Interviews

»Mein Leben hat nicht mit dem Kopftuch angefangen, sondern mit der Erkenntnis, dass es einen Gott gibt«

Interview mit Frau Shazia Noor Malik, Präsidentin der Ahmadiyya Muslim Studentinnen Vereinigung

Redaktion

Seit zwei Jahren ist Frau Shazia Noor Malik Präsidentin der Ahmadiyya Muslim Studentinnen Vereinigung (AMSV). Sie studierte Geographie und Deutsch auf Gymnasiallehramt und schreibt nun an ihrer Dissertation über die Raumwahrnehmung von kopftuchtragender Muslima in Deutschland. Nebenbei ist sie als Referentin tätig und klärt dabei regelmäßig zu Themen rundum den Islam auf. In einem Gespräch mit der Revue der Religionen (RdR) verrät Frau Shazia Malik (SM) uns, wieso das qur’anische Gebot der Kopf- und Körperbedeckung für Frauen nur dann an Kraft und Bedeutung gewinnt, wenn sich muslimische Frauen über den Sinn und die Weisheit dieses Gebotes bewusst werden.

RdR: Jetzt sind es nur noch wenige Tage bis zu Ihrer Rede auf der Jalsa Salana Deutschland. Wie war die Erfahrung eine Rede zum Thema »Philosophie und Sinn der großartigen Tugenden von Pardah und Sittsamkeit« zu verfassen?

SM: Ich hatte mir niemals vorgestellt, dass ich diese große Ehre erhalte und bin Allah sehr, sehr dankbar dafür. Es ist eine sehr große Verantwortung und auch wenn ich es gewohnt bin, vor großem Publikum zu sprechen, stellt diese Rede eine Herausforderung dar, der ich mit großem Respekt begegne. Die Vorbereitung hat mir Spaß gemacht und die Rede habe ich auch selbst ausformuliert, dass war mir besonders wichtig gewesen, weil mich das Thema selbst betrifft und ich mich auch wissenschaftlich damit auseinandersetze.  

RdR: Sie sagten gerade, dass dieses Thema Sie auch selbst betrifft. Können Sie sich an den Tag aus Ihrer Kindheit erinnern als Sie bemerkten, dass Ihre Mutter ihrem Kopftuch anders aussieht, als die Mütter Ihrer Freundinnen? 

SM: Ich muss sagen, dass es so einen bestimmten Moment nie bei mir gab. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich auf einem Dorf aufgewachsen bin und wir dort weit und breit die einzigen Migranten und damit schon immer die Exoten waren (lacht). Für mich ist das Kopftuch meiner Mutter immer selbstverständlich gewesen, ich kannte sie ja auch nicht anders. Zudem sind wir von klein auf immer mit zu den Veranstaltungen der Gemeinde gegangen und dort haben die Mütter der Freundinnen auch Kopftuch getragen. Deshalb kann ich mich auch nicht an einen spezifischen Moment erinnern, in dem ich mir gedacht habe, dass meine Mutter anders aussieht, als die anderen Mütter. 

RdR: Die Schule war dann, logischerweise, auch nicht multikulturell geprägt. Wie waren Ihre Erfahrungen als eine spürbare Minderheit?

SM: Ich bin auf dem nächsten Dorf in die Grundschule gegangen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es dort andere Migranten gab. Also wir waren schon wirklich Exoten für sie. Auch für die Lehrer war dies eine neue Erfahrung, weil sie bis dahin auch keine Migranten, keine Muslime, in der Schülerschaft hatten. Ich finde, je älter man wurde, desto mehr Herausforderungen gab es dann auch. Vor allem als ich dann angefangen habe das Kopftuch zu tragen, ich glaube in der sechsten Klasse, war es für die Lehrer neu. Ich war die einzige in der Klasse, sogar auf der gesamten Schule, die das Kopftuch getragen hat. Zwei Situation werde ich nie vergessen; Einmal als ich wusste, dass ich am nächsten Tag zum ersten Mal Kopftuch tragen werde, hatte ich mir genau ausgemalt, wie meine Freundin reagieren wird. An dem besagten Tag bin zur Bushaltestelle gegangen und sie hat mit mir so geredet als ob nichts wäre. Irgendwie machte mich das sehr traurig (lacht). Ich dachte mir sie würde darauf reagieren, mich fragen warum ich dies tue. Aber irgendwie war es für sie selbstverständlich, weil sie vielleicht meine Mutter kannte und wusste, dass sie auch das Kopftuch trägt. 

Die zweite Situation, an die ich mich erinnern kann, und die ich sehr unschön fand, war als ich die Klasse betrat und meine Englischlehrerin sehr abwertend » hast du Fieber oder warum trägst du das?« gefragt hat. Das hat mich sehr traurig gemacht. Es gibt viele Situationen, die mich gekränkt haben, aber da ich diese Entscheidung bewusst getroffen habe, habe ich schnell gelernt, damit umzugehen. In dem Alter hatte ich aber natürlich noch nicht die Stärke, die ich heute habe. 

RdR: Die Diskriminierung entsteht zum Teil auch deshalb, weil in der Gesellschaft, in der wir leben, viele Feministinnen die wahre Emanzipation in der körperlichen Selbstbestimmtheit sehen. Frauen sollen sich freizügig kleiden dürfen um sich dadurch von der Sexualisierung des weiblichen Körper zu befreien. Was würden Sie dieser Ansicht entgegenbringen?

SM: Ich sehe es auch so, dass die körperliche Selbstbestimmtheit wahre Emanzipation bedeutet, aber für mich bedeutet diese Selbstbestimmtheit vielmehr, dass ich selbst entscheide, wie ich mich kleiden möchte. Selbstbestimmtheit ist nicht, dass mir jemand sagt, dass sich freizügig zu kleiden Selbstbestimmtheit ist, weil da ja wieder was vorgegeben wird. Wenn eine Frau sich freiwillig dafür entscheidet, sich zu bedecken und selbst entscheidet, was sie von sich zeigen möchte, ist das denn keine Emanzipation? Wenn wir einen Blick auf unsere Gesellschaft werfen, dann sehen wir, dass der Frauenkörper als ein Sexualobjekt missbraucht wird. Diese Freizügigkeit wird mit Freiheit gleichgesetzt. Die Frau wird verwendet, um den Verkäufe durch Werbung anzuregen. Ist das wahre Emanzipation? Wahre Emanzipation für mich ist, wenn jede Frau selbst über ihren Körper entscheiden darf und ihr Körper nicht zweckentfremdet missbraucht wird. 

RdR: Glauben Sie, dass das Kopftuch mit sich Werte bringt, die auch nicht-muslimische Menschen als erstrebenswert erachten können?

SM: Ich hatte eben darüber gesprochen, dass Frauen zum Sexualobjekt gemacht werden. Zudem kennen wir ja auch die Sexismus-Debatte, die geführt wurde. Durch die islamische Etablierung des Schamgefühls innerhalb einer Gesellschaft soll eine reizfreie Gesellschaft geschaffen werden. Ich denke, dass gerade in der heutigen Gesellschaft Oberflächlichkeit eine zentrale Herausforderung darstellt. Vor allem wird die Frau auf diese Oberflächlichkeit reduziert. Es stehen nicht Charakter und Fähigkeiten der Frau im Vordergrund, sondern ihr Aussehen. Ich glaube, dass durch das Einführen der Hayaa (Schamgefühl) solche Oberflächlichkeit eingeschränkt wird und ich glaube, dass viele Frauen sich auch wünschen, dass diese Oberflächlichkeit verschwindet. Wenn ich mir meinen Freundeskreis, und die Gespräche die wir führen, ansehe, da heißt es auch sehr oft, dass man diesen und jenen Job nicht aufgrund seines Aussehens, sondern aufgrund der eigenen Fähigkeiten bekommen möchte.  

RdR: Bis jetzt haben wir hauptsächlich über gesellschaftliche Aspekte gesprochen. Wie genau hilft die Bedeckung dabei, Werte wie Schamgefühl innerhalb eines Individuums zu entwickeln?

SM: Erstmal ist es wichtig zu wissen, dass im Islam die Sittsamkeit und das Schamgefühl ein Teil des Glaubens ist. Das Schamgefühl gilt als angeboren und ist das, was uns von anderen Tieren unterscheidet. Ich denke, dass Schamgefühl für das Pardah wirklich essentiell ist. Pardah ist die körperliche Bedeckung und das Schamgefühl ist die geistige Komponente. Beides geht Hand in Hand. Wenn man kein Schamgefühl hat und dann seinen Kopf und Körper bedeckt, dann bringt es nichts. Schamgefühl und Pardah in Kombination bilden die Essenz. 

RdR: Kann somit das Pardah zu einem Schlüssel der Selbstreformation werden?

SM: Ich denke, dass jedes Gebot im Koran der Selbstreformation dient. Wenn man sich die Gebote anschaut, dann merkt man, dass sich diese aufeinander aufbauen. Ich sage immer so gerne, mein Leben hat nicht mit dem Kopftuch angefangen, sondern es hat mit der Erkenntnis angefangen, dass es einen Gott gibt. Darauf folgte die Entscheidung für diese Religion. Und dadurch, dass ich mich für diese Religion entschieden habe, habe ich mich für die Gebote entschieden. Da ich der Überzeugung bin, dass Gott mich erschaffen hat, weiß er ja auch am besten, was ich benötige, um mein Leben zu erleichtern und meine Ziele zu erreichen. Und meine Ziele sind es, die Liebe Gottes und somit inneren Frieden zu erlangen. Wenn man das Kopftuch nun in Verbindung zum Schamgefühl nimmt, dann wird dies sehr wohl als Hilfe zur Selbstreformation dienen. Ich persönlich kenne beide Seiten; die Zeit, in der ich das Kopftuch nicht getragen habe und die Zeit, in der ich das Kopftuch trage. Ich finde, dass man im Alltag, wenn man sich bedeckt, viel öfter an die eigenen Werte erinnert wird. Durch meine Bedeckung behalte ich meine Ziele immer klar vor Augen. 

RdR: Sie sagten, dass Sie sich auch an die Zeit erinnern, in der Sie noch kein Kopftuch getragen haben. Welchen Rat würden Sie muslimischen Mädchen und Frauen geben, die lernen wollen das Kopftuch selbstbestimmt zu tragen?

SM: In der Hinsicht ist das Selbstbewusstsein für die Entscheidung, das Kopftuch zu tragen, essentiell. Die Frage die sich hier stellt ist: Wie kann ich überhaupt selbstbewusst werden? Ich denke, ich kann nur selbstbewusst hinter einer Entscheidung stehen, wenn ich sie eigenständig mit vollster Überzeugung getroffen habe. Es bringt nichts, diese Entscheidung aus Angst vor jemanden zu treffen. Man sollte sich die Frage stellen, weshalb man überhaupt Muslima ist. Warum habe ich mich eigentlich hierfür entschieden? Da wir gebürtige Ahmadis sind, ist es für uns eine Selbstverständlichkeit. Dies kann ein Grund sein, weshalb wir uns mit der Lehre nicht so intensiv auseinandersetzen, wie beispielsweise konvertierte Schwestern, weil wir denken, dass das irgendjemand aus der Familie mal angenommen hat und es nun ist, wie es ist. Doch wenn wir nicht wissen, warum wir den Verheißenen MessiasAS angenommen haben, dann hat das Glauben an die Ahmadiyyat keinen Mehrwert für uns. Wir müssen uns fragen, warum unsere Vorfahren die Ahmadiyyat angenommen haben. Warum haben sie die ganzen Schwierigkeiten, die sie dadurch erleiden mussten, auf sich genommen? Jeder von uns muss darüber nachdenken und reflektieren, weshalb man dieser Religion angehört.  Wenn man sich dann mit seiner Lehre auseinandergesetzt hat, hat man ein ganz anderes Selbstbewusstsein, weil man dann weiß, warum man eine bestimmte Sache macht. Vor allem in dieser Gesellschaft benötigt man Mut, etwas zu tun, was in der Mehrheitsgesellschaft nicht der Norm entspricht. Gerade hier ist es sehr wichtig, sich vor Augen zu führen, aus welchem Grund man das Kopftuch trägt. Fürchten wir uns vor dem Arbeitgeber, dem Vermieter oder tragen wir es selbstbewusst aus Liebe zu Allah, der später im Jenseits über uns richten wird? Es ist wichtig, sich das Ziel immer wieder vor Augen zu führen, um unser Selbstbewusstsein zu stärken. Gerade wir müssen Selbstbewusstsein ausstrahlen, um dem Bild einer unterdrückten Muslima, welches in der hiesigen Gesellschaft weit verbreitet ist, entgegenzuwirken. 

RdR: Sie haben eben erwähnt, dass man zur Stärkung des eigenen Selbstbewusstsein sich fragen sollte, aus welchem Grund man sich für dieses Gebot entschieden hat. Wie war das für Sie? Finden Sie, dass eine Verbindung zwischen dem Pardah und der Erlangung von Gottesnähe besteht? Fangen nicht der Glaube und die Liebe zu Gott im Herzen an?

SM: Ja natürlich. In erster Linie reicht die Liebe zu Gott, da fängt ja alles an. Ein Zitat des Vierten KhalifenRH vergleicht die Liebe zu Gott mit der Liebe in menschlichen Beziehungen. Er sagt: »Schauen Sie sich menschliche Beziehungen an. Wenn Sie jemanden lieben, dann wünschen Sie sich, dass Sie für diese Person anziehend und schön aussehen. Auch Allah sagt, dass Ihr wegen Meiner Liebe, zu Mir kommen sollt. Wenn Ihr keine Liebe verspüren würdet, dann wäre es sinnlos, zu Mir zu kommen. Da Ihr Mich liebt, erwartet Ihr auch, dass Ich Euch liebe. Deswegen macht Euch schön für Mich, damit auch Euer geliebter Gott Euch liebt.« Das heißt, die Liebe zu Gott ist wie die Liebe zwischen zwei Menschen. Ich habe mich ja bewusst für Gott und diese Lehre entschieden. Damit habe ich mich auch freiwillig für die damit einhergehenden Gebote entschieden, welche zu meinem Besten gedacht sind. Gott wusste, dass die Frau auf ihre Schönheit reduziert werden würde, dass nicht ihre Fähigkeiten im Vordergrund stehen werden, sondern ihre Äußerlichkeiten. Deswegen gibt Gott mir die Freiheit, mich zu bedecken und selbst zu entscheiden, wer wieviel von mir zu sehen bekommt. Natürlich habe ich die Liebe zu Gott, aber wenn ich Ihn erreichen möchte, dann muss ich mich für Ihn auch schön machen. Dann muss ich auch was opfern, und wenn es in der hiesigen Gesellschaft bedeutet, Jihad gegen mich selbst, gegen sein eigenes Ego zu führen, dann nehme ich die Aufgabe auf mich. Ich mache dies aus Liebe zu Gott, da ich weiß, dass ich dadurch innere Zufriedenheit erreichen. 

RdR: Lieben Dank für das interessante Gespräch. 

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