger des Verheißenen MessiasAS, hat bei zahlreichen Gelegenheiten die Moral und die Lehren des Islam zur Geschlechtertrennung sehr anschaulich dargelegt:
»Diejenigen, die Einwände gegen den Islam erheben, akzeptieren die Tatsache, dass in einigen Situationen eine Geschlechtertrennung sinnvoll ist. In manchen Bereichen wurde die Möglichkeit diskutiert, getrennte Organisationen für Männer und Frauen einzurichten. Diese profane Gesellschaft erkennt auch die Notwendigkeit der Trennung von Männern und Frauen. Diejenigen, die uns wegen der Geschlechtertrennung Vorwürfe machen, akzeptieren jetzt die Tatsache, dass in manchen Situationen eine Trennung ein Muss ist.«10
Vielleicht ist es jetzt höchste Zeit, die Lösung des Islam für den Frieden in der Gesellschaft zu untersuchen und nicht einfach nur darüber zu spotten.
Über die Autorin: Dr. Sarah Waseem ist Fachärztin für klinische Psychologie und arbeitet im britischen National Health Service. Sie ist Redaktionsmitglied bei »The Review of Religions« und außerdem in der Produktionsabteilung von Muslim Television Ahmadiyya International (MTA Int.) tätig.
Referenzen:
1. Peter Hitchens, »What Will Women Gain From All This Squawking About Sex Pests? A Niqab«, Daily Mail, accessed November 4, 2017, www.dailymail.co.uk/debate/article-5050887/What-women-gain-squawking-sex-pests-Niqab.html.
2. Mayim Bialik, »Being A Feminist In Harvey Weinstein’s World«, The New York Times, 13. Oktober 2017, www.nytimes.com/2017/10/13/opinion/mayim-bialik-feminist-harvey-weinstein.html
3. Monique Villa, »Sexual harassment on public transport is a problem we must solve«, The Independent, 29. Oktober 2014, www.independent.co.uk/voices/comment/sexual-harassment-on-public-transport-is-a-problem-we-must-solve-9826153.html.
4. Reuters, Dezember, 2012
5. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157299/umfrage/polizeilich-erfasste-faelle-von-sexueller-noetigung-seit-1995/
6. Der Heilige Qur’an, 24:31-32
7. Der Heilige Qur’an, 17:33
8. Hadhrat Mirza Ghulam AhmadAS: Die Philosophie der Lehren des Islam. S. 89
9. Hadhrat Mirza Tahir AhmadRH: Islam – Antworten auf die Fragen unserer Zeit. S. 124 f.
10. Hadhrat Mirza Masroor AhmadABA, »Preparing for Tomorrow – Raising Pious Children«, The Review of Religions, Oktober 2017, www.reviewofreligions.org/13395
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