Ansar Arshad
Eine wohlgemeinte und konstruktive Kritik an Israel ist kaum in Sichtweite oder wird als Antisemitismus eingestuft. Stattdessen ist absolute Solidarität mit Israel in aller Munde. Diese wird begleitet von Parolen wie: »Es ist nicht die Zeit, Israel zu ermahnen« oder »Wir müssen so hart zurückschlagen, dass keiner jemals auf die Idee kommt, Israel anzugreifen«.
Im Hinblick auf den Krieg zwischen der Hamas und Israel werden Menschen von zahlreichen Bilder und Videos erschüttert, die in den Medien kursieren. Die Anzahl der Todesopfer im Gazastreifen wächst mit zunehmender Geschwindigkeit infolge der maßlosen Vergeltungsschläge Israels.
Während diese Angriffe als »Selbstverteidigung« ausgegeben werden, bleibt die Devise des Westens ganz klar: »bedingungslose Solidarität mit Israel«.
Doch wie sieht wahre Solidarität aus? Bedeutet »solidarisch sein« nun, eine Lizenz zum Morden zu erteilen oder sollte sie darauf abzielen, dem Leid ein Ende zu bereiten? Die derzeitigen Solidarität des Westens erscheint so gesehen als eine toxische Solidarität und Toleranz, die mit verheerenden Folgen verbunden ist.
Eine friedliche Lösung dieses Konflikts scheint in absehbarer Zeit unmöglich
Um dem Sterben ein Ende zu bereiten, müssen zielführende Maßnahmen getroffen werden. Eine UN-Resolution zur Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen wurde verabschiedet. Dessen Umsetzung ist nach wie vor nicht in Sicht, obwohl die überwiegende Mehrheit der Staaten für Waffenruhen gestimmt hat. Eine schwächelnde UNO sowie die Uneinigkeit unter den Staaten, offenbare Kriegsverbrechen als solche zu verurteilen, geben den Israelischen Befehlshabern alle Zeit der Welt, um nach Belieben weiterzubombardieren.
Wahre Solidarität im Lichte der Lehren des Islams
Im Heiligen Qur’an sagt Gott:
»Und wenn zwei Parteien von Gläubigen (gegeneinander) kämpfen, schließe Frieden zwischen ihnen; dann, wenn [danach] einer von ihnen gegen den anderen die Grenzen überschreitet, bekämpft die übertretende Partei bis sie zum Gebot Allahs zurückkehrt. Dann, wenn sie zurückkehrt, schließe Frieden zwischen ihnen in Gerechtigkeit und handle gerecht. Wahrlich, Allah liebt die Gerechten.« (49:10)
Seine Heiligkeit, Hadhrat Mirza Masroor Ahmad (aba), der Fünfte Kalif der Ahmadiyya Muslim Gemeinde, führt diesen Vers wie folgt aus:
»Mit anderen Worten, wenn sich zwei Nationen im Krieg befinden würden, sollten Dritte versuchen, sie zu einer friedlichen Lösung zu bringen. Wenn der Angreifer weiterhin Krieg führe, liege es an anderen Nationen, sich zusammenzuschließen, um angemessene und legitime Mittel einzusetzen, um den Unterdrücker zu stoppen. Sobald dieser jedoch aufhöre, dürfe keine unverhältnismäßige Vergeltung mehr gefordert werden.« (https://www.alhakam.org/peace-symposium-2023-baitul-futuh-mosque/)
Des Weiteren heißt es im Heiligen Qur’an:
»O ihr, die ihr glaubt! Seid standhaft auf Allahs Weg und bezeugt es in Gerechtigkeit. Und lasst euch nicht durch die Feindschaft eines Volkes dazu anregen, anders als mit Gerechtigkeit zu handeln. Seid [immer] gerecht, das ist der Gottesfurcht näher. Und fürchtet Allah. Wahrlich, Allah weiß, was ihr tut.« (5:9)
In diesem Vers wird unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die wahren Maßstäbe von Gerechtigkeit und Gleichheit einzuhalten sind.
Ein weiteres Grundprinzip, das Seine Heiligkeit (aba) immer wieder im Lichte der Überlieferung des Heiligen Propheten (saw) betont, sollte höchste Aufmerksamkeit genießen. Das Oberhaupt der Gemeinde sagte: »Der Islam lehrt die Muslime, nicht nur den Opfern zu helfen, die verfolgt werden, sondern auch den Tätern und Angreifern. Das bedeutet nicht, sie in die Lage zu versetzen, weitere Grausamkeiten zu begehen, sondern sie daran zu hindern.« (https://www.alhakam.org/peace-symposium-2023-baitul-futuh-mosque/)
Das ist das leuchtende Beispiel und Plädoyer, um wahre Solidarität zu demonstrieren, indem das Hauptaugenmerk nicht nur auf die Opfer gerichtet ist, sondern auch die Täter ins Visier genommen werden.
Indes sind praktische Maßnahmen für eine Versöhnung unerlässlich. Um die Wogen zu glätten, ist es prinzipiell notwendig, kriegerische Handlungen beider Parteien zu unterbinden, da es sonst unmöglich sein würde, die Gewaltspirale zu durchbrechen.
Ganz gleich, ob die israelische Regierung nun Täter oder Opfer ist, die Kriegsverbrechen müssen mit sofortiger Wirkung beendet werden.
Eine toxische Solidarität des Westens mit Deutschland an vorderster Front schadet somit auch Israel und auch allen in Israel lebenden Zivilisten und konterkariert das erklärte Hauptziel – die Sicherheit Israels, die als »Staatsräson Deutschlands« bezeichnet wird.
So spricht auch der israelische Historiker Moshe Zimmermann von einer »kritischen Solidarität« und konstatiert ganz klar und differenziert, dass die »Unterstützung Israels nicht gleichzusetzen mit der Unterstützung der israelischen Regierung« sei, denn diese gefährde die Sicherheit Israels. (https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2023/Solidaritaet-mit-Israel-Was-heisst-fuer-die-Bundesregierung,israel1642.html)
Das ist nicht die einzige Stimme, die sich immer lauter gegen die israelische Regierung richtet. Auch der Israel-Experte Gershom Gorenberg fällt ein vernichtendes Urteil über Netanjahu und seine Regierung und klagt über ihre Inkompetenz. Er prangerte das Versagen der Regierung Netanjahus bei der Verhinderung des Terroranschlags an und forderte seinen Sturz als Ministerpräsident. (https://www.nytimes.com/2023/10/18/opinion/netanyahu-israel-gaza.html)
Die Professorin für Soziologie, Eva Illouz, an der Hebräischen Universität Jerusalem merkt noch zwei weitere Ebenen des Scheiterns an, indem sie schreibt:
»Die zweite Ebene des Systemversagens betrifft die Armee und das politische Konzept hinter der militärischen Strategie. Jahrzehntelang hat uns Netanyahu glauben machen wollen, dass der Iran der eigentliche Feind Israels sei, und dass die Hamas gegen die palästinensische Autonomiebehörde ausgespielt werden sollte, um eine Zweistaatenlösung zu verhindern.«
Weiter schreibt sie:
»Die dritte Ebene ist die beunruhigendste. Der Staat selbst ist während dieses erschütternden Ereignisses (Hamas Massaker) zusammengebrochen. Hunderte von Menschen hätten gerettet werden können, wenn die Polizei und die Armee früher eingetroffen wären […], dass sich die Soldaten nicht fortbewegen konnten, da am Schabbat keine Züge fahren. Warum gab es keine Busse? Die Soldaten wären morgens um acht Uhr an den vom Terror betroffenen Orten angekommen, stattdessen brauchten sie durchschnittlich acht bis zehn Stunden. Und warum war ihre Ausrüstung veraltet?« (https://www.nzz.ch/feuilleton/angriff-auf-israel-soziologin-eva-illouz-uebt-kritik-an-netanjahu-ld.1760682)
Das sind kritische Stimmen, die der israelischen Regierung den Spiegel vorhalten und offenbaren, dass die Sicherheit der Zivilbevölkerung doch nicht das primäre Ziel zu sein scheint, sondern ein Sieg Israels durch vergeltende und ausgeweitete Angriffe auf Gaza.
Eine weitere potenzielle Eskalation droht jedoch, Wirklichkeit zu werden, wenn die willkürliche und flächendeckende Bombardierung Israels auf Zivilisten in Gaza nicht eingestellt wird und so die Gemüter der muslimischen Staaten infolgedessen erhitzt werden. Dies kann eine gewaltige, vergeltende Reaktion provozieren. Dadurch bewegen sich auch israelische Staatsbürger in ständiger Lebensgefahr und es droht noch viel Schlimmeres als ein Zweifrontenkrieg oder Flächenbrand.
Darüber hinaus fordern die Familienangehörigen der israelischen Geiseln von ihrer Regierung zügige und zielführende Maßnahmen, um die Geiseln zu befreien. Nach dem aktuellen Vorgehen der israelischen Regierung sieht es indes danach aus, dass auch diese Hoffnung im Keim ersticken wird. Viele Juden blicken auf die israelischen Angriffe mit Sorge. (https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-10/geiseln-angehoerige-gefangenenaustausch-zentralrat-bundesregierung-resolution)
Alles in allem muss das Deutschland umgehend eine Kehrtwende einschlagen und eine vermittelnde Rolle einnehmen, Israel vor weiteren Angriffen warnen und dadurch schützen. An einer diplomatischen Entspannungspolitik führt kein Weg vorbei.
Wird diese Sicherheitslösung Israels nicht gewährleistet, dann rückt der Frieden auf der ganzen Welt in weitere Ferne. Die Solidaritätsbekundungen des Westens werden dann nur leere Floskeln geblieben sein und zur kollektiven Selbstsabotage geführt haben.
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